Retaxfall des Monats

Im Sinne der Krankenkasse

Wann sind pharmazeutische Bedenken ausreichend begründet?

DAP | Apotheker können von der Substitution bzw. der Abgabe rabattbegünstigter Arzneimittel absehen, wenn dem im konkreten Einzelfall – aus Sicht des Apothekers – pharmazeutische Bedenken entgegenstehen. Dass den Krankenkassen nicht jede Begründung recht ist, zeigt folgender Retaxfall.

Für die Anwendung Pharmazeutischer Bedenken muss gemäß § 4 Abs. 3 Rahmenvertrag das Sonderkennzeichen 02567024 in Verbindung mit Faktor 6 auf das Rezept gedruckt und zusätzlich eine stichwortartige Begründung notiert werden. Dass ein Fehlen der Begründung oder auch das Fehlen des Sondervermerks zu keiner Retaxierung führen darf, wurde auf Grundlage eines Schiedsspruchs in § 3 des Rahmenvertrages aufgenommen, der zum 01. Juni 2016 in Kraft trat.

§ 3 Abs. 1 Nr. 7 Buch­stabe c. Rahmenvertrag

„Der Vergütungsanspruch des Apothekers entsteht trotz nicht ordnungsgemäßer vertragsärztlicher Verordnung oder Belieferung dann, wenn […] es sich um einen unbedeutenden […] insbesondere formalen Fehler handelt. Dies ist insbesondere der Fall, wenn […]

c. die Apotheke in den Fällen […] des § 4 Abs. 3 Satz 3 i. V. m. § 17 Abs. 5 ApBetrO (pharmazeutische Bedenken) dieses Vertrages

(a) entweder nur das vereinbarte Sonderkennzeichen oder

(b) nur einen Vermerk auf der ­Verordnung aufträgt oder

(c) im Fall, dass Vermerk und ­Sonderkennzeichen auf der ­Verordnung fehlen, einen objek­tivierbaren Nachweis im Beanstandungsverfahren erbringt.“

Einige Krankenkassen haben jedoch bekannt gegeben, die neuen Regeln erst für Arzneimittelabgaben ab dem 01.06.2016 anzuwenden, und nicht (wie vom Apothekerverband gefordert) für Retaxationen ab diesem Datum. Bis zu einer eindeutigen Klärung werden somit Rezepte mit Abgabedaten vor dem 01.06.2016 nach dem alten Rahmenvertrag retaxiert. So geschehen in folgenden Fällen, in denen die DAK Gesundheit mehrere gleichlautende Verordnungen über „Madopar LT 100 Tbl. N3“ aus den Monaten November und Dezember 2015 sowie Januar 2016 aufgrund von „Nichtabgabe eines Rabattarzneimittels“ und fehlender Begründung von pharmazeutischen Bedenken retaxierte.

Fehlte der Grund tatsächlich?

Rabattartikel waren zum Abgabezeitpunkt Präparate der Hersteller Stada, Teva und Neuraxpharm. Die Apothekerin hatte jedoch aus folgenden Gründen Bedenken, den Austausch auf eines der Rabattarzneimittel vorzunehmen:

1. Es handelte sich um einen älteren multimorbiden Patienten (kritische Patientengruppe).

2. Es handelte sich um eine Parkinson-Therapie, die eine genaue Einstellung und gleichmäßige Wirkspiegel erfordert (kritische Arzneimittelgruppe).

3. Das verordnete Präparat kann anders als die Rabattartikel suspendiert werden (Patienten mit Schluckbeschwerden).

Als Begründung schrieb die Apothekerin nur den Begriff „Heimbewohner“ auf die Verordnung, der Ihrer Ansicht nach die oben genannten Probleme implizierte (siehe Abb.). Das Sonderkennzeichen und Faktor 6 waren ordnungsgemäß auf die Rezepte gedruckt. Die DAK ­retaxierte trotzdem wegen fehlender Begründung der pharmazeutischen Bedenken. Da jedoch offensichtlich ­eine Begründung vorlag und das ­Sonderkennzeichen vertragsgemäß aufgebracht war, legte die Apothekerin Einspruch ein.

Einspruch abgelehnt

Ungeachtet der neuen und sinnvollen Regelungen im Rahmenvertrag lehnte die Krankenkasse den Einspruch jedoch mit folgender Begründung ab:

„Die Bedenken sind entsprechend des jeweiligen Sachverhaltes auszuformulieren. […] Diese Dokumentation hat zum Zeitpunkt der Abgabe zu erfolgen. Dies ist selbsterklärend, da die Gründe für die Nichtabgabe eines rabattbegünstigten Arzneimittels zum Zeitpunkt der Belieferung vorliegen und nicht erst zu einem späteren Zeitpunkt. Die nachträgliche Heilung des Mangels ist daher nicht möglich. Es würde zu einer erheblichen und mit den Erfordernissen einer Massenverwaltung nicht zu vereinbarenden Erschwerung des Abrechnungsverfahrens führen, wenn es trotz des eindeutigen Wortlauts der Abgabebestimmungen nachträglich noch zulässig wäre, Gründe für die Nichtabgabe eines rabattierten Arzneimittels nachzuschieben. Der Vermerk „Heimbewohner“ ist kein Nachweis für Pharmazeutische Bedenken.“

Insbesondere vor dem Hintergrund der Neuregelung in § 3 Rahmenvertrag, nach der sogar eine fehlende Begründung keinen Retaxgrund mehr darstellt, sollte die Krankenkasse bei einer vorhandenen Begründung, die je nach Betrachtungsweise als ausreichend oder nicht eingestuft werden kann, eine nachträgliche Erläuterung akzeptieren. Eine partnerschaftliche Verhaltensweise wäre in Fällen wie diesen wünschenswert. Die Retaxationen sind zurückzunehmen. |

Apothekerin Juliane Brüggen, DAP-Team

Apothekerin Heike Warmers, DAP-Team


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