DAZ aktuell

Mischpreise in Gefahr?

Gerichtsbeschluss sorgt für Unruhe in der Industrie

BERLIN (ks) | Wird ein und dasselbe Arzneimittel künftig in unterschiedlichen Indikationen auch unterschiedliche Preise haben können? Diese Frage wirft ein aktueller Beschluss des Landessozialgerichts (LSG) Berlin-Brandenburg auf. Darin vertritt das Gericht die Auffassung, dass die derzeitige Mischpreisbildung rechtswidrig sei, wenn ein Zusatznutzen nur in einer Teilpopulation anerkannt ist. Die Pharmaindustrie reagierte entsetzt auf diese im Eilverfahren ergangene Entscheidung und fordert nun eine rechtliche Klarstellung. In der Politik ist die Forderung angekommen.

Hat ein neues Arzneimittel das Verfahren der frühen Nutzenbewertung beim Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) durchlaufen und wird es nicht direkt einer Festbetragsgruppe zugeordnet, wird für das Präparat ein Erstattungsbetrag verhandelt. Im Regelfall vereinbaren diesen der Hersteller und der GKV-Spitzenverband. Können sie sich nicht einigen, wird er von der Schiedsstelle festgesetzt.

Die Hersteller haben diesen Erstattungsbetrag von jeher als einen stets wirtschaftlichen Mischpreis verstanden – auch wenn der G-BA dem Arzneimittel nicht für alle Patientengruppen einen Zusatznutzen attestiert hat. Für Ärzte sollte die Verordnung eines neuen Arzneimittels mit Erstattungsbetrag demnach risikolos möglich sein. In der Praxis blickte man aber durchaus auf den Einzelfall.

Nun sorgt das LSG für Aufregung: Wenn der G-BA bei einer Patientengruppe einen Zusatznutzen erkannt und zugleich bei einer oder mehreren Gruppen einen solchen verneint hat, halten die Sozialrichter einen Mischpreis für rechtswidrig. Aus dem Vorhandensein eines Erstattungsbetrags dürfe daher nicht automatisch auf die Wirtschaftlichkeit einer jeden Verordnung des betroffenen Arzneimittels in all seinen Anwendungsbereichen geschlossen werden.

Antidiabetikum als Exempel?

Konkret ging es in dem Fall um Albiglutid (Eperzan® von GSK), einem GLP-1-Analogon. Für dieses Antidiabetikum hatte der G-BA fünf Patientenpopulationen differenziert, aber nur für eine einen „Hinweis auf einen geringen Zusatznutzen“ festgestellt. Für alle anderen sah er keinen Zusatznutzen. Die Verhandlungen zwischen GSK und GKV-Spitzenverband blieben erfolglos, weshalb die Schiedsstelle angerufen wurde. Hier beantragte GSK einen Erstattungsbetrag von 21,41 Euro, der GKV-Spitzenverband einen von 6,70 Euro. Die Schiedsstelle setzte ihn auf 20,01 Euro fest.

Der GKV-Spitzenverband wollte dies nicht akzeptieren und zog vor Gericht, wo er nun einen vorläufigen Erfolg für sich verbuchen kann. Doch der Rechtsstreit ist damit nicht zu Ende – ein Hauptsacheverfahren folgt. Während der GKV-Spitzenverband in diesem Verfahrensstadium keinen Kommentar abgeben will, herrscht in der Industrie Unruhe. Das Präparat Eperzan® hat hierzulande in der Versorgung kaum eine Bedeutung – doch sein Fall könnte ein Exempel statuieren, so die Befürchtung.

Martin Zentgraf, Vorstandschef des Bundesverbandes der Pharmazeutischen Industrie (BPI) sprach von einem „Beschluss, der direkte Auswirkungen auf die Versorgungsrealität haben könnte und damit katastrophal wäre für Patienten und Ärzte“. Laut BPI wäre hiervon rund ein Fünftel der Arzneimittel betroffen, die die frühe Nutzenbewertung durchlaufen haben. Bei diesen könnte sich der Arzt bei etwa jedem dritten Patienten nicht mehr sicher in seiner Verordnungsentscheidung sein. Zentgraf forderte, gesetzlich klarzustellen, dass der Erstattungsbetrag auch bei Mischpreisen über das gesamte zugelassene Indikationsgebiet wirtschaftlich ist.

Der Verband forschender Pharma-Unternehmen vfa sieht ebenfalls Handlungsbedarf: Der Gesetzgeber sollte insbesondere klarstellen, dass die Verhandlungspartner und die Schiedsstelle hinreichend Spielraum behalten. Es brauche Flexibilität, um jedem Einzelfall gerecht zu werden und eine funktionale Verhandlungslösung zu finden.

Franke: So ist das nicht gewollt!

In der SPD zeigt man sich grundsätzlich offen. Beim parlamentarischen Abend des BPI am 22. März in Berlin, erklärte Edgar Franke, Vorsitzender des Gesundheitsschusses des Bundestages, ein Verordnungsausschluss für Arzneimittel, bei denen sich möglicherweise erst später die Evidenz zeige, sei nicht gewollt. „Wir werden verhindern, dass diese Rechtsprechung das Recht der Praxis wird.“ Wenn ein solches Urteil auf Grundlage bestehender Gesetze so gefällt werde, müsse das Gesetz eben geändert werden. Überstürzen will Franke allerdings nichts: Erst wenn höchstrichterliche Rechtsprechung das LSG bestätige, müsste gehandelt werden.

Überrascht über Frankes Aussagen zeigte sich Michael Hennrich (CDU). Würde ins Gesetz geschrieben, dass Mischpreise per se wirtschaftlich sind, so wäre dies ein Bruch mit der Systematik des SGB V, meint er. Der Erstattungspreis sei eben nicht immer wirtschaftlich. Gegenüber der DAZ sagte Hennrich, es gebe auch andere Optionen. Insbesondere könne man den Vertragsparteien den Verhandlungsspielraum erweitern, um Wirtschaftlichkeit herzustellen. Hier sei die Union in einem Prüfprozess.

Nun heißt es also abwarten, wie es im Hauptsacheverfahren weitergeht. |

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