- DAZ.online
- DAZ / AZ
- DAZ 26/2017
- Onkologika im Fokus der ...
DAZ aktuell
Onkologika im Fokus der Barmer
Ersatzkasse wirft Herstellern „inakzeptable“ Strategien zur Gewinnmaximierung vor
Die Ausgaben der Barmer für Arzneimittel – inklusive Rezepturarzneimittel – sind 2016 gegenüber dem Vorjahr um 182 Millionen Euro auf 5,3 Milliarden Euro gestiegen (+ 4,9%). Hochpreisige Arzneimittel hat die Kasse dabei als Kostentreiber ausgemacht. Und das sind häufig Krebsarzneimittel, die in diesem Jahr Schwerpunktthema des Barmer-Reports sind. Fünf der zehn Arzneimittel mit der größten Umsatzsteigerung von 2015 zu 2016 sind Arzneimittel zur Behandlung von Tumorerkrankungen.
Dieser Trend lässt sich laut Barmer nicht durch eine größere Anzahl an betroffenen Patienten erklären. Vielmehr fielen die höheren Herstellerpreise ins Gewicht. Für den Barmer-Report wurden die Kosten von 31 onkologischen Arzneimitteln in Europa, Australien und Neuseeland verglichen. Demnach liegen die deutschen Preise bei 28 dieser Präparate über dem Durchschnitt, acht von ihnen kosteten hierzulande am meisten.
Der Report geht zudem dem Orphan-Drug-Trend nach. Denn die Onkologika werden immer häufiger als Arzneimittel gegen seltene Erkrankungen zugelassen. „Die Pharmafirmen haben offenbar ein großes Interesse daran, Krebsmittel als Orphan Drugs zuzulassen. Um eine solche Zulassung zu erhalten, müssen weniger Belege über Nutzen und Sicherheit des Arzneimittels vorgelegt werden“, erläuterte einer der Studienautoren, Prof. Dr. Daniel Grandt vom Klinikum Saarbrücken. So seien bei jedem dritten Orphan Drug zum Zeitpunkt der Zulassung weniger als 100 Patienten untersucht worden, randomisierte Vergleichsstudien fehlten meist. Zur Sicherheit der Patienten sollten Orphan Drugs einer regulären frühen Nutzenbewertung unterzogen werden, forderte er. Derzeit gilt ihr Zusatznutzen bereits mit der Zulassung als belegt.
Sind die Preise gerechtfertigt?
Aller Kritik zum Trotz: Die Therapie mit den vorhandenen Arzneimitteln will den Krebspatienten niemand verwehren. Auch der Barmer-Vorstandsvorsitzende Prof. Dr. Christoph Straub will eine solche „unethische” Debatte nicht führen. Es müsse aber diskutiert werden, „ob die Preise in Deutschland gerechtfertigt sind“, forderte der Kassenchef. „Denn die Debatte, ob wir uns manche Therapien noch leisten können, müssen wir unter allen Umständen vermeiden.“ Er schlägt daher eine späte Kosten-Nutzen-Bewertung vor: Die Arzneimittel sollten nach fünf Jahren Versorgungserfahrung erneut auf ihren Nutzen überprüft und darauf basierend das Preis-Leistungsverhältnis neu bestimmt werden.
10 Millionen Euro für Verwürfe
Ebenfalls ein Dorn im Auge ist der Barmer, dass teure Krebsarzneien oft im Abfall landen: Nämlich die Restmengen, die bei Herstellung der Zytostatika-Rezepturen anfallen. Allein für ihre Versicherten habe die Kasse im Jahr 2015 zehn Millionen Euro für diese ungenutzten Verwürfe ausgeben müssen. Auch hierin sehen die Autoren eine weitere Strategie der Pharmaunternehmen zur Gewinnmaximierung – denn sie erzwängen den Verwurf durch praxisuntaugliche übergroße Einzeldosen.
Haftungsrisiko für Apotheker
Prof. Irene Krämer, Leiterin der Apotheke der Universitätsklinik Mainz, und Daniel Grant kritisieren in dem entsprechenden Kapitel, dass Hersteller zudem die tatsächliche Haltbarkeit angebrochener onkologischer Arzneimittelstammlösungen durch den pharmazeutischen Hersteller verschwiegen. Dass weitergehende Informationen zur physikalisch-chemischen Stabilität fehlen, führe neben den Verwürfen zu weiteren Problemen – auch für Apotheker. Diese seien, wenn sie auf Basis physikalisch-chemischer Untersuchungen und mikrobiologischer Validierung Zytostatika-Zubereitungen über die in der Fachinformation genannte Spanne hinaus verwenden, einem Haftungsrisiko ausgesetzt. Denn der Apotheker übernehme hier die Verantwortung für die Haltbarkeit der Zytostatika-Lösungen. Zudem würden die Untersuchungen komplett durch die untersuchende Einrichtung und indirekt durch die Gemeinschaft der Steuerzahler oder Versicherten finanziert.
Wie geht es besser?
Die Autoren fordern als Ausweg, dass die Verfügbarkeit praxistauglicher Einzeldosisstärken schon bei der Zulassung vorgeschrieben und bei der Preisfestsetzung berücksichtigt werden müsse. Auch die Durchführung von Untersuchungen zu physikalisch-chemischer Stabilität sei als Voraussetzung für die Zulassung von onkologischen Rezepturarzneimitteln vorzuschreiben.
Hersteller: Gesamtgesellschaftlichen Kontext betrachten
Die Hersteller der modernen Krebsarzneimittel weisen die Kritik zurück. Anlässlich der Vorstellung des Branchenreports „Medizinische Biotechnologie in Deutschland 2017“, den der Biotech-Interessenverband vfa bio und die Boston Consulting Group erstellt haben, verwies Dr. Frank Mathias, Vorsitzender des vfa bio, darauf, dass man die Preise für diese Arzneimittel nicht isoliert betrachten dürfe, sondern im gesamtgesellschaftlichen Kontext. Schließlich sorgten die Krebsmedikamente vielfach dafür, dass die Patienten wieder arbeiten gehen können. Dr. Siegfried Throm, Geschäftsführer des vfa bio, ergänzte, dass mittlerweile 80 Prozent der Kosten für Onkologika im ambulanten Bereich anfallen. So würden Krankenhauskosten gespart. Throm kritisierte zudem, dass die Barmer als Vergleichsjahr für die Kostenentwicklung das Jahr 2011 heranziehe. Damals (vom 1. August 2010 bis 31. Dezember 2013) galt ein erhöhter gesetzlicher Herstellerrabatt von 16 Prozent. Seit 2014 sind es nur noch 7 Prozent – insofern sei der Vergleich kritisch zu sehen.
Zudem verwies Throm auf die Finanzreserven der Krankenkassen: „Wo ist da die Rechtfertigung für die Kassandra-Rufe der Barmer?“, fragt er. Seit Jahren sei von den Kassen zu hören, die Arzneimittelausgaben würden ausufern – doch bislang hält sich die Entwicklung im Rahmen. Zu berücksichtigen sei zudem, dass auch bei Biologika Patentabläufe anstünden, die für günstigere Preise sorgten. |
0 Kommentare
Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.