Schwerpunkt Spannungskopfschmerzen

Der Kopf im Klammergriff

Spannungskopfschmerzen – meistens harmlos, manchmal ein Alarmsignal

Von Clemens Bilharz | Neben Rückenschmerzen gehören Kopfschmerzen zu den häufigsten gesundheitlichen Problemen überhaupt. Die Lebenszeitprävalenz gelegentlicher Spannungskopfschmerzen erscheint mit 70 bis 80 Prozent fast „normal“. Medizinisch sind sie tatsächlich meist harmlos. In der Regel erzeugen sie auch keinen so starken Leidensdruck wie mit Migräne einhergehende Beschwerden. Im Einzelfall können vermeintliche Spannungskopfschmerzen aber auch das Warnsignal einer zugrunde liegenden ernsthaften Erkrankung darstellen.

Kopfschmerzen beruhen auf der Reizung von schmerzempfindlichen Strukturen des Kopfes, also des Schädels, der Hirnhäute, der Blutgefäße und Nerven. Die eigentliche Gehirnsubstanz ist nicht schmerzempfindlich, obwohl sie ein Teil des Zentralnervensystems ist.

Ätiologisch unterscheidet die International Headache Society (IHS) symptomatische Kopfschmerzen und primäre bzw. idiopathische Kopfschmerzen. Zu den Letzteren, die gut 90 Prozent aller Fälle ausmachen, gehören

  • der Kopfschmerz vom Spannungstyp,
  • die Migräne (mit und ohne Aura),
  • der Clusterkopfschmerz und
  • andere (sog. trigeminoautonome) Kopfschmerz­erkrankungen.

Der Spannungskopfschmerz und die Migräne machen in den Industriestaaten zwischen 70 und 80 Prozent aller primären Kopfschmerzsyndrome aus.

„Wie ein zu enger Hut“

Im Gegensatz zum meist einseitig pulsierend-pochenden Kopfschmerz bei der Migräne fühlt sich der Patient durch den Kopfschmerz vom Spannungstyp zumeist weniger stark beeinträchtigt. Die IHS beschreibt drei zeitlich unterschiedliche Verlaufsformen, nämlich

  • den episodischen Kopfschmerz vom Spannungstyp (eSK), der sporadisch oder häufig auftreten kann, sowie
  • den chronischen Kopfschmerz vom Spannungstyp (cSK).

Alle drei Formen weisen dieselben Schmerzcharakteristika auf, sind in ihrer Begleitsymptomatik jedoch nicht ganz identisch (s. Tab. 1). Fast immer handelt es sich um einen dumpf-drückenden, nicht pulsierenden Schmerz im gesamten Kopfbereich, der nicht oder sehr selten mit vegetativen Symptomen einhergeht. Im Gegensatz zur Migräne kommt es weder zu Aurasymptomen (z. B. Flimmerphänomenen) noch zum Erbrechen. Eine körperliche Anstrengung (z. B. Treppensteigen) verstärkt die Beschwerden nicht.

Tab. 1: Kriterien des Kopfschmerzes vom Spannungstyp laut IHS (International Headache Society), etwas vereinfacht.
Episodischer Spannungskopfschmerz
Chronischer Spannungskopfschmerz
A
Kopfschmerz „sporadisch“ an höchstens 11 Tagen im Jahr bzw. „häufig“ an 12 bis 180 Tagen im Jahr, aber höchstens 14-mal im Monat
Kopfschmerz an mindestens 15 Tagen im Monat
(an mindestens 180 Tagen im Jahr)
B
Dauer zwischen 30 Minuten und 7 Tagen
Dauer für Stunden oder kontinuierlich anhaltend
C
Der Kopfschmerz bei allen drei Formen hat mindestens zwei der folgenden Charakteristika:
  • beidseitige Lokalisation („wie ein zu enger Hut“)
  • dumpf-drückend oder beengend, nicht pulsierend
  • leichte bis mittlere Intensität
  • keine Verstärkung durch körperliche (Routine-)Aktivitäten, z. B. Treppensteigen
D
Folgende begleitenden Symptome sind (nicht) vorhanden:
  • Photophobie oder Phonophobie (nicht jedoch beides zusammen)
  • weder Übelkeit noch Erbrechen (Appetitlosigkeit ist jedoch möglich)
  • milde Übelkeit oder Photophobie oder Phonophobie (aber höchstens 1 Symptom vorhanden)
  • weder mittlere/starke Übelkeit noch Erbrechen
E
Kopfschmerz ist nicht auf eine andere Erkrankung zurückzuführen

Rund 80 Prozent der Patienten mit einem cSK litten zuvor schon unter einem eSK, der sich in durchschnittlich knapp elf Jahren zur chronischen Form entwickelte. In rund 20 Prozent der Fälle kommt es zu einem abrupten Übergang.

Bei etwa 65 Prozent der Betroffenen findet sich eine psychische Komorbidität (Depression 51%, Dysthymie 8%, Panik­erkrankungen 22%, generalisierte Angsterkrankungen 1%).

Im Gegensatz zum eSK lässt sich für den cSK oft eine familiäre Belastung nachweisen.

Mögliche Ursache nächtliches Zähneknirschen

Die genaue Pathophysiologie sowohl des eSK als auch des cSK ist bis heute nicht sicher geklärt. Für beide Formen werden verschiedene Einflussfaktoren diskutiert:

  • Der cSK beruht wahrscheinlich auf einer erhöhten Anspannung der Nackenmuskulatur bzw. vermehrten Aktivierung muskulärer Triggerpunkte, wodurch es zu einer nozi­zeptiven Stimulation trigeminaler Neuronen kommt. NO-abhängige Prozesse führen wahrscheinlich zu einer sekundären ZNS-Sensibilisierung, welche die Schmerzschwelle erniedrigt (auch gegenüber Reizen aus anderen Körperregionen, etwa den Extremitäten).
  • Eine weitere Ursache des cSK könnte nächtliches Zähneknirschen (Bruxismus) aufgrund einer kraniomandibulären Dysfunktion sein. Auch hier vermutet man eine Stimulation schmerzempfindlicher Neuronen. Neben einer mechanischen Fehlbelastung des Kiefergelenks kann hier auch psychischer Stress auslösend wirken.
  • Darüber hinaus sprechen Befunde wie ein erhöhter Liquor­druck bei venösen Abflussstörungen dafür, dass auch eine veränderte intrazerebrale Hämodynamik zur Entstehung des cSK beitragen könnte.
  • Beim eSK dagegen scheinen die NO-abhängigen Vorgänge im ZNS zu fehlen; hier dürften periphere muskuläre Mechanismen ursächlich sein, vor allem eine erhöhte Tonisierung perikranialer Muskeln (etwa im Stirn-, Schläfen- oder Nackenbereich).

Brummschädel durch das Viertele zu viel?

Ob auch bestimmte Triggerfaktoren Kopfschmerzen auslösen können, versucht man seit vielen Jahren immer wieder durch Studien bzw. Befragungen zu evaluieren. Ein nicht seltenes Problem hierbei ist die Diskrepanz zwischen der subjektiven Einschätzung durch die Patienten und der objektiven Reproduzierbarkeit, z. B. beim Faktor „Wetterfühligkeit“.

  • Bei alimentären Triggerfaktoren sind Coffeinentzug und Alkoholkonsum am besten als Auslöser von Kopfschmerzen belegt, wobei bei manchen Betroffenen eine selektive Empfindlichkeit gegenüber Rotwein nachgewiesen werden konnte (wahrscheinlich ansteigende Phenolkonzentration durch Abbau von Flavonoiden). Biogene Amine wie Histamin oder Tyramin (in Wein, Käse, Fisch) werden zwar häufig mit Kopfschmerzen in Zusammenhang gebracht, doch ein endgültiger Nachweis steht hier immer noch aus. Da sich durch die intravenöse oder subkutane Injektion von Histamin allerdings Kopfschmerzen auslösen lassen, nennt die IHS als Sonderform auch einen Histamin-induzierten Kopfschmerz.
  • Bei den nicht alimentären Triggerfaktoren ist vor allem die Menstruation mit einem erhöhten Kopfschmerzrisiko verbunden, wahrscheinlich aufgrund einer Überreaktion von Neurotransmittern wie Serotonin und Noradrenalin auf den Abfall des Östrogenspiegels. In der Schwangerschaft dagegen lässt der Spannungskopfschmerz eher nach. Auch psychische Belastungen und starke alltägliche Stressfaktoren können nachgewiesenermaßen Spannungs­kopfschmerzen auslösen. Häufig werden auch Müdigkeit, Erschöpfung und Schlafstörungen als Faktoren genannt.

Symptomatische Kopfschmerzen ausschließen

Insbesondere der chronische Spannungskopfschmerz kann differenzialdiagnostisch mit symptomatischen Kopfschmerzen verwechselt werden. Dies kann der Fall sein, wenn z. B. ein Normaldruckhydrozephalus, ein chronisches subdurales Hämatom oder posttraumatische Kopfschmerzen die Ursache sind (s. Tab. 2). Deshalb sollte beim chronischen Kopfschmerz vom Spannungstyp auch immer eine bildgebende Diagnostik des Gehirns erfolgen.

Tab. 2: Wichtige Differenzialdiagnosen des chronischen Kopfschmerzes vom Spannungstyp: Erkrankungen und gesundheitliche ­Störungen, die erwiesenermaßen Kopfschmerzen verursachen können oder bei denen Kopfschmerzen häufig begleitend auftreten. Laut International Headache Society (IHS).
Ursache symptomatischer Kopfschmerzen
Klinische Diagnostik bzw. Befund
Kopf- oder Wirbelsäulenverletzung, z. B. Schleudertrauma, sub-/epidurales Hämatom
Anamnese, radiologischer Nachweis
intrakranielle Gefäßstörung, z. B. Sinus- oder Hirnvenen­thrombose, Missbildungen
evtl. neurologische oder psychiatrische Auffälligkeiten, evtl. Krampfneigung;
radiologischer Nachweis (z. B. CT-Angiografie)
primärer Hirntumor oder Hirnmetastase
evtl. neurologische oder psychiatrische Auffälligkeiten, evtl. Krampfneigung;
radiologischer Nachweis (z. B. kraniales CT/MRT)
Pseudotumor cerebri (idiopathische intrakranielle Druck­erhöhung wahrscheinlich aufgrund Liquorabflussstörung)
Anamnese (Tinnitus, Sehstörungen); Stauungspapille, erhöhter Liquordruck
kraniozervikale Übergangsanomalie, z. B. Arnold-Chiari-­Malformation (durch das Hinterhauptloch verschobene Kleinhirnanteile)
häufiger Hustenkopfschmerz, Schmerzzunahme durch Valsalva-Manöver;
radiologischer Nachweis
Sucht (bzw. Entzug), z. B. Alkohol, Cannabis, Cocain;
Medikamente, z. B. Phosphodiesterasehemmer, Calcium­antagonisten, Glyceroltrinitrat
Medikamenten- oder Drogenanamnese, ggf. Hinweise auf Suchtverhalten
Infektion, v. a. Meningitis
oft zusätzlich Nackensteifigkeit, Licht-/Geräuschempfindlichkeit, Bewusstseinsstörung;
Liquorbefund, ggf. radiologischer Nachweis (mit Kontrastmittel)
Störung der Homöostase, z. B. arterielle Hypertonie, ischämische Herzerkrankung, Hyperthyreose, Hypoxie, Fasten
Anamnese (z. B. Höhenkopfschmerz, Tagesmüdigkeit bei Schlaf-Apnoe-Syndrom), begleitende v. a. kardiovaskuläre Zeichen;
Blutdruckdokumentation, Polysomnografie, Laboruntersuchung
Störungen im Bereich von Strukturen des Schädels oder Gesichts, z. B. kraniomandibuläre Dysfunktion
Anamnese (nächtliches Zähneknirschen), Kiefergelenk-­Druckschmerz, Aufbissspuren
Erkrankungen von Organen des Schädels oder Gesichts, z. B. chronisches Glaukom
Anamnese, Messung des Augeninnendrucks
psychiatrische Störung, v. a. Depression
oft schwierige Abgrenzung als Komorbidität (depressive Kernsymptomatik?)

Ungeachtet des möglichen Leidensdrucks können Spannungskopfschmerzen in der Regel als eher ungefährliche Erscheinung eingestuft werden. Da Kopfschmerzen jedoch auch einmal als Begleitsymptom einer ernsthaften Erkrankung auftreten können, sollte stets auf bestimmte Konstellationen und Schmerzcharakteristika geachtet werden (s. Kasten).

Der Kopfschmerz als Alarmsignal

Unter Umständen sind Kopfschmerzen auch ein Symptom einer ernsthaften oder sogar lebensgefährlichen Erkrankung (z. B. einer Subarachnoidalblutung). In folgenden Fällen sollte unverzüglich nach einer solchen Ursache gesucht werden:

  • erstmaliges Auftreten stärkerer Kopfschmerzen nach dem 50. Lebensjahr,
  • schlagartiger Beginn von Kopfschmerzen mit hoher Intensität,
  • kontinuierliche Zunahme der Kopfschmerzen bzw. Übergang in einen starken Dauerkopfschmerz,
  • begleitendes Auftreten von fokalneurologischen Zeichen (Krämpfe, motorische Störung), Meningismus (Nackensteifigkeit), Gleichgewichtsstörungen,
  • begleitendes Auftreten von Fieber, hohem Blutdruck, thorakalem Engegefühl, sich verschlechterndem Allgemeinzustand.

Nützlicher Kopfschmerzkalender

Laut IHS gilt die sorgfältige Anamnese als wichtigste Voraussetzung für die richtige Diagnose, flankiert von einer gründlichen allgemeinen und neurologischen Untersuchung. Eine genaue Diagnose kann schwierig sein, wenn – was nicht selten vorkommt – Patienten mit Migräne ohne Aura zusätzlich unter episodischem Kopfschmerz vom Spannungstyp leiden. Da sich die Behandlung dieser beiden primären Kopfschmerzformen deutlich voneinander unterscheidet, ist es von größter Wichtigkeit, dass die Betroffenen „ihre“ Kopfschmerzen zu differenzieren lernen. Hilfreich hierbei ist ein Kopfschmerz- bzw. Migränekalender, in der verschiedene Parameter konsequent dokumentiert werden sollten, z. B.

  • Dauer und Intensität des Schmerzes,
  • Schmerzlokalisation und -charakteristik,
  • mögliche Auslöser (psychisch, körperlich, alimentär),
  • Begleitsymptome,
  • Medikation und deren Wirksamkeit.

Ein weiterer Faktor zur Unterscheidung ist eine erhöhte perikraniale Schmerzempfindlichkeit, die bei Patienten mit Kopfschmerzen vom Spannungstyp typisch sein kann. Betroffen sind Muskeln im Gesichts- und Nackenbereich, etwa der M. frontalis (Stirn), M. temporalis (Schläfe), M. masseter (Kaumuskel), M. trapezius (Nacken) oder M. sternocleidomastoideus (seitlicher Hals). Deren Schmerzempfindlichkeit steigt mit der Intensität und Häufigkeit der Kopfschmerzen vom Spannungstyp oft an und wird während des eigentlichen Kopfschmerzes noch weiter verstärkt. Dieser Befund lässt sich durch eine gezielte manuelle Palpation oft nachweisen. |

Literatur

[1] International Headache Society (IHS). Internationale Kopfschmerz-Klassifikation, 2. Auflage 2003 (ICHD-2); www.ihs-classification.org/de

[2] International Headache Society (IHS). The International Classification of Headache Disorders, 3rd edition (beta version). Cephalalgia 2013;33(9):629-808

[3] Deutsche Gesellschaft für Neurologie. Therapie des episodischen und chronischen Kopfschmerzes vom Spannungstyp und anderer chronischer täglicher Kopfschmerzen. S1-Leitlinie 2015. AWMF-Registernummer 030-077

[4] Evers S, Frese A, Marziniak M. Differenzialdiagnose von Kopfschmerzen. Dtsch Ärztebl 2006;103(45):A3040-3048

[5] Sturzenegger M, Gantenbein AR, Sandor PS. Sogenannt primäre Kopfschmerzen. Schweiz Med Forum 2012;12(4):72-77

[6] Holzhammer J, Wöber C. Alimentäre Triggerfaktoren bei Migräne und Kopfschmerz vom Spannungstyp. Schmerz 2006;20:151-159

[7] Holzhammer J, Wöber C. Nichtalimentäre Triggerfaktoren bei Migräne und Kopfschmerz vom Spannungstyp. Schmerz 2006;20:226-237

[8] Kaniecky RG. Tension-Type Headache. Continuum Lifelong Learning Neurol 2012;18(4):823-834


Autor

Clemens Bilharz ist Facharzt für Anästhesie und Intensivmedizin und zusätzlich als wissenschaftlicher Fachzeitschriftenredakteur ausgebildet. Er ist als Autor und Berater für Fachverlage und Agenturen tätig.

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