Arzneimittel und Therapie

Ohne Umwege gegen Mittelohrentzündungen

Antibiotika-Gel soll Therapieprobleme lösen

ms | Die orale Antibiotika-Therapie von Kindern mit Mittelohrentzündung ist langwierig und häufig mit Nebenwirkungen verbunden. Nicht selten kommt es zu Therapie­fehlern. Schlechte Compliance oder ein zu frühes Absetzen der Arzneimittel lassen die Gefahr wiederkehrender Infektionen steigen. Ein lokal anzuwendendes Gel soll in Zukunft die Therapie effektiver und einfacher machen.

Mittelohrentzündungen gehören zu den häufigsten bakteriellen Infektionen im Kindesalter und stellen eine der Hauptursachen für eine Antibiotika-Therapie in der Pädiatrie dar. Rund 90% aller Kleinkinder sind bis zu ihrem fünften Lebensjahr einmal im Leben betroffen. Die orale Gabe von Antibiotika kann sich mitunter bei Kleinkindern schwierig gestalten. Darüber hinaus müssen oral hohe Dosierungen eingenommen werden, damit am Zielort eine ausreichend hohe Konzentration erreicht wird, die wiederum Nebenwirkungen wie Diarrhö, Hautausschlag oder Mundfäule bedingen. Zudem brechen viele Eltern die Therapie zu früh ab, weil sich das Kind bereits besser fühlt. Dies erhöht die Gefahr wiederkehrender Infektionen und die Entwicklung Antibiotika-resistenter Bakterien. Ein Forscherteam aus Boston nahm sich nun dieser Problematik an. Ihr Ziel: Eine Darreichungsform zu entwickeln, die nur einmal appliziert werden muss und die den Wirkstoff direkt an den Ort des Geschehens bringt.

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Schmerzen im Ohr. Die Therapie der Mittelohrentzündung ist bei Kindern bislang nicht ganz einfach.

Das Trommelfell als Barriere

Für dieses Ziel sind mehrere Anforderungen an das Arzneimittel notwendig. Trotz einmaliger Gabe muss der Wirkstoff über den gesamten Therapiezeitraum in ausreichender Konzentration am Mittelohr vorhanden sein. Außerdem muss das Arzneimittel dem Wirkstoff ermöglichen, das Trommelfell zu durchdringen. Dieses ist zwar sehr dünn, stellt aber aufgrund seiner lipidreichen Hornhautschicht eine schwer zu überwindende Barriere dar. Als Grundlage wurde ein Hydrogel gewählt, das mit dem Copolymer Poloxamer-407-Polybutylphosphoester (P407-PBP) geliert wurde. Poloxamer ist ein Blockpolymer aus Polyethylenglykol (PEG) und Polypropylenglykol (PPG). Oberhalb einer bestimmten Temperatur nimmt die Löslichkeit der PPG-Kette ab, weshalb sich Mizellen bilden mit nach innen gerichtetem PPG-Anteil und hydratisiertem PEG-Anteil außen. Die Mizellen lagern sich aneinander und bilden ein Assoziationskolloid. Es entsteht eine Gelmesophase. Die Verbindung mit PBP verbessert die Gelierfähigkeit im fertigen Produkt (siehe Kasten). Diese Eigenschaft bringt den Vorteil, dass das Gel während der Applikation flüssig ist und sich erst im Ohrkanal verfestigt, wo es nach und nach den Wirkstoff freigibt. Um die Barriere des Trommelfells zu überwinden, wurden dem Gel sogenannte chemische Penetrationsbeschleuniger (chemical penetration enhancers, CPEs) zugesetzt. Es handelt sich dabei um Limonen, Natriumdodecylsulfat und Bupivacain. Die Stoffe sind den Lipiden des Trommelfells sehr ähnlich. Sie lagern sich in die Membran ein und bilden Poren, durch die der Wirkstoff hindurchgelangt. Bei den verwendeten CPEs handelt es sich um von der FDA zugelassene Hilfsstoffe.

Probleme in der Galenik

Zu Beginn der Entwicklung wurden Formulierungen mit Poloxamer 407 getestet. Durch den Zusatz der drei chemischen Penetrationsbeschleuniger (CPEs) verloren die Gele ihre Fähigkeit, oberhalb der kritischen Temperatur ein Gel zu bilden. Der Effekt könnte darauf beruhen, dass sich die CPEs an den Propylenglykol-Teil des Polymers angelagert hatten. Dessen Lipophilie wurde dadurch gesenkt, weshalb es zu keiner Mizellen-Bildung kam. Deshalb wurden die hydrophilen Enden des Gelbildners mit Polybutylphosphorester-Molekülen verknüpft, sodass die hydrophoben Eigenschaften verstärkt wurden. Nach Zusatz der CPEs wurde die Gelierungsfähigkeit sogar noch verbessert. In Ex-vivo-Experimenten wurden die Wirkstofffreisetzung aus der 1%-Ciprofloxacin-Formulierung und die Penetration des Antibiotikums durch das Trommelfell für unterschiedliche Konzentrationen des Gelbildners bestimmt. Die optimale Konzentration betrug 12%.

Im Tiermodell schon erfolgreich

In einem Tierversuch wurden Chinchillas mit Haemophilus influenzae infiziert. Die so entstandene Mittelohrentzündung wurde lokal entweder mit Ohrentropfen, einer von zwei Gelformulierungen oder gar nicht behandelt. Die Gele enthielten beide CPEs, unterschieden sich lediglich darin, ob sie Poloxamer 407 oder P407-PPG enthielten. Alle Arzneimittel enthielten 1% Ciprofloxacin. Zehn von zehn Tieren, die mit der P407-PPG-Formulierung behandelt wurden, zeigten nach sieben Tagen keine Anzeichen einer Infektion. Zum Vergleich: Die Therapie mit Ciprofloxacin-Ohrentropfen war nur bei fünf von acht Tieren erfolgreich. Auch nach Anwendung des Poloxamer-Gels wurden nur 60% der Tiere geheilt. Während und nach der Therapie mit dem P407-PPG-Gel konnten keine Antibiotika-Konzentrationen im Blut der Tiere nachgewiesen werden. Als Nebenwirkung wurde ein leichter Gehörverlust bemerkt. Dieser war aber physikalisch bedingt und nach dem Abbau des Gels reversibel. Die Trommelfelle der behandelten Tiere waren histologisch denen von gesunden Tieren ähnlich, wohingegen kranke unbehandelte Tiere zehnfach dickere Trommelfelle hatten. Aus den Berechnungen anhand der Daten aus dem Tiermodell schließen die Autoren, dass das Arzneimittel auch am dickeren menschlichen Trommelfell angewendet werden kann.

Trotz Bedenken vielversprechend

Die im Versuch verwendeten Haemophilus influenzae sind für ca. 60% aller Mittelohrentzündungen verantwortlich. Ob die Formulierung auch bei anderen Otopathogenen wirksam ist, bleibt fraglich. Auch wenn es gute Relationen zwischen dem gewählten Tiermodell und klinischen Studien am Menschen gibt, könnten die Ergebnisse doch abweichen. Nichtsdestotrotz ermöglicht die lokale, transtympanische (durch das Trommelfell) Applikation von Antibiotika, die Compliance durch einmalige Anwendung zu verbessern und systemische Nebenwirkungen zu vermeiden. Die Formulierung könnte auch mit anderen Antibiotika kompatibel sein. Die ersten Ergebnisse aus klinischen Versuchen am Menschen bleiben abzuwarten. |

Quelle

Yang R et al. Treatment of otitis media by transtympanic delivery of antibiotics. Science Translational Medicine 14 September 2016; Vol 8 Issue 356 356ra120

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