DAZ aktuell

Neue Austauschverbote ab 1. August

Phenprocoumon darf nur noch wie verordnet abgegeben werden

BERLIN (ks) | Zum 1. August 2016 wird es ernst: Die zweite Tranche der Substitutionsausschlussliste tritt in Kraft. Neben dem Vitamin-K-Ant­agonisten Phenprocoumon (z. B. Marcumar®) sind bestimmte Darreichungsformen verschiedener Opioide und weiterer Antiepileptika von der Aut-idem-Substitution in der Apotheke ausgeschlossen. Rabattverträge haben das Nachsehen, wenn ein anderes als das rabattierte Arzneimittel verordnet ist.

Seit Dezember 2014 gehört sie zum Alltag jeder Apotheke: die Substitutionsausschlussliste des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA). Das Inkraft­treten der ersten Tranche dürfte vielen noch in Erinnerung sein – und zwar kaum in guter. Die Liste galt damals unmittelbar nach der Veröffentlichung im Bundesanzeiger – und das kam für alle Beteiligten reichlich plötzlich. Zeit, sie in die Apotheken-Software einzuspeisen, blieb nicht. Das erforderte besondere Achtsamkeit. Aber auch sonst herrschte vielfach Chaos (siehe nach­folgenden Artikel). Bei der zweiten Tranche wollte man es besser machen. Seit ihrer Veröffentlichung im Bundesanzeiger am 1. Juli ist ein Monat verstrichen. Zumindest die Software dürfte diesmal vorbereitet sein.

Kein Raum für Rabattverträge und pharmazeutische Bedenken

Die in der Substitutionsausschlussliste aufgeführten Wirkstoffe und Wirkstoffkombinationen dürfen in der Apotheke nur so abgegeben werden, wie sie der Arzt verordnet. Rabattverträge müssen nicht beachtet werden – sie dürfen es nicht einmal. Aber auch pharmazeutische Bedenken können nicht mehr angemeldet werden. Gerade dies sehen viele Apotheker kritisch. Doch letztlich ist die Liste gerade eine Folge dessen, dass Apotheken offenbar nur zurückhaltend Gebrauch vom Instrument der „pharmazeutischen Bedenken“ machten – genauso wie sich viele Ärzte scheuten, mit dem Aut-idem-Kreuz die Substitution in der Apotheke auszuschließen.

Marcumar® – ein Problem-Kandidat?

Hans-Rudolf Diefenbach, Apotheker aus Offenbach und hartnäckiger Mahner in Sachen Lieferengpässe, hatte Phenprocoumon kürzlich als neuen „Wackelkandidaten“ in der jetzt erweiterten Substitutionsausschlussliste bezeichnet. Schon bei den Levothyroxin-Kombinationen hatten Apotheken erleben müssen, was passiert, wenn Austauschverbot und Lieferengpass aufeinandertreffen.

Doch wie groß ist die Gefahr derzeit wirklich, ein Phenprocoumon-Präparat nicht zu erhalten? Diefenbach machte diese Woche den Check bei den Großhändlern Phoenix und Noweda. Es zeigte sich: Die meisten Marcumar®-Importe gab es ausreichend – die von Emra und Eurim waren begrenzt auf Lager. Auch Phenpro® Ratio und Phenpro® Acis war ausreichend vorhanden – wohingegen Phenpro® AAA bei beiden Großhändlern komplett defekt war.

Schwierigkeiten mit dem neuen Austauschverbot bei Marcumar® muss es aus Diefenbachs Sicht nicht zwingend geben. In seiner Apotheke werde seit Langem genau das verordnete Arzneimittel abgegeben – nötigenfalls würden pharmazeutische Bedenken geltend gemacht. „Insofern sollten bei der überwiegenden Zahl von Patienten keine Probleme auftauchen“, so Diefenbach gegenüber der DAZ. Allerdings müssten die Vorräte beim Großhandel und gegebenenfalls in den Apotheken angepasst werden.

Sollten die Apotheken hingegen bislang immer die vorgeschriebenen Rabattarzneimittel abgegeben haben, werde es zunächst zu Diskussionen und Rückfragen beim Arzt kommen.

Liste wächst auf 17 Positionen

Bislang waren neun Wirkstoffe/Wirkstoffkombinationen in bestimmten Darreichungsformen gelistet. Zum 1. August 2016 kommen weitere acht hinzu:

  • die Opioide Buprenorphin (Pflaster), Oxycodon (Retardtabletten) sowie Hydromorphon (Retardtabletten), soweit sie eine unterschiedliche Applikationshöchstdauer bzw. -häufigkeit aufweisen,
  • die Antiepileptika Phenobarbital (Tabletten), Primidon (Tabletten), Carbam­azepin (Retardtabletten) und Valproinsäure (Retardtabletten) sowie
  • der Vitamin-K-Antagonist Phenprocoumon (Tabletten).

Asthmamittel und Dermatika bleiben außen vor

Dabei handelt es sich um Wirkstoffe aus Therapiefeldern, für die bei der ersten Tranche keine abschließende Prüfung möglich war. Auch in der zweiten Tranche gab es zu einzelnen Positionen Differenzen – doch am ­Ende gab es ein Ergebnis.

Geprüft hatte der G-BA unter anderem auch einen Ausschluss von Inhalativa zur Behandlung von Asthma bronchiale/COPD und äußerlich anzuwendende Dermatika zur Behandlung der Psori­asis. Für sie sah der G-BA die Kriterien für die Notwendigkeit eines generellen Aut-idem-Verbots jedoch letztlich als nicht erfüllt an. Hier muss also bei bewusst gewolltem Ausschluss der Arzt sein Aut-idem-Kreuz setzen beziehungsweise der Apotheker pharmazeutische Bedenken anmelden.

Die ABDA hatte sich im Stellungnahmeverfahren zur zweiten Tranche nicht gänzlich zufrieden gezeigt. So hatte sie etwa im Falle von Oxycodon für eine generelle Aufnahme aller modifiziert freisetzenden Darreichungsformen in die Substitutionsausschlussliste plädiert. Auch alle Retardformen der Antiepileptika Carbamazepin und Valproinsäure hätte sie lieber mit einem Austauschverbot belegt gesehen.

Die Aufnahme von Phenprocoumon-Tabletten in die Liste hatte die ABDA begrüßt – sie hätte allerdings gern auch Filmtabletten eingeschlossen gesehen.


Tab. 1: Substitutionsausschlussliste nach der Arzneimittelrichtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses Anlage VII (Teil B) inklusive der Wirkstoffe der zweiten Tranche (fett) nach der Beschlussfassung des G-BA vom 21. April 2016. Arzneimittel, die einen in der Anlage gelisteten Wirkstoff in einer der aufgeführten Darreichungsformen enthalten, dürfen nicht gemäß § 129 Absatz 1 Satz 1 Nr. 1b SGB V in Verbindung mit dem Rahmenvertrag nach § 129 Absatz 2 SGB V durch ein wirkstoffgleiches Arzneimittel ersetzt werden.
Wirkstoff
Darreichungsformen
Betaacetyldigoxin
Tabletten
Buprenorphin
transdermale Pflaster mit unterschiedlicher Applikationshöchstdauer (z. B. bis zu drei bzw. bis zu vier Tage) dürfen nicht gegen­einander ersetzt werden.
Carbamazepin
Retardtabletten
Ciclosporin
Lösung zum Einnehmen
Ciclosporin
Weichkapseln
Digitoxin
Tabletten
Digoxin
Tabletten
Hydromorphon
Retardtabletten mit unterschiedlicher täg­licher Applikationshäufigkeit (z. B. alle zwölf bzw. 24 Stunden) dürfen nicht gegeneinander ersetzt werden.
Levothyroxin-Natrium
Tabletten
Levothyroxin-Natrium + Kalium­iodid (fixe Kombination)
Tabletten
Oxycodon
Retardtabletten mit unterschiedlicher täg­licher Applikationshäufigkeit (z. B. alle zwölf bzw. 24 Stunden) dürfen nicht gegeneinander ersetzt werden.
Phenobarbital
Tabletten
Phenprocoumon
Tabletten
Phenytoin
Tabletten
Primidon
Tabletten
Tacrolimus
Hartkapseln
Valproinsäure (auch als Natriumvalproat und Valproinsäure in Kombination mit Natriumvalproat)
Retardtabletten

Nicht zuletzt hatte die ABDA eine Regelung für den Fall der Nichtlieferbarkeit angeregt. Wenn eine unverzügliche Abgabe, etwa im Notdienst, nötig, das Arzneimittel aber nicht verfügbar ist, sollte die Apotheke ein wirkstoffgleiches Arzneimittel abgeben dürfen. Auch damit konnte sie sich beim G-BA nicht durchsetzen. Dafür kann sie es als Erfolg verbuchen, dass nun mindestens vier Wochen zwischen Beschlussveröffentlichung und Inkrafttreten liegen müssen.

Eine lange Vorgeschichte

Die Substitutionsausschlussliste hat eine lange Geschichte. Ab Herbst 2012 fand sich die Rechtsgrundlage für eine solche Liste im Sozialgesetzbuch, 5. Buch. Der Gesetzgeber hatte es eigentlich dem GKV-Spitzenverband und dem Deutschen Apothekerverband überlassen wollen, eine Liste mit Wirkstoffen zu erstellen, die nicht in der Apotheke ausgetauscht werden sollen. Sie sollte Bestandteil des Rahmenvertrags über die Arzneimittelversorgung werden. Doch einmal mehr konnten sich DAV und GKV-Spitzenverband nicht einigen. Die Politik begann Druck zu machen und setzte eine Frist zur Einigung. Die Probleme blieben – und im Herbst 2013 wurde die Schiedsstelle angerufen. Die machte sogar schon einen Vorschlag für die ersten beiden Wirkstoffe. Doch der Gesetzgeber hatte offenbar genug davon, dass GKV-Spitzenverband und DAV nur noch mithilfe der Schiedsstelle zu einer Einigung kommen konnten. Er entschied jedenfalls, die Erstellung der Liste doch lieber dem Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) zu übertragen – und zwar gleich mit gesetzlicher Fristsetzung. Im April 2014 war es dann so weit. Seitdem steht in § 129 Abs. 1a SGB V, dass der G-BA in seinen Richtlinien festlegen muss, welche Arzneimittel nicht durch ein wirkstoffgleiches Präparat ausgetauscht werden dürfen. Insbesondere Arzneimittel mit geringer therapeutischer Breite sollen berücksichtigt werden. Und so kam es, dass die erste Tranche tatsächlich schon im Dezember 2014 in Kraft treten konnte. Mit der Erweiterung ließ sich der G-BA dann allerdings wieder mehr Zeit. Es wurde lange beraten – bis im April 2016 die Wirkstoffe für die zweite Tranche feststanden. Dann dauerte es nochmal – das Bundesgesundheitsministerium konnte den Beschluss des G-BA nochmals prüfen, hatte aber offensichtlich keine Einwände: Damit gilt ab kommender Woche die neue Liste mit ­nunmehr 17 Positionen. |

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