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Aus der Hochschule
Arzneimittel im Blick ökonomischer Forschung
Europatagung der Gesundheitsökonomen
Gastgeber der Tagung war das Hamburg Center for Health Economics unter der Leitung von Prof. Dr. Jonas Schreyögg. Das Programm stand unter dem Motto „Balancing Costs and Quality in Health Care“. Damit stellte sich die wissenschaftliche Fachgesellschaft der politischen Forderung, eine hohe Qualität der Gesundheitsversorgung zu akzeptablen Preisen zu ermöglichen. Auf die feierliche Eröffnung am 13. Juli im Hamburger Rathaus folgten drei Veranstaltungstage mit 137 Vortragsrunden in bis zu 14 parallelen Sitzungen mit weit über 500 Einzelvorträgen. Die weitaus meisten Referenten kamen von Universitäten aus ganz Europa, einige auch aus den USA, Kanada, Australien, Japan und weiteren außereuropäischen Staaten. Vortragende von nicht-universitären Einrichtungen bildeten nur eine kleine Minderheit. Dies zeigt, wie gut die Gesundheitsökonomie als Gegenstand der Forschung und Lehre mittlerweile international etabliert ist.
Vielfältige Tagungsinhalte
Die große Zahl paralleler Vortragsreihen unterstreicht die inhaltliche Breite des Faches. In vielen Vorträgen ging es um grundsätzliche ökonomische Fragestellungen wie die Bedeutung individueller Präferenzen, Verteilungsgerechtigkeit, die Konzeption von Versicherungen oder die Beziehung zwischen Gesundheit und Arbeitsmarkt. Einen weiteren Schwerpunkt bildeten Methoden für gesundheitsökonomische Evaluationen wie Kosten-Effektivitäts-Analysen sowie für Konzepte zur Ermittlung von Zeitpräferenzen oder der Lebensqualität. In den meisten Vorträgen wurden jedoch Ergebnisse empirischer Studien vorgestellt, die sich auf die unterschiedlichsten Fragen für die Versorgung von Kindern oder Senioren, bei verschiedenen Krankheiten, im Krankenhaus, in der Pflege oder in diversen anderen Fällen bezogen.
Fragen zur Bewertung und zum Einsatz von Arzneimitteln hatten einen beachtlichen Anteil. Doch auch dort dominierten unter den Referenten die Vertreter wirtschafts- oder gesundheitswissenschaftlicher Institute. So wurde wieder einmal deutlich, dass die Pharmazeuten nicht nur in Deutschland einen wesentlichen Aspekt der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Arzneimitteln anderen Fachgebieten überlassen haben.
Gemischte Preise für neue Arzneimittel
Einige Vorträge zeigten, wie eng aktuelle gesundheitspolitische Diskussionen und wissenschaftliche Arbeiten miteinander zusammenhängen können. Prof. Dr. Jürgen Wasem, der an der Universität Duisburg-Essen Medizinmanagement lehrt und Vorsitzender der Schiedsstelle für die Preisbildung bei neuen Arzneimitteln ist, ging auf „gemischte“ Preise für Arzneimittel ein, denen nur für Patienten-Subgruppen ein Zusatznutzen zugesprochen wurde. Die GKV argumentiere üblicherweise, ein gemischter Preis sollte ein gewichtetes Mittel aus angemessenen Preisen für alle Subgruppen sein. Dazu präsentierte Wasem eine Studie, wie die Krankenkassen mit den gemischten Preisen umgehen: Die Befragung von Kassenärztlichen Vereinigungen und Krankenkassen hatte eine geringe Rücklaufquote, aber bei den wenigen Antworten dominierte die Interpretation, dass die Verordnung solcher Arzneimittel bei den Indikationen ohne Zusatznutzen „nicht wirtschaftlich“ sei, weil der gemischte Preis, gemessen an den Vergleichsprodukten für diese Indikationen, zu hoch sei. Doch diese Praxis bei den Prüfungen der Verordnungen auf regionaler Ebene passt nach Einschätzung von Wasem nicht zur gesetzlichen Regelung, die einen einheitlichen Arzneimittelpreis für alle Indikationen vorsieht. Wasem sieht drei mögliche Alternativen:
- Es könnte gesetzlich festgelegt werden, dass die für neue Arzneimittel festgelegten Preise nicht Gegenstand regionaler Prüfungen sein dürfen,
- es könnten unterschiedliche Preise für dasselbe Arzneimittel bei verschiedenen Subgruppen festgelegt werden, oder
- die Verordnungsfähigkeit bei Indikationen ohne Zusatznutzen könnte ausgeschlossen werden, sodass ein höherer Preis für eine kleinere Anwendergruppe mit Zusatznutzen gebildet werden könnte. Dies beschränke allerdings die Auswahl der Ärzte bei individuellen Sonderfällen.
Wasem hält alle drei Optionen für besser als den derzeitigen Zustand.
Dr. Markos Dintsios, Düsseldorf, stellte eine Untersuchung zur Arbeit der Schiedsstelle für die Preisbildung vor. Er erinnerte daran, dass sich die Schiedsstelle auch an den Preisen in 15 anderen Ländern orientieren soll. Doch diese Länder seien teilweise ökonomisch nicht mit Deutschland vergleichbar, und einige davon richten ihrerseits ihre Preise an den deutschen Preisen aus. Dintsios resümierte, die Schiedsstelle fälle eher eigene „Wertentscheidungen“, als einen Ausgleich zwischen den unterschiedlichen Sichtweisen der GKV und der Hersteller zu suchen.
Die jüngsten Entwicklungen des Arzneimittelmarktes sind nicht nur Gegenstand empirischer Untersuchungen, sondern können auch neue theoretische Konzepte anregen. Beispielsweise präsentierte Prof. Dr. Paolo Pertile, Verona, wirtschaftswissenschaftliche Modelle zur Preisbildung für Arzneimittel mit unterschiedlicher Wirksamkeit in verschiedenen Subgruppen. Diese zielen zumindest theoretisch auf einen Preis, bei dem sowohl die Patienten als auch die Arzneimittelhersteller gewinnen.
Empirische Forschung
In den meisten Vorträgen der Tagung ging es um empirische Studien. So zeigte Prof. Dr. Kurt Brekke, Norwegian School of Economics, dass das 2005 in Norwegen eingeführte Festbetragssystem dort die Preise für Generika und Altoriginale gesenkt und die Arzneimittelausgaben reduziert hat. Aus deutscher Sicht besonders interessant war die Anmerkung, dass Festbeträge in Norwegen nur für feste orale Darreichungsformen gelten, weil andere Darreichungsformen generell als problematisch hinsichtlich der Vergleichbarkeit angesehen werden.
Prof. Dr. Margaret Kyle, Paris, präsentierte eine vergleichende Untersuchung zum Nutzen neuer Onkologika zwischen 1990 und 2011 in elf Ländern, in denen unterschiedlich viele Arzneimittel verfügbar waren. Gemäß dem von Kyle verwendeten Modell senkte jeder zusätzlich verfügbare Wirkstoff für eine bestimmte Krebsentität die altersadjustierte Sterblichkeit um 8,2 Prozent für Männer und um 9,3 Prozent für Frauen.
Dr. Katharina Fischer, Hamburg Center for Health Economics, beschrieb eine Untersuchung, nach der Arzneimittel mit jüngerem Zulassungsjahrgang in den USA eine höhere Therapietreue erzielen. Diese wird mit der „medication possession rate“ gemessen, also dem Verhältnis aus der Zahl der Tagesdosen, die ein Patient in der Apotheke erhält, zur Dauer des Behandlungszeitraums. Allerdings ergab sich die Verbesserung der Therapietreue nur für die Zulassungsjahrgänge der 1980er- und 1990er-Jahre im Vergleich zu älteren Arzneimitteln. Die häufig sehr komplexen Therapien, die ab 2001 eingeführt wurden, verbesserten die Therapietreue dagegen nicht weiter.
Systeme der Nutzenbewertung im Vergleich
Prof. Dr. Tom Stargardt, Hamburg Center for Health Economics, verglich (wie schon auf der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Gesundheitsökonomie, s. DAZ 2016, Nr. 13, S. 9) die frühen Nutzenbewertungen des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) und die pharmakoökonomischen Bewertungen in England, Schottland und Australien. Die Entscheidungen der dortigen Institutionen unterscheiden sich demnach so stark von denen des G-BA, dass praktisch keine statistische Korrelation festzustellen ist. Stargardt nannte als Beispiel u. a. Apixaban (Eliquis®): Hier betrachtet
- das G-BA nur Vitamin-K-Antagonisten als Vergleichssubstanzen,
- das britische National Institute for Clinical Excellence (NICE) dagegen auch andere neue orale Antikoagulanzien und
- die australische Behörde zusätzlich ASS.
In anderen Fällen unterscheiden sich die Endpunkte der Wirksamkeitsprüfung, z. B. kardiovaskuläre oder gesamte Mortalität, und generell sei das NICE eher als der G-BA bereit, Kurzzeitergebnisse auf lange Zeiträume zu extrapolieren, sofern keine erkennbaren Gründe dagegensprechen. |
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