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Gesundheit ist keine Ware!

Foto: DAZ/Kahrmann
Dr. Benjamin Wessinger, Chefredakteur der DAZ

Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs, dass die deutsche Preisbindung bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln nicht für ausländische Versandapotheken gilt, zeigt einmal mehr, wie problematisch es ist, wenn das Gesundheitswesen nur als Markt betrachtet wird. Dass in der Folge ausgerechnet die Sozialdemokraten der Merkantilisierung des Gesundheitswesens das Wort reden, ist bemerkenswert (wenn auch vielleicht nicht ganz so erstaunlich, wenn man weiß, dass ihr prominentester Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach Aufsichtsrat beim privaten Krankenhausbetreiber Rhön-Kliniken war). Ebenso unverständlich ist und bleibt, warum die Grünen in weiten Teilen nicht in der Lage sind, das von ihnen sonst so viel beschworene Konzept dezentraler Versorgung auch auf das Gesundheitssystem auszuweiten.

Unser gesamtes deutsches Gesundheitssystem basiert auf einheitlichen Preisen – beim Arzt, im Krankenhaus, in der Apotheke. Auch die Beiträge im gesetzlichen Krankenkassensystem basieren auf der Einheitlichkeit – wenigstens innerhalb einer Krankenkasse und was ihren Anteil am Einkommen betrifft. Es gilt: Wer krank ist, muss deswegen keinen höheren Beitrag bezahlen. Wenn viele Menschen krank sind, werden Behandlung und Arzneimittel nicht teurer. Patienten auf dem „flachen Land“ müssen keine höheren Zuzahlungen leisten als die in der Stadt. Die allermeisten Deutschen dürften diesen Grundsatz gutheißen, wenn sie ein wenig darüber nachgedacht haben.

Die einheitlichen Preise haben auch noch einen anderen Grund: Sie schützen die Leistungserbringer vor wirtschaftlicher Überforderung und vor ruinösen Preiskämpfen – und sichern so die flächendeckende Versorgung. Sie tun dies aber nicht dem Leistungserbringer zuliebe, sondern für die Patienten!

Den Apotheken beispielsweise sind mannigfaltige Pflichten auferlegt, die sich betriebswirtschaftlich nur in den seltensten Fällen rechnen: Rezepturherstellung oder Nacht- und Notdienste sind nur zwei besonders prominente Beispiele dafür.

Diese sogenannten Gemeinwohlpflichten werden dem Apotheker nicht kostendeckend (oder gar gewinnbringend) einzeln vergütet, wenn er sie erbringt. Sondern durch das „normale“ Honorar, das er für die Abgabe von Arzneimitteln bezieht, wird die Bereitstellung bzw. Vorhaltung mitfinanziert. Auch Apotheker, die nur sehr selten Rezepturen anfertigen (müssen), halten einen Herstellungsarbeitsplatz und ein Apothekenlabor vor. Es gehört zu den besonderen Absurditäten des EuGH-Urteils, dass es diesen Zusammenhang zwischen dem „normalen“ Apothekenhonorar und der Erbringung von Gemeinwohlpflichten nicht nur ignoriert, sondern argumentativ auf den Kopf stellt. In der Konsequenz sollen nun diejenigen Apotheken, die gerade nicht an der Erfüllung der Gemeinwohlpflichten teilhaben, dafür mit einem Wettbewerbsvorteil belohnt werden. Welche Konsequenzen diese Argumentation für andere Bereiche – nicht nur im Gesundheitswesen – haben könnte, sollte gut bedacht werden!

Die Versender erfüllen diese Gemeinwohlpflichten nicht, stattdessen locken sie Patienten mit Nachlässen und Bonusprogrammen. Und anstatt dass die Krankenkassen dies mit den Maßnahmen des Rahmenvertrags unterbinden, wollen sie diese Nachlässe nun selbst „einstreichen“ – und bringen so ein gutes und bewährtes System ins Wanken. Eines sollten alle „Liberalisierer“ und „Deregulierer“ bedenken: Es gab gute Gründe für die Einführung dieser Regelungen. Wer sie nun schleifen will, muss sagen, wie ihr Zweck zukünftig erfüllt werden soll. Diese Antwort haben aber die Versandapotheken und Krankenkassen in der Frage der flächendeckenden Arzneimittelversorgung bisher nicht gegeben. Dabei ist klar: Weder Akutversorgung noch Notdienst oder Rezepturherstellung kann der Versand in der Fläche anbieten!

Dr. Benjamin Wessinger


Lesen Sie zu diesem Editorial unser Spezial "Nach dem EuGH-Urteil - Wie geht es weiter?"

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