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Die Seite 3
Kollateralschäden
Obwohl noch immer nicht klar ist, wie das Ausscheiden Großbritanniens aus der EU – der sogenannte Brexit – konkret vonstattengehen und welche Auswirkungen das für Großbritannien, vor allem aber für die „Rest-EU“ haben wird, zeichnet sich doch eines ab: Der Brexit wird Folgen für beinahe alle Branchen haben – auch im Gesundheitswesen.
Zwar werden die deutschen Apotheken, dank der nationalen Regelungen im Gesundheitswesen und der Abwesenheit multinationaler Apothekenketten, wohl nicht direkt betroffen sein. Indirekt dürften sich die Auswirkungen des Brexits auf Arzneimittelhersteller, -importeure und –großhändler, aber auch auf die Apotheken in Deutschland erstrecken. Beispielsweise führt der nach der Brexit-Abstimmung gesunkene Kurs des britischen Pfunds bereits jetzt zu deutlich wahrnehmbaren Verschiebungen im europäischen Arzneimittel-Parallelhandel. Da der Export nach Großbritannien dadurch sehr viel unattraktiver geworden ist, stehen nun in Deutschland (und den skandinavischen Ländern) mehr Import-Arzneimittel zur Verfügung (s. „Bitterer Ausstieg für Importeure“, S. 25 dieser DAZ).
Absehbar ist auch, dass nach dem Brexit das Arbeiten in Großbritannien für EU-Bürger nicht mehr so ohne Weiteres möglich sein wird. Bisher hat die Insel auch im Gesundheitssystem „junge, gesunde und gut ausgebildete Immigranten aus der EU importiert, während sie hunderttausende kostspieligere Rentner in Länder wie Spanien und Frankreich exportiert hat“, wie Professor Martin McKee bereits im Februar 2016 im „Journal of Public Health“ schrieb. Ob diese Arbeitnehmer, die durchaus auch in britischen Apotheken arbeiten, zukünftig den Fachkräftemangel in deutschen Apotheken nennenswert lindern werden, ist dabei alles andere als sicher.
Besonders alarmiert sind die Arzneimittelhersteller. Denn durch den Brexit ist nicht nur die Gültigkeit der europäischen Arzneimittel-Zulassungen in Großbritannien infrage gestellt – immerhin ein Markt mit fast 65 Millionen Einwohnern. Viel gravierender ist die Gefahr, dass es durch den nun notwendig werdenden Umzug der Arzneimittelbehörde EMA zu erheblichen Verzögerungen bei zukünftigen Zulassungen kommen könnte (s. auch „Der Fall EMA“, S. 27 dieser DAZ). So will laut Medienberichten rund die Hälfte der etwa 900 EMA-Mitarbeiter nicht aus London weggehen – wohl auch, weil noch überhaupt nicht klar ist, wohin die Arzneimittelbehörde ziehen wird. Inzwischen haben sich 21 der verbleibenden 27 EU-Mitgliedstaaten um den Sitz der Behörde beworben (alleine in Deutschland sind Bonn, Frankfurt, Saarbrücken, München, Berlin oder Hannover im Gespräch). Und schon jetzt wirft der bevorstehende Umzug seine Schatten voraus: Die Zahl der Interessenten für das EMA-Ausbildungsprogramm hat sich um rund zwei Drittel reduziert – von über 2000 auf nur noch rund 700 Bewerber.
Auch um die Pharmakovigilanz könnte es angesichts der bevorstehenden Umbrüche schlechter bestellt sein. EMA-Chef Guido Rasi jedenfalls warnte kürzlich davor, dass Vorfälle in dieser Übergangszeit eine „wirkliche Gefahr für die öffentliche Gesundheit“ darstellen könnten.
Das hätte dann vielleicht auch ganz direkte Auswirkungen auf die Apotheken.
Dr. Benjamin Wessinger
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