Arzneimittel und Therapie

Pregabalin enttäuscht, Venlafaxin überrascht

Die Therapie neuropathischer Schmerzen muss überdacht werden

Eine US-amerikanische Arbeit befasste sich mit der Wirksamkeit von Medikamenten zur Therapie einer diabetischen Neuropathie und griff dabei in einem Review auf aktuelle publizierte und nicht publizierte Studien zurück. Das Ergebnis überraschte: Das bislang als Favorit angesehene Pregabalin wurde he­rabgestuft. Die beste Wirksamkeit wird nun Duloxetin und Venlafaxin attestiert.

Von einer diabetischen peripheren Neuropathie ist schätzungsweise ein Drittel bis die Hälfte aller Diabetiker betroffen. Die Behandlung dieser mit Schmerzen, Parästhesie und Taubheit einhergehenden Erkrankung orientiert sich unter anderem an den Leitlinien. So liegt in Deutschland etwa die Nationale Versorgungsleitlinie Neuropathie bei Diabetes im Erwachsenenalter (Stand 2016) vor, in den USA eine 2011 von der American Association of Neuromuscular and Electrodiagnostic medicine, American Academy of Neurology, and American Academy of Physical Medicine & Rehabilitation publizierte Leitlinie. Letztere stufte Pregabalin in der Version von 2011 als effektiven Wirkstoff ein und schrieb Venlafaxin, Duloxetin, Amitriptylin, Gabapentin, Valproat, Tramadol, Capsaicin und Opioiden eine wahrscheinlich effektive Wirksamkeit zu. Diese Einschätzung wurde nun unter Einbeziehung nicht publizierter Stu­dien erneut bewertet.

Dazu führten die Autoren eine systematische Datenbankanalyse durch, die Publikationen aus den Jahren 2011 bis 2016 und bis dato nicht veröffentlichte Studien umfasste. Zur Auswertung kamen ein aktuelles Update von 57 Studien sowie 24 publizierte und 25 nicht publizierte Studien (zugänglich durch das amerikanische Studienregister www.clinical.trials.gov). Bei der Be­urteilung wurden die Schmerzlinderung, unerwünschte Wirkungen sowie der Einfluss auf die Lebensqualität – sofern bekannt – berücksichtigt. In den einzelnen Studien war jeweils ein Medikament mit einem Placebo verglichen worden; ein Vergleich zwischen zwei Wirkstoffen war aufgrund der unzureichenden Studienlage nicht möglich. Die Beurteilung erfolgte nach den Kriterien „wirksam“ oder „nicht wirksam“ sowie nach der Evidenz­stärke „moderat“ oder „gering“.

Gabapentin auf Placebo-Niveau

Im Hinblick auf die Schmerzlinderung wurde Duloxetin und Venlafaxin die beste Wirksamkeit zugesprochen (bei moderater Evidenzstärke). Auch Pregabalin, Oxcarbazepin, trizyklische Antidepressiva, Tramadol und Tapentadol sowie Botulinumtoxin waren einer Placebo-Therapie überlegen (geringe Evidenzstärke). Gabapentin, Oxycodon, topisches Capsaicin, Dextromethorphan und Mexiletin waren nicht wirksamer als Placebo (s. Tab.).

Tab.: Wirkstoffe und ihre Evidenz in der Therapie der diabetischen Polyneuropathie
Wirkstoffklasse/Wirkstoff
Wirksamkeit
Evidenzstärke
Antikonvulsiva
Pregabalin
effektiv
gering
Gabapentin
nicht wirksam
gering
Oxcarbazepin
effektiv
gering
Antidepressiva
Duloxetin
effektiv
moderat
Venlafaxin
effektiv
moderat
Trizyklika
effektiv
gering
Opioide
Oxycodon
nicht wirksam
gering
Tramadol und Tapentadol
effektiv
gering
Topika
Capsaicin
nicht wirksam
gering
Andere
Dextromethorphan
nicht wirksam
gering
Mexiletin
nicht wirksam
gering
Botulinumtoxin
wirksam
gering

Aufgrund der schwachen Datenlage konnte die Lebensqualität unter der jeweiligen Medikation nicht bewertet werden. Art und Häufigkeit unerwünschter Wirkungen variierten zwischen den verschiedenen Wirkstoffen, und die Drop-out-Raten aufgrund unerwünschter Wirkungen lagen zwischen 2,5% und 70% für oral einzunehmende Arzneimittel.

Die Studienautoren weisen auf die häufig kurze Studiendauer hin – die meisten randomisierten kontrollierten Studien erstreckten sich über weniger als drei Monate. Die Aussagekraft solcher Studien sei beeinträchtigt, zumal die Therapie einer diabetischen Neuropathie über einen längeren Zeitraum erforderlich ist. Für eine valide Bewertung des Therapieerfolgs und der Spätfolgen seien Langzeitstudien erforderlich, um eine sichere, wirksame und individuell orientierte Behandlung zu ermöglichen.

Rangfolge ändert sich

Diese Studie wird auch auf der Online-Plattform für Ärzte und Gesundheits­experten Medscape kommentiert. Hier weist Prof. Dan Ziegler, stellvertretender Direktor am Institut für Klinische Diabetologie des Deutschen Diabetes Zen­trums an der Universität Düsseldorf und Leiter der Arbeits­gruppe Neuropathie, darauf hin, dass sich die Rangfolge unter den bekannten Wirkstoffen ändert. Dies betrifft Pregaba­lin, das derzeit in Leitlinien noch an erster Stelle empfohlen wird, nach der aktuellen Auswertung aber nicht mehr. In die aktuelle Auswertung gingen unter anderem zehn neue Studien ein; sieben dieser Studien attestierten Pregabalin keine bessere schmerzlindernde Wirkung als einem Placebo. Die Daten von vier dieser sieben negativen Studien sind nie in Fachzeitschriften veröffentlicht worden. Dies, so der Kommentator, weise auf ein ausgeprägtes Publikationsbias, also auf die bevorzugte Veröffentlichung positiver Daten, hin.

Venlafaxin: keine Empfehlung

In der deutschen Nationalen Versorgungsleitlinie Neuropathie bei Diabetes im Erwachsenenalter (2016) findet sich keine Empfehlung mit einem Empfehlungsgrad A; für Venlafaxin wird – im Gegensatz zu obiger Studie – keine Empfehlung ausgesprochen. Hier ein Auszug:

Venlafaxin sollte zur Behandlung einer schmerzhaften diabetischen Polyneuropathie aufgrund des unzureichenden Nachweises einer analgetischen Wirksamkeit und der Gefahr kardialer Nebenwirkungen nicht eingesetzt werden (Empfehlungsgrad B).

Duloxetin sollte zur Behandlung einer schmerzhaften diabetischen Polyneuropathie in einer Tages­dosierung von bis zu 60 mg eingesetzt werden (Empfehlungsgrad B).

Pregabalin sollte zur Behandlung einer schmerzhaften diabetischen Polyneuropathie eingesetzt werden (Empfehlungsgrad B).

Eine weitere Anmerkung des Kommentators: Der Review stuft topisches Capsaicin (0,075%) als nicht wirksam ein. Diese Aussagen beziehen sich allerdings nur auf die niedrigdosierte Creme. In diesem Jahr veröffentlichte Studien, die kutanen Schmerzpflastern mit hochdosiertem 8%igem Capsaicin eine schmerzlindernde Wirkung bescheinigten, hätten keinen Eingang mehr in die Arbeit gefunden. |

Quelle

Waldfogel J et al. Pharmacotherapy for diabetic peripheral neuropathy pain and quality of life. A systematic review. Published online before print March 24, 2017, doi: http://dx.doi.org/10.1212

Bril V et al. Evidence-based guideline: Treatment of painful diabetic neuropathy. Report of the American Academy of Neurology, the American Association of Neuromuscular and Electrodiagnostic Medicine, and the American Academy of Physical Medicine and Rehabilitation. Neurology 2011; 76:1758-1765.

Nationale VersorgungsLeitlinie Neuropathie bei Diabetes im Erwachsenenalter. http://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/nvl-001e.html.

Brinkmann, I. Schmerzhafte diabetische Neuropathie: Review berücksichtigt unpublizierte Therapiestudien – und stellt Ranking auf den Kopf. http://deutsch.medscape.com/artikelansicht/4905970#vp_2 (2. Mai 2017)

Apothekerin Dr. Petra Jungmayr

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