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Praxis

Pssst, Diskretion bitte!

Das heikle Thema Vertraulichkeit in der Beratung

„Abstand halten!“ oder „Diskretion!“ steht auf Fußmatten, roten Linien auf dem Fußboden oder auf Schildern im Wartebereich der Apotheke. Diese Aufforderung richtet sich an unsere Kunden. Aber letztendlich betrifft es alle Beteiligten, diesseits und jenseits des HV-Tisches. | Von Kirsten Lennecke

„Guten Morgen, Frau Böhnhard-Lenk!“, begrüßen wir eine Stammkundin, deren Namen wir lange üben mussten, um ihn uns korrekt zu merken. Und diese Stammkundin blüht sichtbar auf, während wir sie mit ihrem Namen ansprechen. Sie genießt es offensichtlich: Sie ist nicht nur irgendeine Kundin, ein No-Name unter vielen, sondern jemand, der etwas Besonderes ist, der heraussticht aus der Menge, quasi: prominent. Während wir sie mit Namen laut und deutlich begrüßen, drehen sich auch andere Kunden um, die sich in der Apotheke aufhalten. Sie reagieren zum Teil neugierig, zum Teil irritiert: „Ach, die Frau Böhnhard-Lenk, das ist doch die Nachbarin von unserer Tante Gerda. Was die wohl in der Apotheke holt?“ Und vielleicht sperrt die wartende Kundin jetzt erst recht ihre Ohren auf, um etwas zu erfahren, was man im Bekanntenkreis zum Besten geben kann. Ist das noch Diskretion oder ist es schon indiskret, den Namen laut auszurufen?

Freundlich oder aufdringlich?

Die Grenzen zwischen dem, was der eine als aufmerksam und besonders freundlich und der andere als indiskret und unhöflich betrachtet, sind fließend. Wirklich bekannte Personen möchten bei normalen Alltagsgeschäften gern anonym bleiben, um keine Übergriffe in ihre Privatsphäre auszulösen. Wer kennt die Situation nicht: Ein Prominenter war als Kunde in unserer Apotheke – wie gern würden wir zu Hause davon erzählen! So verständlich dieser Wunsch ist, erlaubt ist es nicht, denn diese Information fällt unter unsere Verschwiegenheitspflicht.

Diskretion und Verschwiegenheit in der Apotheke – wie ist die Rechtslage?

ks | Alle Berufsordnungen enthalten einen Passus, der sich mit der Verschwiegenheit befasst – in den meisten ist er mit „Verschwiegenheit und Datenschutz“ überschrieben. Dabei wird stets klargestellt: Der Apotheker ist zur Verschwiegenheit verpflichtet und muss auch dafür sorgen, dass seine Mitarbeiter dieser Pflicht nachkommen. Verstöße gegen die Berufsordnung können berufsrechtlich verfolgt und sanktioniert werden.

Exemplarisch heißt es etwa in der Berufsordnung der Landesapothekerkammer Bayern:
§ 14 Verschwiegenheit und Datenschutz
(1) Der Apotheker ist zur Verschwiegenheit über alle Vorkommnisse verpflichtet, die ihm in Ausübung seines Berufes bekannt werden. Der Apotheker hat im Rahmen seines Verantwortungsbereiches sicherzustellen, dass alle unter seiner Leitung tätigen Personen, auch wenn sie nicht dieser Berufsordnung unterliegen, über die gesetzliche Pflicht zur Verschwiegenheit belehrt werden und dies schriftlich festgehalten wird. Gesetzliche Offenbarungspflichten bleiben unberührt. (…)

In der Berufsordnung der nordrheinischen Apotheker lautet die entsprechende Vorschrift:
§ 15 Verschwiegenheit
(1) Der Apothekerin und dem Apotheker ist es untersagt, unbefugt ein fremdes Geheimnis im Sinne des § 203 Strafgesetzbuch, namentlich ein zum persönlichen Lebensbereich gehörendes Geheimnis oder ein Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis, zu offenbaren, das ihnen in Ausübung ihres Berufes anvertraut worden oder sonst bekannt geworden ist. Sie müssen alle unter ihrer Leitung tätigen Personen, die nicht der Berufsordnung unterliegen, über die gesetzliche Pflicht zur Verschwiegenheit belehren und sich dies schriftlich bestätigen lassen. (…)

Wie in der Berufsordnung Nordrheins angesprochen, gibt es aber auch höherrangiges Recht zu beachten: Das Strafgesetzbuch. Dreh- und Angelpunkt für die Verschwiegenheitspflicht der Apotheker ist folgender Paragraf:
§ 203 Verletzung von Privatgeheimnissen
Wer unbefugt ein fremdes Geheimnis, namentlich ein zum persönlichen Lebensbereich gehörendes Geheimnis oder ein Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis, offenbart, das ihm als 
1. Arzt, Zahnarzt, Tierarzt, Apotheker oder Angehörigen eines anderen Heilberufs, der für die Berufsausübung oder die Führung der Berufsbezeichnung eine staatlich geregelte Ausbildung erfordert, (…) anvertraut worden oder sonst bekannt geworden ist, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft. (…)

Flankiert werden diese Vorgaben durch die Apotheken­betriebsordnung. Hier heißt es in § 4 Abs. 2a unter anderem: „Die Offizin muss so eingerichtet sein, dass die Vertraulichkeit der Beratung, insbesondere an den Stellen, an denen Arzneimittel an Kunden abgegeben werden, so gewahrt wird, dass das Mithören des Beratungsgesprächs durch andere Kunden weitestgehend verhindert wird.“ Dabei geht es allerdings vor allem um Maßnahmen baulicher oder organisatorischer Art, die die Apotheke veranlassen muss, wenn die Vertraulichkeit anderenfalls nicht gewahrt werden kann.

Unter die Verschwiegenheitspflicht (oder auch „Schweigepflicht“) fallen alle personenbezogenen Daten und Tatsachen, so z. B. allein der Umstand, dass ein Besuch, eine Beratung oder eine Rezeptbelieferung von einer bestimmten Person stattgefunden hat oder geplant ist. Selbstverständlich ist auch über den Inhalt einer Beratung oder die Indikation der gewünschten Arzneimittel zu schweigen, über Diagnosen oder Verdachtsdiagnosen, über den Krankheitsverlauf und über alle übrigen persönlichen Informationen, die während des Apothekenbesuchs bekannt wurden, sei es Wohn- und Lebenssituation, Sucht, sexuelle Orientierung, Vermögenslage oder körperliche Hygiene. Das gilt, soweit Einzelheiten Rückschluss auf eine bestimmte, damit identifizierbare Person zulassen, auch über den Tod des Patienten hinaus.

Besonders diskrete Themen

  • psychische und psychiatrische Erkrankungen, wie Depression, Psychosen
  • neurologische Erkrankungen: Multiple Sklerose, Morbus Parkinson
  • Krebserkrankungen
  • HIV-Infektion
  • Verdauungsbeschwerden: Durchfall, Verstopfung und Hämorrhoiden
  • „Pille danach“, Verhütungsmittel, Schwangerschaftswunsch
  • Potenzmittel

Halten wir uns immer daran? Frau Müller, von der wir wissen, dass ihr Mann im Krankenhaus liegt, fragen wir fürsorglich, wie es ihrem Mann denn nach seiner Operation geht. Frau Meier fragen wir, wie sie denn ihre erste Chemotherapie vertragen hat. Natürlich ist es wichtig, mit solchen Fragen unsere persönliche Anteilnahme zu zeigen. Aber achten Sie darauf, dass es so geschieht, dass niemand anderes zuhören kann. Bei einigen Diagnosen wie Krebs, Depression oder Multiple Sklerose ist man vielleicht vorsichtiger als bei anderen wie Bluthochdruck oder Asthma. Aber niemand weiß, wie offen der Patient über seine Krankheiten sprechen möchte oder ob diese Diagnose für ihn ein Thema ist, was er versucht, vor allen anderen geheim zu halten.

Das Wort „diskret“ stammt vom lateinischen discernere = abtrennen. Diskret bedeutet also auch immer, räumlich und – bei einem Gespräch – möglichst akustisch getrennt von anderen. Dafür haben Apotheken heute Linien auf dem Fußboden, um Wartende davon abzuhalten in Hörweite zum laufenden Gespräch zu geraten, es gibt einzelne Beratungsplätze statt eines durchgehenden HV-Tisches und Beratungsräume, die auch Gespräche zu heiklen Themen ermöglichen.

Einigen Kundinnen bzw. Kunden merkt man schon bei der Begrüßung an, dass es ihnen unangenehm ist, ihren Wunsch laut auszusprechen. Typische Themen sind hier Vaginalmykose, Schwangerschaftstest oder die „Pille danach“ bzw. Potenzmittel oder Verdauungsprobleme. Selbst wenn kein weiterer Kunde sich in der Offizin befindet, erfordern diese Gespräche, dass niemand Unbeteiligtes mithört – auch nicht die Kollegin, die gerade die Sichtwahl einräumt. Stehen Sie nah bei der Kundin oder dem Kunden, um leise miteinander sprechen zu können. Selbstverständlich gehört es sich nicht, von der Schublade aus Fragen oder Informationen zuzurufen. Das gilt erst recht, wenn andere Kunden anwesend sind. Hier bietet es sich an, dass Sie dem Patienten vorschlagen, in den Beratungsraum zu wechseln. „Hierfür benötigen wir ein bisschen mehr Zeit. Wollen wir uns dafür vielleicht in den Beratungsraum setzen?“ Mit diesen Worten können Sie dem Patienten das Gefühl der Peinlichkeit nehmen und auch vor den anderen Kunden rechtfertigen, dass es nichts Geheimnisvolles gibt, sich zu einer Beratung in einen getrennten Raum zurückzuziehen.

Eine Sache der Höflichkeit ist es auch, unbeteiligte Kunden von den Beschwerden anderer zu verschonen, selbst wenn diese offen darüber sprechen möchten. Von Verdauungsbeschwerden wie Verstopfung oder Durchfall spricht der betroffene Patient vielleicht gern, laut und ausführlich, andere möchten davon aber nichts hören. Auch hier bietet es sich an, bei Bedarf den Beratungsraum in Anspruch zu nehmen.

Diskretion im Beratungsgespräch – wie geht’s?

  • Einen angemessenen geringen Abstand zum Gesprächspartner einnehmen, um leise, mit gedämpfter Stimme sprechen zu können.
  • Sobald ein größerer Abstand eingenommen werden muss – z. B. um zur Schublade zu gehen – das Gespräch unterbrechen, nicht weitersprechen.
  • Besondere Indikationen, Krankheiten und Arzneimittelnamen nicht aussprechen, sondern absichtlich ungenau bleiben: „Hier ist Ihr Arzneimittel.“
  • Wenn andere Kunden sich zu nah anstellen, sie bitten, ein paar Schritte zurückzutreten, um Abstand zu halten.
  • Wenn am HV-Tisch keine Diskretion eingehalten werden kann, das Gespräch in den Beratungsraum verlegen.

Die Kunden nicht mit nach Hause nehmen – Diskretion auf beiden Seiten der Offizin

Es gibt jeden Tag solche unglaublichen, ärgerlichen oder bewegenden Geschichten, die wir in der Apotheke erleben und die wir mit uns nach Hause tragen. Da war dieser unangenehme alte, schwerhörige Mann, der heute extrem laut jeden Anwesenden zum Thema quälende Verstopfung unterhalten hat. Da war die arrogante Frau, die uns beschimpft hat, weil wir nicht wussten, welche Schmerzsalbe sie immer verwendet. Da war der Viagra®-Kunde, der unserer Kollegin ein eindeutiges sexuelles Angebot gemacht hat. Da war die junge Mutter, die weinend zusammengebrochen ist, weil sie von der schweren Diagnose ihres Kindes erfahren hat. Und da war noch unsere Nachbarin, die angedeutet hat, dass sie ihren Mann verlassen will. Abends sind wir voll mit diesen Geschichten und können an nichts anderes denken. Wir wollen sie unserem Mann oder unserer Freundin erzählen. Wir haben das Gefühl, wir müssen sie erzählen, sonst platzen wir. Schweigepflicht bedeutet jedoch, wirklich nichts von diesen Menschen zu Hause zu erzählen. Sie dürfen keine Namen nennen, keinen Beruf, keine Eigenschaft, die einer der Außenstehenden wiedererkennen könnte. Eventuell hilft es, sich mit Kolleginnen aus derselben Apotheke auszutauschen. Aber das sollte am besten innerhalb der Apotheke geschehen – und dort sollte es auch bleiben. Diskretion ist schwierig – auf beiden Seiten des HV-Tisches: Es stolpern mehr Menschen über ihre Zunge als über ihre Füße.

Vorsicht in Situationen, in denen Informationen „herausrutschen“ können: „Bitte speichern Sie unter meinem Namen: Lehmann“, sagt der Kunde. Wir schlagen die Kundendatei auf, haben nur einen männlichen Lehmann gespeichert und fragen zurück: „Gerd Lehmann, nicht wahr?“ „Nein“, antwortet Herr Lehmann, „Gerd Lehmann ist mein Schwager. Ach, ist der hier auch Kunde?“ – Dass ein Gerd Lehmann Kunde in der Apotheke ist, fällt unter die Schweigepflicht. Die richtige Reaktion wäre: „Lehmann. Und wie ist bitte Ihr Vorname?“ Ein Stammkunde kommt in die Apotheke. „Ach, Herr Schwalbe! Gerade eben war Ihre Frau hier. Sie haben sie gerade verpasst!“ „Meine Frau? Was wollte die denn? Ich dachte, sie wäre arbeiten.“ – Auch die Information, dass ein Familienangehöriger, Nachbar oder Bekannter die Apotheke aufgesucht hat, fällt unter die Schweigepflicht. Gerade im lockeren Smalltalk rutscht schnell eine Information heraus, die man besser für sich behalten hätte. Dennoch wäre es schade, auf diesen Smalltalk zu verzichten, denn er schafft im Gespräch mit Kunden und Patienten das angenehme Gefühl, als Mensch wahrgenommen und nicht nur als Kunde „abgearbeitet“ zu werden. Trotz menschlicher Nähe professionelle Distanz zu wahren, das ist vielleicht die größte Kunst der Diskretion. |

Autorin

Apothekerin Dr. Kirsten Lennecke

Neben der Arbeit in einer öffentlichen Apotheke ist sie Autorin zum Thema Kommunikation und aktive Beratung. 


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