Arzneimittel und Therapie

Abschied von Vortioxetin fällt schwer

Reimport-Karteileichen sorgen für Ärger mit den Krankenkassen

rr | Im August 2016 nahm Hersteller Lundbeck das Antidepressivum Brintellix® vom deutschen Markt, da man sich mit dem GKV-Spitzenverband nicht auf einen Erstattungspreis einigen konnte. Das Präparat ist aber weiterhin in Europa zugelassen und kann über die internationale Apotheke bezogen werden. Solche Einzelimporte werden von einigen Krankenkassen nicht gern gesehen, zumal in der Lauer-Taxe noch Reimporte gelistet sind. Apotheken sollten vorsichtig sein.

Hersteller Lundbeck hat die Ärzte rechtzeitig darüber informiert, dass Brintellix® ab dem 16. August 2016 nur noch als Einzelimport aus dem europäischen Ausland bezogen werden kann. Dabei besteht freie Auswahl, denn bei unseren Nachbarn Polen, Schweiz, Österreich, Tschechien, Ungarn und vielen anderen ist Vortio­xetin weiterhin am Markt verfügbar. Dass Deutschland in dieser Hinsicht ein weißer Fleck auf der europäischen Landkarte ist, hat monetäre Gründe.

Rechnung nicht ohne AMNOG

Wir erinnern uns: Im Dezember 2013 erhielt Vortioxetin die europäische Zulassung zur Behandlung der Major Depression bei Erwachsenen. Im Sinne des Arzneimittelmarkt-Neuordnungsgesetzes (AMNOG) reichte Lundbeck im April 2015 das Dossier zur Nutzenbewertung beim Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) ein. Einen Monat später wurde das Präparat in Deutschland in den Verkehr gebracht. Im August 2015 fällte das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) im Auftrag des G-BA sein Urteil: „Kein Hinweis auf einen Zusatznutzen“. Der G-BA war der gleichen Meinung. Es folgten zähe Preisverhandlungen über eineinhalb Jahre. Lundbeck zeigte sich kompromissbereit, bot neben einer deutlichen Preisreduktion auch eine mögliche Beschränkung auf eine Behandlung in der zweiten oder dritten Therapielinie an. Die AMNOG-Partner – nicht überzeugt – lehnten ab. Die Schiedsstelle setzte Brintellix® schließlich auf dem niedrigsten generischen Preisniveau (weniger als 10 Cent) fest. Der Hersteller sah sich gezwungen, Vortioxetin außer Vertrieb zu nehmen – zumindest für gesetzlich Versicherte.

Foto: Lundbeck
Deutsche Packungen von Brintellix® gibt es schon lange nicht mehr. Der Rückruf im August 2016 bedeutete das Ende der Versorgung von Tausenden Patienten mit Depression - dabei hatte man sich schon an Vortioxetin gewöhnt.

Schwerer Schlag für Patienten

Diese Entscheidung hatte direkte Auswirkungen auf etwa 45.000 Patienten, die bereits mit Vortioxetin behandelt wurden. Was ihnen blieb, war eine Übergangsphase für eine Therapieumstellung auf andere Wirkstoffe wie Escitalopram, Sertralin und Venlafaxin. Dazu war teilweise eine Wash-out-Phase nötig, in der mehrere Tage keine Behandlung erfolgte. Jede Änderung der antidepressiven Pharmakotherapie kann zu einer Instabilität des Krankheitsbilds führen, bis hin zur Suizidalität. Wollen Arzt und Patient dieses Risiko nicht eingehen, bietet sich die Möglichkeit, Brintellix® aus dem Ausland zu beziehen. Lundbeck gibt auf seiner Website Hilfestellung, wie ein Antrag auf Kostenübernahme bei der Krankenkasse gestellt wird.

Einige Zeit konnten Patienten noch mit Restbeständen oder Reimporten versorgt werden. Jetzt, acht Monate nach Marktrückzug, wird das Problem konkret, da die Schubladen leer sind – und sogar noch vertrackter, weil in der Lauer-Taxe Reimporte zu finden sind: nicht AV gemeldet, aber auch nicht lieferbar. Einige Kassen verweigerten bislang die Kostenübernahme von Einzelimporten mit der Begründung, dass der Vertrieb nicht von allen Pharmafirmen eingestellt wurde. Patienten versuchten mit Defekt-Nachweisen gegen die Entscheidung der Krankenkasse vorzugehen. Das strapaziert nicht nur die Nerven von Patienten, sondern auch von Apotheken. Bei Rezepten über Brintellix® wird empfohlen, sich vorab bei der Krankenkasse zu versichern, dass die Kosten tatsächlich übernommen werden.

An dieser Stelle soll nicht unerwähnt bleiben, dass einige Krankenkassen keine Schwierigkeiten machten, beispielsweise die Techniker Krankenkasse (TK). Auf Nachfrage versicherte man: „Anträge zur Kostenübernahme von Apotheken werden von der TK innerhalb weniger Tage bearbeitet und bewilligt (wenn der Arzt ein Kassen-Rezept ausstellt).“ Zudem verlange man vom Kunden keine Defekt-Nachweise über die Reimporte.

Aber auch wenn alle Karteileichen aus der Apotheken-EDV entfernt wurden, bleibt die Therapie mit Vortioxetin ein Hürdenlauf. Die gesetzlichen Krankenkassen übernehmen die Kosten nur im Einzelfall. Wenn der medizinische Dienst hinzugezogen wird, kann eine Entscheidung bis zu fünf Wochen auf sich warten lassen.

Der GKV-Spitzenverband könne zu den Entscheidungen einzelner Krankenkassen nichts sagen, verrät nur so viel: „Solange es noch Produkte des Herstellers im Markt gibt, es sich um ein Arzneimittel handelt, das keinen Zusatznutzen attestiert bekommen hat und das in einem Indikationsgebiet eingesetzt wird, in dem es Alternativ­optionen gibt, wird es wirklich auf die besondere Einzelfallsituation ankommen, damit eine Krankenkasse einen Einzelimport befürworten wird.“

Warum will man nicht loslassen?

Obwohl nur kurz am Markt hat Vorti­oxetin im Praxisalltag einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Ärzte beobachten eine relativ schnell einsetzende antidepressive Wirkung, zudem verbessert Vortioxetin die Konzentration und die Schlafqualität. Patienten schätzen die vergleichsweise geringen Nebenwirkungen, so wird das Gewicht nicht nachteilig beeinflusst, die Libido nur selten. Sogar nach Marktrück­nahme wurde Brintellix® zum zweiten Mal in Folge mit dem Preis als „Das innovativste Produkt 2016“ zur Behandlung von Depressionen ausgezeichnet, gewählt von Neurologen und Psychiatern. Dabei ist der Wirkmechanismus von Vortioxetin noch immer nicht vollständig geklärt. Fakt ist: Es hat mehrere Angriffspunkte, so wirkt es antagonistisch an 5-HT3-, 5-HT7- und 5-HT1D-Rezeptoren, partialagonistisch am 5-HT1B-Rezeptor und zugleich hemmend am 5-HT-Transporter.

Nach Meinung von Universitäts-Professor Dr. Gerd Laux, Haag, bremst das AMNOG-Verfahren als ein „sehr formaler und methodisch getriebener Prozess“ die Entwicklung von Psychopharmaka. „Das Verfahren leidet an der fehlenden Berücksichtigung klinischer Experten. Dies beginnt bei der Festlegung der zweckmäßigen Vergleichstherapie: Oft werden generische Präparate bevorzugt, auch wenn diese kaum verordnet werden.“ In einem Kommentar in der DAZ schlug er vor, einen Zusatznutzen erst nach mehrjähriger Praxiserfahrung zu evaluieren. Denkbar wären auch Kostenerstattungen für definierte Subgruppen und Indikationen im Sinne der „personalisierten, individuellen Therapie“. Es ist fraglich, ob sich die AMNOG-­Entscheidungsträger darauf einlassen würden. Für Brintellix® scheint der Abschied aus Deutschland endgültig zu sein. Lundbeck bedauert es sehr, aber „es wird keinen zweiten Vorstoß geben“. |

Quelle

Ein Antidepressivum weniger. DAZ 2016, Nr. 32, S. 30

AMNOG bremst die Entwicklung von Psychopharmaka. DAZ 2016, Nr. 32, S. 31

https://pharma-trend.com/brintellix/

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