- DAZ.online
- DAZ / AZ
- DAZ 47/2016
- „Insulin“ für ...
Kongresse
„Insulin“ für psychische Erkrankungen
Ein Plädoyer für die Akzeptanz und frühzeitige medikamentöse Behandlung
„Sie müssen sich täuschen lassen, wenn Sie gesund sein wollen.“
Wie schon in den Jahren zuvor war der wissenschaftliche Fortbildungskongress mit 1000 Teilnehmern vollständig ausgebucht, über 100 Interessierten musste die Landesapothekerkammer auch in diesem Jahr wieder eine Absage erteilen. Das spricht für die Konzeption des Kongresses, für die die Vizepräsidentin der Landesapothekerkammer Baden-Württemberg, Silke Laubscher und ihre Kolleginnen Andreas Litzinger und Dr. Bianca Scholz verantwortlich zeichnen. Auch in diesem Jahr ist es ihnen wieder gelungen, ein hochkarätiges Programm auf die Beine zu stellen. Der Pharmakologe Prof. Dr. Thomas Herdegen gab in seinem Eröffnungsvortrag mit dem Titel „Neurochemie der Gehirnfunktionen – ein Wechselbad der Gefühle“ einen Einblick in die faszinierende und immer noch geheimnisvolle Welt der Funktionsweise unseres Gehirns. Diese waren zum Teil sehr desillusionierend: „Wir erkennen nur, was das Gehirn uns zu erkennen erlaubt!“ und „Es ist nicht die Aufgabe des Gehirns, wahrzunehmen, wie die Welt wirklich ist!“ Dabei gibt es eine Aufgabenteilung zwischen linker und rechter Gehirnhälfte. „Während die rechte Gehirnhälfte sehr exakt arbeitet, lügt die linke Gehirnhälfte Ihnen die Hucke voll!“, so Herdegen zu der Frage „Was ist wahr?“ In dem Zusammenspiel der Neurotransmitter kommt Dopamin eine ganz besondere Rolle zu: „Kein Molekül ist so vielfältig, es hält uns auf Trapp!“, so Herdegen. Es spielt eine zentrale Rolle bei der Sucht. So können Dopaminagonisten beispielsweise die Spielsucht fördern. Aber Dopamin ist nicht für das Glücksgefühl zuständig, das übernehmen das Endocannabinoidsystem und Endorphine.
„Die Behandlung ist keine Katastrophe, aber unbehandelt kann sie eine werden!“
ADHS: das Kind leidet!
Störungen innerhalb des Neurotransmittersystems führen zu unterschiedlichen psychischen Erkrankungen. Im Mittelpunkt des Heidelberger Fortbildungskongresses standen Psychosen, Aufmerksamkeits-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) und das Burn-out-Syndrom als depressive Reaktion. Prof. Dr. Luise Poustka, Wien, beschrieb ADHS als eine Störung, die mit Stimulanzien wie Methylphenidat (Ritalin®) sehr gut zu behandeln ist. Sie beklagte, dass Eltern mit ihren Kindern oft viel zu spät therapeutische Hilfe suchten, eben immer dann, wenn die Kinder schon sehr schwer beeinträchtigt sind. Eine bessere Akzeptanz der Therapie mit Psychopharmaka und ein frühzeitiger Beginn der Therapie könne den Kindern viel Leid ersparen.
Ausgebrannt und ohne Freude
Einen leidvollen Weg haben auch viele Patienten vor sich, die von einem Burn-out betroffen sind. Aber auch hier ist es möglich, mit einer Kombination von Psychopharmaka und Psychotherapie die Erkrankung zu meistern. Das wurde in einem Gespräch zwischen der Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie und Burn-out-Spezialistin Dr. med. Dagmar Ruhwandl, München, mit einer ehemaligen Burn-out-Betroffenen deutlich. Eindrucksvoll wurde der Weg in das Burn-out geschildert, alles allen Recht zu machen, nicht Nein sagen zu können, sich selbst so zu überlasten, bis nichts mehr geht, das Wehren gegen die Einsicht, krank zu sein und Hilfe zu benötigen. Als dann klar war, dass es ohne professionelle Hilfe nicht mehr ging, stellten die vielen Telefonate und Absagen bei der Suche nach einem Psychotherapeuten die nächste Hürde dar. Auch den Rat, die Therapie medikamentös zu unterstützen, konnte die Betroffene nicht sofort annehmen. Zu groß waren die Ängste vor Persönlichkeitsveränderungen durch Psychopharmaka und Abhängigkeit. Ruhwandl erklärte, dass bei Burn-out in der Regel auf SSRI zurückgegriffen wird. In diesem Fall wurde der Betroffenen Citalopram empfohlen. Erst nach intensiver Überzeugungsarbeit von Hausarzt, Psychiater und einer Apothekerin, die ihr Wirkung und Nebenwirkungen erklärt haben, hat sie sich auf die medikamentöse Behandlung eingelassen. Diese Behandlung wurde begleitet von einer Verhaltenstherapie. Eine direkte Citalopram-Wirkung hat die Patientin nicht verspürt, aber auch keine Nebenwirkungen und auch keine Entzugserscheinungen beim Absetzen.
„Bei einem Diabetiker würde man nicht auf die Idee kommen, über einen Insulinverzicht zu diskutieren.“
Dr. Ruhwandl kritisierte, dass bei Erkrankungen der Psyche immer noch die Schuld dem Patienten zugeschoben wird, dass man immer noch den Erkrankten suggeriert, dass sie sich nur zusammenreißen müssen und dass Psychopharmaka auf große Ablehnung stoßen. Für die Betroffenen sei das ein doppelter Teufelkreis. Diesen zu durchbrechen, koste viel Überzeugungsarbeit. |
0 Kommentare
Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.