Arzneimittel und Therapie

Geteiltes Deutschland

Brauchen wir getrocknete Cannabis-Blüten als Medizin?

rr | Das Thema Cannabis als Medizin spaltet die Nation. Vor allem die Therapie mit losen Blüten wird trotz gesetzlicher Grundlage weiterhin heftig diskutiert. Auf der einen Seite fürchtet man um die Therapiesicherheit und fordert wissenschaft­liche Beweise für eine Wirkung. Auf der anderen Seite kämpft man um eine Möglichkeit, seine Leiden zu lindern. Die evidenzbasierte Medizin – eine Mauer zwischen Heilberuflern und Patienten?

Eigentlich sollte das Gesetz „Cannabis als Medizin“, das am 10. März 2017 in Kraft getreten ist, alles einfacher machen: Das aufwendige Ausnahmeverfahren wurde abgeschafft, jeder Arzt darf unabhängig seiner Fachrichtung Cannabis verordnen, und die gesetzlichen Krankenkassen dürfen die Übernahme der Therapiekosten nur in Ausnahmefällen verweigern. Glaubt man den Erfahrungen von Ärzten und Patienten, die sich für die Cannabis-Therapie stark machen, wurde der Zugang zu dieser Behandlungsoption jedoch keineswegs erleichtert. So machen die Krankenkassen von ihrem Vetorecht häufiger Gebrauch als geplant und verweigern die Kostenerstattung auch bei Patienten, die in der Vergangenheit bereits eine Ausnahmeerlaubnis zur Selbsttherapie mit Cannabis erwirkt hatten. Diese Ausnahmeerlaubnisse verlieren im Juni vollständig ihre Gültigkeit.

Foto: AGES – Österreichische Agentur für Ernährungssicherheit
Anbau von Medizinalhanf bei der Österreichischen Agentur für Ernährungssicherheit (AGES). Auch in Deutschland wird Cannabis Gewächshausware werden. Das Ausschreibungsverfahren für eine Anbaulizenz endete Anfang Juni.

Wenn die Krankenkasse nicht mitspielt, bleibt noch immer die Möglichkeit, Cannabis auf Privatrezept zu verordnen. Doch auch diese Hürde wurde mit den Gesetzesneuerungen höher, da lose Blüten nun nicht länger frei kalkulierbar sind, sondern als Rezepturarzneimittel der Arzneimittelpreisverordnung unterliegen. Und das bedeutet für die Patienten in der Regel höhere Kosten. Dr. Franjo Grotenhermen, Geschäftsführer der Internationalen Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin (IACM), kritisiert diese Entwicklung scharf und trat im Mai einen Hungerstreik an, um sich mit den Patienten zu solidarisieren.

Die Skepsis überwiegt

Drastische Reaktionen, auf deren Gegenseite nicht minder energische Aussagen stehen. Bei einer Diskussionsrunde, zu der die Deutsche Pharmazeutische Gesellschaft (DPhG) und das House of Pharma Anfang Mai in Frankfurt (Main) geladen hatten, waren sich die Teilnehmer einig: Die Möglichkeit, Cannabis-Blüten zu verordnen, sei nicht wirklich ein therapeutischer Fortschritt. Man komme mit den bisher verfügbaren Reinsubstanzen (Dronabinol) und Fertigarzneimitteln gut aus. In der modernen Medizin noch ganze Pflanzen zu verordnen und die Anwendung dem Patienten zu überlassen, mute eher einem Rückschritt an. Pharmazeuten bereitet vor allem die fehlende Dosiergenauigkeit Sorgen. Zudem ist man sich nicht sicher, bei welchen Krankheitsbildern Cannabis tatsächlich hilft.

Obwohl die Hanfpflanze schon seit Jahrtausenden bekannt ist, mangelt es noch immer an wissenschaftlicher Forschung. Das mag teilweise daran liegen, dass Cannabis sativa als Rauschmittel missbraucht wurde und vielerorts lange Zeit verboten war. Mehr zur Geschichte von Cannabis zeigt die DAZ-Infografik auf Seite 34. Solange überzeugende klinische Studien fehlen, werden viele Heilberufler Cannabis-Blüten wohl weiterhin skeptisch gegenüberstehen. Aber auch bei der Industrie stößt diese Therapieoption auf Ablehnung: Die Firma Bionorica verzichtet aus Überzeugung sogar auf ein großes Geschäft. Mehr dazu lesen Sie im Kasten. |

Cannabis-Anbau in Deutschland ohne Bionorica

Anfang Juni endete die Frist der Ausschreibung zum Anbau von Medizinal-Cannabis in Deutschland. Die beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) angesiedelte Cannabisagentur war seit dem 8. April 2017 auf der Suche nach Partnern mit Erfahrungen in der Produktion von Arzneipflanzen, idealerweise im Anbau von Cannabis sativa.

Die Firma Bionorica Ethics beschäftigt sich seit vielen Jahren mit Cannabis und vertreibt unter anderem die Reinsubstanz Dronabinol. Mit diesen Referenzen standen die Chancen gut, den Zuschlag zu erhalten. Gegenüber der Wirtschaftswoche erklärte Geschäftsführer und Eigentümer Michael Popp zunächst auch, dass man sich auf die Ausschreibung der Cannabisagentur bewerben wolle. Nun stellte eine Pressemitteilung klar, dass man wider Erwarten keinen Antrag gestellt hat. Der Grund: Die aktuelle Ausschreibung des BfArM hat nur die Herstellung und den Handel von Cannabis-Blüten zum Ziel. Die Verschreibung von Cannabis-Blüten lehnt Bionorica aber ausdrücklich ab. In einer Stellungnahme begründet sie diese Haltung unter anderem damit, dass es mit modernen pharmazeutischen Qualitätsansprüchen nicht vereinbar sei, die Aktivierung des in Cannabis-Blüten enthaltenen THC pharmazeutischen Laien zu überlassen. Das Rauchen eines Arzneimittels sei wegen der Schädlichkeit der Begleitsubstanzen inakzeptabel, die Wirkstoffaufnahme außerdem nicht reproduzierbar. Die Inhalation – auch mittels Vaporizer – verursacht eine schnelle THC-Anflutung mit Plasmaspiegeln, die für Minuten ein Vielfaches therapeutischer Werte erreichen und dann schnell abfallen. Dies impliziert nach Meinung von Bionorica ein im Vergleich zur oralen Aufnahme deutlich erhöhtes Risiko für akute Nebenwirkungen wie Schwindel, High-Gefühl etc. und damit auch für die Entwicklung einer Sucht. Fertig- und Rezepturarzneimittel seien dagegen homogen und reproduzierbar herstellbar und für den Patienten gut und gleichmäßig dosierbar. Des Weiteren fehle es an klinischer Evidenz, die laut Bionorica bei Blüten so auch gar nicht möglich sei. Wegen der unterschiedlichen Gehalte an Wirksubstanz könnten Studienergebnisse immer nur für die verwendete Cannabis-Sorte gelten und seien nicht auf andere Sorten übertragbar. Last but not least fürchtet man das erhöhte Missbrauchspotenzial und das Risiko des Freizeitkonsums auf GKV-Kosten. Es stelle sich die Frage, warum die vermeintlich wirksame Dosis von THC bei den Blüten die bei Dronabinol etablierte meist wirksame Tagesdosis von 5 bis 20 mg um das 20- bis 30-Fache übersteigt.

Bionorica erklärt, ein Interesse daran zu haben, in Deutschland Medizinalhanf in pharmazeutischer Qualität ausschließlich für den eigenen Herstellungsbedarf von Wirkstoffen in Reinform (Dronabinol) anzubauen. Diese Möglichkeit sieht man jedoch bei der Ausgestaltung der aktuellen Ausschreibung nicht. Die DAZ hatte dazu noch drei Fragen an Bionorica:

DAZ: Als Argument „Pro Cannabis-Blüten“ wird häufig angeführt, dass für die therapeutische Wirkung das Zusammenspiel mehrerer Inhaltsstoffe nötig ist und man Tetrahydrocannabinol (THC) und Cannabidiol (CBD) nicht isoliert betrachten darf. Wie steht Bionorica zu diesem Argument?

Bionorica: Gerade Bionorica als forschender, führender Hersteller pflanzlicher Arzneimittel vertritt in der Regel den Standpunkt „Der Wirkstoff ist der Extrakt.“ Dies beruht auf der Erkenntnis/Erfahrung, dass es bei den meisten Phytopharmaka nicht gelungen ist, die wesentlichen Wirkeigenschaften auf einen oder wenige dominierende Inhaltsstoffe zurückzuführen. Aber: keine Regel ohne Ausnahme. Wie zum Beispiel beim Fingerhut die Effekte im Wesentlichen auf Digitalisglykoside zurückgeführt werden können, so haben wir auch bei Cannabis mit Tetrahydrocannabinol und/oder Cannabidiol stark wirksame Einzelsubstanzen, die die wesentlichen Wirkeigenschaften prägen. Nicht von ungefähr wurde und wird Medizinal-Cannabis auf hohen Gehalte an diesen beiden Inhaltsstoffen gezüchtet und die DAC-Monografie für Cannabis flos verlangt die Deklaration der Gehalte. Dies schließt eine modulierende Wirkung anderer Cannabis-Inhaltsstoffe nicht aus. Das „Zusammenspiel der Kräfte“ im Vielstoffgemisch Cannabis flos ist aber noch völlig unerforscht. Die belegten pharmakologischen Eigenschaften von THC bzw. CBD erklären hinreichend die beobachteten therapeutischen Effekte von Cannabis-Blüten. Die Reinsubstanzen THC und CBD haben derzeit die höchste Evidenz, sodass beim aktuellen Wissensstand der Einsatz der Reinsubstanzen die richtige Wahl ist.

DAZ: Fürchtet man infolge der Entscheidung, keine Blüten zu vertreiben, keinen Nachteil gegenüber anderen Wettbewerbern?

Bionorica: Die therapeutische Verwendung von Cannabis flos ist aus unserer Sicht beim gegenwärtigen Kenntnisstand und angesichts der Verfügbarkeit von gut definierten Fertig- und Rezepturarzneimitteln medizinisch und pharmazeutisch nicht vertretbar. Mit dieser Ansicht wissen wir uns in Übereinstimmung mit führenden Verbänden und Vertretern aus Pharmazie und Medizin. Wir sind zuversichtlich, dass die sachliche Argumentation sich auch im Markt durchsetzen wird.

DAZ: Neben der Reinsubstanz Dronabinol haben Sie auch einen Vollextrakt im Sortiment. Welche Rolle soll dieser zukünftig in der Therapie spielen?

Bionorica: In erster Linie bieten wir Dronabinol als Rezepturwirkstoff an und streben auch weiterhin die Zulassung eines Fertigarzneimittels mit diesem Wirkstoff an. Nichtsdestotrotz werden wir als weltweit führender Extraktspezialist in absehbarer Zeit auch einen Cannabis-Extrakt anbieten, um Patienten bzw. Verordnern, die einen komplexer zusammengesetzten pflanzlichen Wirkstoff wünschen, eine reproduzierbar dosier­bare Alternative zu Cannabis-Blüten mit definierten Wirksubstanz-Gehalten anbieten zu können.

Quelle

Cannabisblüten – ein therapeutischer Rückschritt? DAZ.online vom 9. Mai 2017

Ausschreibung gestartet. DAZ 2017, Nr. 15, S. 15

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