Arzneimittel und Therapie

Antipsychotika bei Demenz

Sinnvoller Einsatz nach US-amerikanischer und deutscher Leitlinie

Aufgrund einer moderaten Beweislage und einer meist nur kurzfristigen Effektivität wird sowohl in den USA als auch in Deutschland zu einem differenzierten Einsatz von Antipsychotika zur Behandlung von Agitation bei Demenz geraten.

Antipsychotika werden oft über Monate und Jahre verordnet, obwohl die Symptome einer Psychose und von Verhaltensstörungen längst abgeklungen sind. Neuere Erkenntnisse deuten zudem darauf hin, dass unter dieser Medikation das Mortalitäts- und Morbiditätsrisiko erhöht ist.

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Was sagt die US-Leitlinie?

Die American Psychiatric Association (APA) veröffentlichte vor Kurzem eine Praxis-Leitlinie zum kritischen Einsatz von Antipsychotika bei Demenz. Die meisten der 15 Kernaussagen bestätigen die Grundprinzipien der bewährten klinischen Standards. So sollte im Vorfeld eine Analyse bezüglich Art, Häufigkeit, Schwere, Muster und zeitlichem Verlauf der Symptome durchgeführt werden. Vor dem Einsatz von Antipsychotika sind nicht-pharmakologische Interventionen individuell zu prüfen. Generell spricht sich die Leitlinie der APA für den gezielten Einsatz von Antipsychotika bei Psychosen und Agitation aus, sofern diese mit gefährlicher oder erheblicher Beeinträchtigung des Patienten einhergehen. Einer Verordnung sollten die Erstellung eines umfassenden Behandlungsplans und eine kritische Risiko-Nutzen-Analyse vorausgehen. Es werden eine niedrige Anfangsdosis und eine minimal wirksame und verträgliche Erhaltungsdosis empfohlen. Bei signifikanten Nebenwirkungen sollte die Dosis reduziert oder eine Beendigung der Einnahme von Antipsychotika erwogen werden. Ist nach vier Wochen keine Besserung zu erkennen, sollte die Therapie ausschleichend beendet werden. Solange kein Delirium vorliegt, zählt Haloperidol nicht zu den Substanzen der Wahl. Langwirksame injizierbare Antipsychotika sollten nur bei gleichzeitig auftretenden chronischen psychiatrischen Erkrankungen eingesetzt werden.

Eine wesentliche Neuerung der US-amerikanischen Leitlinie ist die Empfehlung einer quantitativen Messung des Therapieerfolgs unter Antipsychotika, beispielsweise mittels einer Bewertungsskala. Des Weiteren sollte innerhalb von vier Monaten nach Therapiebeginn ein Ausschleichversuch unternommen werden. Der aktuellen Studienlage zufolge können Antipsychotika bei bis zu 70% der Patienten erfolgreich abgesetzt werden. Nach Beendigung der Therapie sind meist keine erneuten Symptome zu erwarten. Engmaschiges Monitoring ist beim Ausschleichen jedoch erforderlich, um rechtzeitig Patienten zu identifizieren, bei denen die Fortführung der Therapie angezeigt ist. Eine Überprüfung der Symptomatik ist monatlich bis mindestens vier Monate nach Therapieende sinnvoll.

Was sagt die deutsche Leitlinie?

Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) und die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) haben gemeinsam mit 21 weiteren Organisationen von Heilberufen die S3-Leitlinie „Demenzen“ von 2009 vollständig überarbeitet und zu Beginn des Jahres 2016 veröffentlicht. Auch hierzulande sind nicht-pharmakologische Strategien wie psychosoziale Interventionen gleichrangige zentrale Bausteine in der Behandlung von Demenz-Erkrankungen. Eine klare Empfehlung gibt es neben der kognitiven Stimulation für Reminiszenzverfahren (Erinnerungstherapie), Ergo- und Aromatherapie sowie für Snoezelen (Aufenthalt in einem gemütlichen, angenehm warmen Raum mit leisen Klängen und Lichteffekten) und körperliche Aktivierung.

Behandlung von psychischen und Verhaltenssymptomen bei Demenz mit Empfehlungsgraden (A: „Soll“-Empfehlung, zumindest eine randomisierte kontrollierte Studie von insgesamt guter Qualität liegt vor; B: „Sollte“-Empfehlung, gut durchgeführte klinische, aber keine randomisierte Studien; 0: „Kann“-Empfehlung, Berichte von Experten oder Expertenmeinung) [2]

Darüber hinaus sollte angeboten werden, Angehörige im Umgang mit psychischen und Verhaltenssymptomen bei Demenz zu schulen, da dies möglicherweise Effekte auf Symptome beim Erkrankten haben kann. Wie in den US-amerikanischen Leitlinien wird die Gabe von Antipsychotika bei Demenz-Erkrankungen aufgrund des potenziell erhöhten Risikos für Mortalität und zerebrovaskuläre Ereignisse sowie der Gefahr einer beschleunigten kognitiven Verschlechterung kritisch gesehen. Die Leitlinie rät daher zu einem differenzierten Einsatz medikamentöser Therapien. Wenn zur Behandlung von agitiertem und aggressivem Verhalten Antipsychotika erforderlich sind, sollte bevorzugt Risperidon und alternativ Aripiprazol eingesetzt werden. Der Therapieversuch sollte zeitlich begrenzt und in der geringstmöglichen Dosierung erfolgen. Der Behandlungsverlauf muss engmaschig kontrolliert werden. Prinzipiell sollten bei Verhaltenssymptomen jedoch vor dem Einsatz von Antipsychotika sämtliche Möglichkeiten der psychosozialen Intervention ausgeschöpft werden. Dazu zählen unter anderem die Identifikation und Modifikation medizinischer, personen- und umgebungsbezogener Bedingungsfaktoren. Bei psychischen und Verhaltenssymptomen, die mit akuter Eigen- oder Fremdgefährdung einhergehen, ist eine pharmakologische Notfallbehandlung gerechtfertigt.

Die Kernaussagen der US-amerikanischen und der deutschen Leitlinie zum Einsatz von Antipsychotika bei Demenz sind also nahezu identisch. Nennenswerte Unterschiede sind die in der US-amerikanischen Leitlinie empfohlene quantitative Messung des Therapieerfolgs und die zeitlich definierte Therapiedauer von vier Monaten, die in der deutschen Leitlinie nicht vorgesehen sind. |

Quelle

[1] Reus VI et al. The American Psychiatric Association Practice Guideline on the Use of Antipsychotics to Treat Agitation or Psychosis in Patients With Dementia. Am J Psychiatry 2016;173(5):543-546

[2] S3-Leitlinie „Demenzen“, herausgegeben von der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) und der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN), AWMF-Register-Nr.: 038/013

Apothekerin Damaris Mertens-Keller

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