Management

Nicht beißen!

Vom Umgang mit Aggressionen gegenüber Kunden und Kollegen

Sicher schaffen wir es im Apothekenalltag in den meisten Fällen, Ärger und Wut zurückzuhalten. Auf Dauer ist das Schlucken jedoch ungesund. Es gibt auch andere Wege, mit inneren „wilden Wallungen“ umzugehen, ohne den Kunden anzufahren oder die Kollegin zu beleidigen. Von Ute Jürgens

Die ursprüngliche Bedeutung des Wortes Aggression hilft schon viel weiter: Es leitet sich vom lateinischen „aggredi“ ab, das u. a. mit „sich in die Auseinandersetzung hineinbegeben“ übersetzt wird. Vom Wortsinn her ist es erst einmal neutral: Ich möchte mich mit jemanden über etwas austauschen, jeder macht seinen Standpunkt klar. Die Bedeutung hat sich mittlerweile gewandelt, laut Duden geht es im heutigen Verständnis um einen Angriff und um feind­seliges Verhalten.

Foto: chalabala – stock.adobe.com

Wohl dem, der mit seiner Wut hinterm Zaun halten kann. Runterschlucken ist auf Dauer aber auch keine gute Lösung. Wie also mit (vielleicht manchmal berechtigtem) Zorn umgehen, ohne sein Gegenüber und sich zu gefährden?


Wut, Ärger und Zorn gelten als ­negative Gefühle und werden verdrängt und abgespalten. Der Theologe und Autor Pierre Stutz warnt davor, da es „bedeutet, ständig auf der Flucht vor sich selbst zu sein und im schlimmsten Fall Krieg ­gegen sich selbst zu führen mit krankmachenden Überforderungsprogrammen …“

Welche typischen Situationen gibt es in der Apotheke, die uns ärgern und unseren Unmut auslösen? Da haben wir den Kunden, der uns gleich morgens mit den Vorwürfen aus dem gestrigen TV-­Magazin konfrontiert: „Alle“ Apotheken ­betrügen die Krankenkassen, „alle“ Apotheker tun nichts, verdienen aber viel Geld. Kurz: Der alte Mythos der Apotheke als Goldgrube ist mal wieder ein gefundenes Fressen.

Daneben gibt es mancherlei ab­struse Provokation wie „Ach, Geld wollen Sie auch noch? Ich habe doch schon so lange beim Arzt gewartet!“, „Können Sie denn nie genug kriegen?“ und dergleichen mehr.

Eine andere Gelegenheit: Wir haben es eilig, der Kunde sucht entsetzlich lange nach Kleingeld. Hier geht es eher um fehlende Geduld, genauso wie bei jemand, der sich absolut nicht entscheiden kann, was er nun genau nehmen möchte.

Ähnlich „reizend“ verhalten sich gelegentlich die Kolleginnen*: Wir müssen ihnen hinterherarbeiten und Fehler korrigieren, sie drücken sich vor ungeliebten Arbeiten, sie notieren Informationen ungenau, lassen Dinge liegen, anstatt sie wegzuräumen, oder verpacken etwas so, dass es niemand wiederfindet. All dies entdecken wir natürlich gerade dann, wenn die „Schuldigen“ nicht mehr da sind und nicht befragt werden können.

Wozu Aggressionen gut sind, erschließt sich bei näherer Betrachtung. Sie zeigen auf, wo unsere Interessen, Werte, Befindlichkeiten und Wünsche nicht mit denen des Gegenübers übereinstimmen. Hier kann ich mich fragen: „Ist es mir tatsächlich so wichtig, warum bzw. wozu?“, „Was will ich wirklich?“, „Wie mache ich meinem Gegenüber meine Wünsche klar?“. Ein zweiter Vorteil geht in eine ganz andere Richtung: Ich lerne mein Veränderungspotenzial kennen, zum Beispiel mehr Geduld zu entwickeln und damit auch mehr Ruhe für mich zu gewinnen. Oder ich frage mich zweimal, ob wirklich jede Kollegin meine Notizen versteht, selbst wenn sie gar nichts von dem Vorgang weiß, und trainiere, mich präzise und klar auszudrücken.

Enttäuschungen gehören zum Leben dazu, sie zeigen, was jetzt gerade nicht gelingt. Ich kann es im Blick behalten, vielleicht klappt es morgen oder in einem Monat besser, wenn ich daran arbeite.

Selbstvertrauen stärken – stolz auf sich sein

„Jeder nette Gedanke über mich macht mich stärker“, äußert die Psychologin Anne Katrin Matyssek in ihrem Care-Cracker-Buch. Seien Sie großzügig mit Selbstlob und vergegenwärtigen Sie sich täglich, was Sie heute wieder gut hinbekommen haben. Wenn wir immer mal wieder Herausforderungen annehmen, überraschen wir uns häufig selbst mit unserem Können. Welche neuen Stärken lernen Sie an sich kennen? Gibt es in der Apotheke eine neue Aufgabe – übernehmen Sie sie! Sie haben sowieso schon mehr als genug Arbeit? Besprechen Sie mit den Kolleginnen, was davon Sie abgeben können, um freie Kapazitäten zu schaffen. Erkennen Sie sich selbst an, wenn Sie das Neue gut erledigen. Die Wertschätzung durch andere Menschen ist ganz wunderbar, wir sind aber nicht nur darauf angewiesen, sondern geben uns auch selbst Achtung, Lob und Bestätigung.

Der Überforderung Einhalt gebieten

Oft sind wir gereizt, weil wir merken, dass wir unsere Ziele nicht erreichen können. Sie sind zu hoch gesteckt. Vielleicht sind es aber auch gar nicht die eigenen Ziele, sondern Aufgaben, die jemand anders gestellt hat. Hier gilt es, laut und deutlich „nein“ zu sagen, Grenzen zu erkennen und zu akzeptieren. Selbst wenn es heute zum guten Ton gehört, Stress zu haben, und man in Verdacht gerät, faul zu sein, wenn man seine ­Arbeit gut bewältigen kann: Wir müssen nicht alle Moden mitmachen, schon gar nicht die ungesunden. Warnzeichen sind hier die ­inneren Antreiber, Sätze wie: „Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg“, „Nun komm‘ schon, stell‘ dich nicht so an!“, „Ohne Leistung bist du nichts“ und dergleichen. Wie lauten Ihre inneren Formeln, die Sie dazu bringen, mehr zu übernehmen als gut ist und sich dann womöglich darüber zu ärgern und aus der Haut zu fahren?

Wir müssen uns nicht jeden Schuh anziehen, den andere Menschen uns hinhalten. Der Unmut meines Gegenübers ist nicht meiner. Ich kann ihm sogar noch beipflichten, wenn ich mich nicht persönlich angegriffen fühle: „Ja, schwarze Schafe gibt es in jeder Branche, da haben Sie wohl recht“, „Ja, lange zu warten ist unangenehm, darüber ärgere ich mich auch manchmal“ und dergleichen. Weiterführend: „Und gleichzeitig bin ich höchst zufrieden, dass in unserer Apotheke alles bestens läuft, finden Sie nicht auch? Oder haben Sie eine Anregung für mich, wo wir uns noch steigern können?“, „Und trotzdem bin ich froh, dass wir hier überhaupt noch genug Ärzte haben und jederzeit Hilfe bekommen“.

Erste Hilfe bei Wut und Zorn

  • Drei tiefe Atemzüge
  • Sich entspannende Bilder vorstellen: eine ruhende, mir zublinzelnde Katze, Strand, Bergwiese etc.
  • Zu den Bildern Geräusche und Gerüche hinzufügen, entsprechend zu oben: Schnurren, durch Kiesel ­ablaufende Wellen, Almkräuterduft
  • Witzige Situationen ins Gedächtnis rufen, bei denen ich wieder lächeln muss
  • Körperlichen und zeitlichen Abstand suchen
  • Körperliches Ausagieren: stampfen, rennen, Rad ­fahren, schwimmen
  • Schreien im Auto, Wald etc.
  • Positive Affirmationen: „Das schaffe ich!“

Die Tipps im Kasten „Erste Hilfe bei Wut und Zorn“ sind aber eher für den Notfall als für den Dauergebrauch gedacht. Wut ist ursprünglich eine Art Hilferuf oder innere Mobilisierung bei Bedrohung. Sie setzt ungeahnte Energien frei. Wertvoller ist es, die Ursachen anzuschauen und ernst zu nehmen, als nur mal eben das Überdruckventil zu öffnen. Die erste Hilfe wirkt so schnell wie Traubenzucker bei Unterzuckerung, die zweite Hilfe (s. Kasten „Zweite Hilfe bei Wut und Zorn“), die Betrachtung und Weiterentwicklung der eigenen Person, gilt als gediegene, allerbeste und gesunde Ernährung.

Zweite Hilfe bei Wut und Zorn

  • Selbstvertrauen entfalten
  • Sich wehren lernen
  • Authentisch sein
  • Selbstverantwortung übernehmen
  • Sich Entspannen lernen
  • Gewaltfrei kommunizieren
  • Humor
  • Offenheit für Veränderung
  • Optimismus

Die Ärzte Claus Derra und Corinna Schilling sprechen hier von den reifen Konfliktbewältigungsstrategien im Gegensatz zu den unreifen wie Verleugnung, passiver Aggression, Konsum von Drogen und Medien. In ihrem Ratgeber zu Achtsamkeit und Schmerz zitieren sie zwei motivierende chinesische Sprichworte:

  • „Besser auf neuen Wegen etwas stolpern, als in alten Pfaden auf der Stelle zu treten“
  • „Der Mensch bringt täglich sein Haar in Ordnung, warum nicht auch sein Herz?“

Raus aus der Opferrolle, rein in die Verantwortung

Manchmal reagieren wir verärgert, weil wir uns als Opfer der Umstände oder der Launen anderer fühlen. Wir räumen jemand die Macht über unser Wohl und Wehe ein. Das ist insofern fatal, weil wir so zum passiven Verharren neigen und allenfalls unseren Unmut äußern. Die Schlüsselfrage ist: „Was kann ich tun?“ Und auch wenn ich selbst gar nicht das Ziel von Anfeindungen bin, fühle ich mich besser, wenn ich bei Ungerechtigkeiten eingreife. Manchmal können sich zum Beispiel jüngere Kolleginnen nicht wehren, wenn ein langjähriger Kunde, der sie zum ersten Mal sieht, spontan ausruft: „Ach, schon wieder eine Neue, die keine Ahnung hat, na das kann ja heiter werden!“ Auch so etwas ist Alltag. Hier kann ich helfend beispringen und erklären, statt brüskiert stehenzubleiben, uns schließlich „rudert“ der Kunde zurück.

„Ich merk‘ nichts!“

Wenn wir keinen Zorn spüren, ist entweder tatsächlich keiner da oder wir haben früh gelernt, „verbotene“ Gefühle zu unterdrücken. Sie entstehen trotzdem. Unter Umständen somatisieren sie sich in Schlaflosigkeit, Depression, Angststörungen oder anderen ­Beschwerden bzw. Krankheiten. Hier reichen keine Affirmationen oder Entspannungsübungen aus, professionelle therapeutische Hilfe ist nötig.

Innehalten und Beobachten bedeutet Rückzugskompetenz. Es geht um einen Bewusstseinsprozess beim Umgang mit Gefühlen wie Zorn und Wut sowie dem Ärger über sich selbst und andere. Wir erkennen Emotionen dahinter wie Angst, Hilflosigkeit, Enttäuschung. Das gibt uns den roten Faden in die Hand. Die sogenannten negativen Gefühle bergen in sich also einen kleinen Schatz. Wer sich selbst akzeptiert und mag, hat die allerbeste Basis zum Weiterkommen. Pierre Stutz drückt es so aus: „Selbstliebe ist kein Sonntagsspaziergang, sondern der Schlüssel, um liebend unterwegs zu sein, konfliktfähig und wertschätzend.“ Seien Sie sich wohlwollende Begleiterin! |

Ute Jürgens


Ute Jürgens ist Kommunikationstrainerin mit Spezialisierung auf die Heilberufler, Dipl. Erwachsenenpädagogin und PTA, www.kommed-coaching.de


* Da die überwiegende Anzahl der Apothekenmitarbeiter weiblich ist, schreibe ich in der weiblichen Form. Männliche Kollegen dürfen sich gerne mit angesprochen fühlen.


Literatur

A. K. Matyssek

Mensch, sei mal stolz auf dich!

www.care-cracker.de

ISBN: 978-3-8391-5206-5



P. Stutz:

Lass Dich nicht im Stich

Patmos Verlag

ISBN: 978-3-8436-0950-0




C. Derra, C. Schilling

Achtsamkeit und Schmerz

Klett-Cotta,

ISBN: 978-3-608-96099-0


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