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Stuttgarter Gespräche

Trotz allem optimistisch

Stuttgarter Gespräche: Zukunft der Apotheke positiv, aber …

Wie geht’s den Apotheken und was wird aus ihnen? – eine Analyse des Status quo und ein Ausleuchten von Zukunftschancen und -risiken standen bei den „Stuttgarter Gesprächen“ Anfang Juli im Mittelpunkt. Zur Diskussionsrunde mit der Überschrift „Quo vadis Apotheke?“ hatten Professor Kaapke Projekte und die Deutsche Apotheker Zeitung vier profunde Kenner der Apothekenszene eingeladen. Ihr Fazit: Die Zukunft der Apotheke zeigt sich durchwegs positiv, allerdings gibt es einige „Aber“, die zum Teil hausgemacht, zum Teil von außen auf die Apotheke zukommen und gemeistert werden müssen. Und es gibt einige neuralgische Punkte. | Von Peter Ditzel 

„Die Apotheken sind mit einem EuGH-Urteil konfrontiert, das große Auswirkungen auf die inhabergeführten Apotheken vor Ort haben wird. Wir haben Lieferengpässe, bei denen man sich fragt, wie das sein kann. Wir haben Fragen zum Apothekenhonorar, die einer Klärung bedürfen. Die Wahlprogramme werden den Apotheken entweder nicht gerecht oder sehr gut gerecht. Der Rückgang der Apothekenzahlen geht weiter, die Digitalisierung und der Versandhandel bringen enorme Herausforderungen, die Bürokratie nimmt ihren Lauf und Apotheken leiden unter einem Mitarbeitermangel bzw. unter Personalproblemen – schöne Rahmenbedingungen sehen anders aus“, – fasste der Apotheken-Ökonom Andreas Kaapke das gegenwärtige Szenario zusammen.

Fehler der Vergangenheit

Für Harald Schweim, selbst mit Leib und Seele Apotheker, wie er sagt, steht fest: In seiner Wahrnehmung geht es der Apotheke, soweit er dies überblicken kann, „so schlecht wie nie“. Die Ursachen liegen für ihn auch in den Fehlern der Vergangenheit: „Die Filialisierung als bauernfängerischen Ersatz für den Versandhandel zu erlauben, hielt ich immer für problematisch.“ Denn mit der Filialisierung habe man sich vom Grundsatz „Der Apotheker in seiner Apotheke“ verabschiedet.

Für einen schlimmen Fauxpas hält Schweim die Tatsache, dass Apotheker den Ausschluss der OTC-Arzneimittel aus der GKV-Erstattung hingenommen haben. Lediglich die damalige Umstellung des Apothekenhonorars für verschreibungspflichtige Arzneimittel könne als geglückt gelten – mit dem Schönheitsfehler, dass es zu leicht von der Politik manipulierbar sei. Worauf Schweim auch hinwies: Kaum eine Apotheke hat heute noch die von der Apothekenbetriebsordnung geforderte Warenbevorratung, um eine Woche lang lieferfähig zu sein: „Die Apotheken müssen sparen und haben ihr Warenlager heruntergefahren. Ohne Großhandel läuft nichts. Das sind Auswirkungen politischer Fehler. Vielleicht hatten die Leute, die uns damals vertreten haben, nicht das Rückgrat, um bei solchen Angriffen standhaft zu bleiben.“

„Die Fehler von 2004 sind allerdings nicht mehr rückgängig zu machen“, so Wilfried Hollmann mit Blick nach vorne, die Frage ist: „Was ist danach passiert?“ Immerhin, die Apotheke habe in der Bevölkerung einen guten Ruf – „ein Pfund, das die Apotheker nicht richtig ausspielen“, ist Hollmann überzeugt, „die Apotheker haben es nicht geschafft, den Wert der Apotheke für die Gesellschaft darzustellen.“ Die Apothekenlandschaft sieht Hollmann heute differenziert: „Nicht allen geht es schlecht.“ Er geht davon aus, dass etwa 40 Prozent der Apotheken hervorragend dastehen, 20 Prozent so la la und 40 Prozent Existenznöte haben, weil sie sich beispielsweise um wirtschaftliche Fragen nicht kümmern oder es nicht gelernt haben. „Apotheker sind heute gezwungen“, davon ist Hollmann überzeugt, „sich betriebswirtschaftlich fortzubilden – ohne BWL-Kenntnisse funktioniert kein Unternehmen.“ Und ja, die Apotheker haben sich nicht gewehrt, als Versandhandel, Filialen und der Ausschluss der OTC von der Erstattungsfähigkeit kamen. „Manche Apotheker fordern bereits, mehr als nur drei Filialen führen zu dürfen – das ist für mich eine Katastrophe“, so Hollmann, „das ist der Weg auf der schiefen Ebene, hin zum uneingeschränkten Fremdbesitz“. Um zehn und mehr Apotheken zu führen, müsse man kein Pharmazeut, sondern Manager sein. Auch die Dachmarkenkooperationen sieht Hollmann skeptisch, es sei ein Zeichen an die Politik, dass Apotheker große Filialverbünde bin hin zur Kette wollten. „Deshalb wünsche ich mir“, so Hollmann, „wieder den Apotheker in seiner einen Apotheke zu haben“.

Nach Auffassung von Klaus G. Brauer ist die Apothekenwelt seit den 80er-Jahren viel inhomogener geworden, nicht nur in wirtschaftlicher Hinsicht, sondern auch in fachlicher: „Es gibt Apotheker, die machen pharmazeutisch einen tollen Job, aber 20 bis 30 Prozent der Apotheker interessieren sich nach der Eröffnung ihrer Apotheke für fast nichts mehr.“ Inhomogen werde die Apothekenlandschaft auch durch die großen Apotheken- und Filialverbünde, geführt von Managern – „das ist ein völlig anderes Berufsbild des Apothekers“, ist Brauer überzeugt, „das ist nicht mehr der Apotheker, der gegenüber seinem Patienten persönlich auftritt und selbst fachlich verantworten kann, was in seiner Apotheke abläuft.“ Eine Chance, in Zeiten ohne Filialen zurückzukehren, sieht Brauer allerdings nicht.

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Zukunftschancen und -risiken standen bei den „Stuttgarter Gesprächen“ Anfang Juli im Mittelpunkt. Wie es mit der Apotheke weitergeht, dazu machten sich erfahrene Kenner der Apothekenszene ihre Gedanken (v. l.): Ulrich Krötsch, Klaus G. Brauer, Andreas Kaapke (Moderation), Wilfried Hollmann, Harald Schweim.

Besser mit Zwangsfortbildung?

„In Australien oder Kanada müssen sich Apotheker“, so warf Schweim ein, „zwingend fortbilden und sich Überprüfungen unterwerfen – tun sie das nicht, verlieren sie ihre Lizenz, vergleichbar der Approbation.“ – „Wäre eine Überlegung wert“, meinte Brauer. In Deutschland bildeten sich etwa 20 bis 40 Prozent der Apotheker fachlich hervorragend fort, aber wohl ebenso viele hätten auf diesem Gebiet überhaupt keine Ambitionen. „Leider sind diese Apotheker nicht deckungsgleich mit denen, deren Apotheken schlecht laufen“, warf Kaapke ein, „sonst würde es der Markt regeln“. – „Eine Zwangsfortbildung könnten unsere Kammern durchaus kontrollieren“, ist Ulrich Krötsch überzeugt, beispielsweise durch eine digitale Anwesenheitskontrolle. „Aber“, so fragte Hollmann, „ist eigentlich die fehlende pharmazeutische Fortbildung das Problem der deutschen Apotheke? Sind nicht viel mehr die ökonomischen, die politischen Umstände das Problem?“ – „Bisweilen schon“, warf Schweim ein, „denn fachliche Kompetenz und pharmazeutisches Wissen führen über eine gute Beratungsleistung, die sich bei den Kunden herumspricht, zu ökonomischen Erfolgen.“ Anhand von Beispielen aus seiner Apotheke und seiner Klinikversorgung konnte Krötsch zeigen, dass Ärzte das fachliche Wissen eines gut ausgebildeten und kompetenten Apothekers schätzen. Die Medikationsanalyse und das Medikationsmanagement werde er auch in seiner Apotheke durchführen.

Empathie nicht vergessen!

Hollmann sah aber ein weiteres Problem bei Apotheken, nämlich die Frage, wie Apotheker auf den Patienten zugehen, ihn betreuen und umsorgen. „Wenn der Apotheker den Patienten mehr umgarnen würde im positiven Sinn, würde der Patient vermutlich eine stärkere Bindung zur Apotheke ausbilden und nicht auf den Gedanken kommen, bei einer Versandapotheke einzukaufen“, ist Hollmann überzeugt. „Für mich spielt die Sozialkompetenz der Apotheker eine große Rolle, die Empathie, die die Apotheker den Menschen entgegenbringen.“ Und Brauer ergänzte: „Die Apotheke ist für die Bürger eine niedrigschwellige Anlaufstelle, wo sie kompetenten Kontakt aufnehmen können, mit einem Menschen reden können – ein großer Wert für die Gesellschaft. Doch das ist leider bei den Multiplikatoren nicht verankert.“

Zu große Macht der Kassen

Nach Ansicht von Krötsch leiden die Apotheken unter der immer größer werdenden Macht der Krankenkassen. Einfachste Substitutionen seien aufgrund der Rabattverträge nicht mehr möglich. „Sollte man mal im Notdienst substituieren müssen, dann muss man eine lange Begründung dazu schreiben, und selbst das erkennen nicht alle Kassen an“, echauffierte sich Krötsch. „Krankenkassen mahnen immer noch größere Transparenz bei Apotheken an, dabei haben wir bereits die größte Transparenz, die es in einem Handel gibt – im Gegensatz zu den Krankenkassen selbst“, fügte Krötsch hinzu, „die Macht der Krankenkassen ist schrecklich“.

Die Aufforderung mancher Kassen, die Bürger sollten bei ausländischen Versendern bestellen, veranlasste Hollmann, zu fragen, warum die Apotheker nicht forderten, dass sich die Bürger auch im Ausland gesetzlich versichern können: „Die ausländischen Versicherer sind deutlich günstiger als die deutschen Krankenversicherungen.“

Schweim leitet die Macht der Krankenkassen von der zunehmenden Sozialdemokratisierung der Gesellschaft ab, selbst vonseiten der CDU. Die Union müsste endlich wieder entdecken, dass Unternehmer, auch Mittelständler wie die Apotheker, nicht die Feinde, sondern die Träger unserer Gesellschaft seien. „Die Krankenkassen, obwohl eine Organisation der Selbstverwaltung, scheinen sich zu verselbstständigen“, bekräftigte Brauer, „sie machen den offenen Gesetzes­bruch, sie verstoßen gegen den Rahmenvertrag bei der Bevorzugung des ausländischen Versandhandels.“ Nach Meinung Hollmanns führen Krankenkassen ein egoistisches und gewinnorientiertes Eigenleben, „sie sind keine Versichertenvertreter mehr“.

Nach Ansicht von Ulrich Krötsch (li.) leiden die Apotheken unter der immer größer werdenden Macht der Krankenkassen. Klaus G. Brauer bedauert, dass der Wert der Apotheken bei Multiplikatoren nicht verankert sei.

Schweim sieht darüber hinaus das Problem, dass die Apotheken als politische Größe nicht groß genug sind, um die Patienten zu mobilisieren. Von den durchgeführten Aktionen der Standesführung hält er allerdings nicht viel, „diese Aktionen waren naiv, die Unterschriftenaktionen plump. Das hat uns lächerlich gemacht, auch in der Politik“.

Apropos Aktionen: „Die Apotheke wird gebraucht, aber der Wert der Apotheke wird nicht richtig dargestellt, dafür bräuchte man eine richtig gute Kampagne“, brachte es Kaapke auf den Punkt. Manchmal werde die Apotheke bagatellisiert, banalisiert. Die Bevölkerung wisse nicht, was in der Apotheke wirklich ablaufe. „Wüsste sie es, würde sie die Apotheke höher einschätzen“, ist Kaapke überzeugt, „die Beratung ist nicht zu kompensieren, auch nicht durch die Digitalisierung. Sobald man einen arzneimitteltherapeutischen Bedarf habe, braucht man einen Pharmazeuten.“ Allerdings wäre es besser, den Begriff des Arzneimittels als Ware zu ändern, so Krötsch, „denn Ware ist Ware. Und eine Ware kann man versenden.“ Krötsch plädierte dafür, das Arzneimittel als besonders beratungswürdiges, sensibles Gut zu bezeichnen, um sich besser vom Begriff Ware abzusetzen.

Kampagnen – wofür?

In der Bevölkerung hat der Apotheker bereits ein gutes Image. „Wäre es daher nicht besser, Kampagnen zu entwickeln, um die politisch agierenden Multiplikatoren zu überzeugen“, fragte Brauer. „Ein richtiger Weg“, stimmte Kaapke zu, allerdings sieht er Nachholbedarf darin, der Bevölkerung das Leistungsspektrum und den tiefen Wert der Apotheke vor Augen zu führen. „Auch den Wert der Apotheke als Schutz vor Arzneimittelfälschungen“, bekräftigte Schweim. Kaapke könnte sich eine Art Erinnerungswerbung vorstellen, die an Aufgaben und Dienstleistungen der Apotheke erinnere, die für die Bürger oft nicht selbstverständlich seien.

Ein weiterer Vorschlag von Schweim: „Eine Kampagne gegen das Wort ‚Apothekerpreise‘ – ein Begriff, der nie wirklich richtig war und heute überhaupt keine Bedeutung hat. Diese Redewendung zieht unseren Berufsstand runter und schadet uns.“

„Schrecklich“ seien dagegen Kampagnen, die sagen, man brauche die Apotheke für die Rezepturherstellung. „Die Patienten erleben, dass sie bei Rezepturen von Apotheken abgewimmelt oder an andere Apotheken verwiesen werden. Wenn man als ABDA die Rezeptur als Besonderheit herausstellt, dann tut man sich damit keinen Dienst“, ist Schweim überzeugt. Mit Rezepturverweigerern müsste man allerdings viel härter ins Gericht gehen. Das sieht auch Krötsch so. Pseudocustomer-Untersuchungen hätten gezeigt, dass etwa 15 bis 20 Prozent der überprüften Apothekenrezepturen Mängel aufwiesen. Sieben bis zehn Prozent der Apotheken lehnten Rezepturen unter Vorwänden von vornherein ab. Es habe sich auch gezeigt, so Schweim, dass diese Rezepturverweigerer identisch seien mit denen, die die Fortbildung verweigerten: „Aus meiner Sicht gibt es eine Gruppe in unserem Stand, die den Beruf schwänzt“, formulierte es Schweim zugespitzt, „von diesen müssten wir uns befreien“. Hierfür gebe es die Berufsgerichtsbarkeit, so Krötsch, aber die vorhandenen Strafen seien womöglich zu niedrig, hielt Schweim dagegen. Letztlich gelte es, verlässliche Standards in Apotheken zu schaffen, ist Hollmann überzeugt. Und Schweim ergänzte: „Wenn ein Patient in eine deutsche Apotheke geht, soll er von einem Apotheker mit einem Mindest- oder Basisstandard an Wissen beraten werden.“ Allerdings reiche dies nach Hollmanns Auffassung nicht aus. Neben einer guten Ausbildung gehörten heute betriebswirtschaftliches Wissen und Empathie dazu: „Der Apotheker muss erkennen können, ob der Patient eine Beratung braucht – im Übrigen ein wesentlicher Unterschied zum Versandhandel, der das nicht kann“, ergänzte Brauer.

Kommt das Rx-Versandverbot?

Schweims Überlegungen: Da bei der Bundestagswahl keine Mehrheit für die CDU/CSU zustande kommt, wird voraussichtlich die Union wieder mit der SPD koalieren und das Problem beim Rx-Versandverbot bleibt wie gehabt: Die SPD blockiert. Er plädierte daher dafür, einen anderen Weg zu gehen, den Weg über die sogenannte Länderliste: Nur ausländische Apotheken, die auf der Länderliste stehen und damit unsere deutschen Kriterien für Apotheken erfüllen, dürfen Arzneimittel nach Deutschland versenden. Es gebe ein Papier aus dem Jahr 2005, wonach regelmäßig überprüft werden müsse, ob die Versandapotheken im Ausland nach unseren Vorschriften anerkannt werden könnten. Diese Liste sei seit 2009 nicht mehr überprüft worden. Wie Schweim erläuterte, haben die Niederlande allerdings 2011 ein neues Gesetz verabschiedet, das die sogenannte Grenzapotheke eingeführt hat, also ein Gesetz für Apotheken, die an der Grenze sitzen und in Länder außerhalb der Niederlande liefern. Schweim: „Der Haken für die Versender ist: Nach diesem Gesetz dürfen sie nicht in die Niederlande liefern. Somit verstößt DocMorris gegen die Regeln der Länderliste aus 2005. Herr Gröhe bräuchte also nur anhand der Länderliste die ausländischen Versender zu überprüfen und er würde feststellen, dass der Rx-Versand nicht mehr den alten Regeln der Länderliste entspricht. Er könnte dann die Niederlande ohne Beteiligung des Bundestages von der Länderliste streichen. Das wäre ein Weg, wenn man nach der Bundestagswahl keine Mehrheit hat“, so Schweim. Der ABDA lägen diese Unterlagen vor, allerdings habe man die Strategie und den Gesetzentwurf Gröhes nicht unterlaufen wollen. Nach der Wahl sei dies allerdings eine Möglichkeit. „Und für einen neuen Gesundheitsminister wäre es fast noch einfacher, den Weg über die Länderliste zugehen. Für mich ist jedenfalls der einzige Weg, der machbar wäre, sollte ein Verbotsgesetz nicht zustande kommen“, ist Schweim überzeugt.

Mal abgesehen vom Weg über die Länderliste – wie werden die Chancen für ein Rx-Versandverbot nach der Wahl generell beurteilt? Die Runde zeigte sich durchwegs optimistisch. Immerhin, es steht im Wahlprogramm der CDU/CSU. Und wenn das Gesundheitsministerium weiterhin von der Union geführt wird, sollten die Chancen so klein nicht sein, so die einhellige Auffassung. Selbst wenn die FDP in einer großen Koalition dabei wäre – sie würde ein Rx-Versandverbot wohl letztlich nicht blockieren.

Der Wert der flächendeckenden Versorgung

Kritisch betrachtete Kaapke das Hauptargument der Befürworter des Rx-Versandverbots, nämlich den Erhalt der flächendeckenden Versorgung mit Arzneimitteln. Kann man mit diesem Argument tatsächlich noch hausieren? Interessiert das die Multiplikatoren, sodass sie sich für die Apotheke vor Ort einsetzen? Oder greift schon das Argument um sich, der Versandhandel könne flächendeckend versorgen? Brauer ist überzeugt, dass die flächendeckende Versorgung durchaus ein ernst zu nehmendes Thema ist: „Apotheken auf dem Land, die aus Wettbewerbsgründen ein oder zwei Euro Rabatt geben wollten, würden dies nicht überleben und eine Lücke hinterlassen, die der Versandhandel nicht oder nur absolut unzureichend schließen könnte: Er liefert z. B. keine Rezepturen, keine Betäubungsmittel, und er scheitert bei notwendiger Akutversorgung und bei der Feststellung eines Beratungsbedarf, den der Patient nicht selbstständig erkannt hat.“ Auch wenn der Versandhandel in der Stadt sogar die tägliche Belieferung möglich machen sollte, auf dem Dorf funktioniere das nicht. „Und dort“, so Hollmann, „sind dann die Menschen die Leidtragenden, denn die Versandapotheken können die Versorgung nicht in vollem Umfang leisten. Und wenn die Versender sich als Ergänzung sehen, so sind sie doch die Totengräber der Landapotheken, da sie diesen Apotheken Umsatz wegnehmen, den sie zum Überleben brauchen“, ergänzte Hollmann, „dann werden die Bürger ihre Apotheke auf dem Land vermissen. Offensichtlich verstehen das Politiker nicht oder wollen das nicht wahrhaben.“

Auch Krötsch sieht die Gefahr, dass Politiker die Vor-Ort-Apotheke zwar für die Akutversorgung für unverzichtbar halten, aber bei den Chronikern mit einem planbaren Bedarf, z. B. bei Diabetikern, dem Versand das Wort reden. „Das wird die Vor-Ort-Apotheke schwächen, sie wird schließen und sie steht dann nicht mehr für die Akutversorgung zur Verfügung“, prognostizierte es Krötsch, „und die Mischkalkulation geht den Bach runter.“ – „Es geht eben nicht, das Brot-und-Butter-Geschäft wie die Versorgung von Chronikern den Versendern zu übergeben und nur noch die Akutversorgung den Vor-Ort-Apotheken zu überlassen“, unterstrich es Kaapke.

Schweim prangerte zudem die immer wiederkehrende Aussage von Kassen an, die Apotheker sollten das Rx-Geschäft aus dem OTC-Bereich subventionieren. Eine solche Quersubventionierung hält er sogar für verfassungswidrig. Außerdem gebe es zum Versandhandel nicht zugelassene Arzneimittel wie z. B. die „Pille danach“, die Betäubungsmittel und Thalidomid. Schweim: „Es gibt also mehrere Ansatzpunkte, dass die Rosinenpickerei nicht zulässig ist. Ich hätte mir hier eine härtere juristische Vorgehensweise der Standesvertretung gegen die Politik gewünscht.“

Stuttgarter Gespräche

Die Diskussionsteilnehmer:

  • Dr. Klaus G. Brauer, Apotheker, Herausgeber der Deutschen Apotheker Zeitung, bis zur Jahresmitte Inhaber der Stadtwald-Apotheke Essen
  • Wilfried Hollmann, Betriebswirtschaftler, ehemaliger Vorstandsvorsitzender der Noweda eG, Essen, ehemaliger Präsident des Mittelstandsbundes ZGV e. V.
  • Dr. Ulrich Krötsch, Apotheker, Inhaber der Johannes-Apotheke, Gröbenzell, und der Klinikversorgung der Johannes-Apotheke, ehemaliger Präsident der Bundesapothekerkammer und der Bayerischen Landesapothekerkammer
  • Prof. Dr. Harald Schweim, Apotheker, em. Universitätsprofessor für Drug Regulatory Affairs, ehemaliger Präsident des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM)

Moderation: Prof. Dr. Andreas Kaapke, Duale Hochschule Baden-Württemberg, Inhaber der Prof. Kaapke Projekte, Stuttgart und Ludwigsburg

Kaapke resümierte: „Die Standesvertretung ist offensichtlich zu lasch und ruhig in der Kommunikation, was den Wert der Apotheke betrifft, und zu brav und zu defensiv, obwohl wir gute Gründe gegen Versender haben.“ Und Schweim fügte hinzu: „Dort wo klare Rechtsverstöße offensichtlich sind, wird nicht dagegen vorgegangen. Und wenn man mit Standesvertretern spricht, heißt es: Wir brauchen die Politiker an anderer Stelle. Aber eine solche Vorgehensweise halte ich nicht für richtig.“ Schweim zitierte den Volksmund: „Solange man ein Schwein kneift und es quiekt nicht, tut es ihm nicht weh. Also kann man weiter kneifen. Und weil wir nicht quieken, sind wir die Dummen“, brachte er es plakativ auf den Punkt.

Krötsch zeigte sich als ehemaliger Standesvertreter allerdings hin- und hergerissen, denn er wisse, dass man manchmal sehr wohl Kompromisse machen müsse. Wogegen nichts einzuwenden sei, erwiderte Schweim, aber wenn es zu einseitige Kompromisse seien, dann gefalle ihm das nicht.

Die Honorierungsfrage

Es sei fraglich, so Kaapke, ob die Apotheker mit den erfolgten Honorierungsanpassungen – nach zehn Jahren auf 8,35 Euro und dann noch die Anpassung beim Nacht- und Notdienst – auch nur ansatzweise zufrieden sein können: „Das ist doch weit unter der Inflationsrate und weit unter der Anpassung bei anderen Berufen.“ Hollmann warf ein, die Politik warte wohl erstmal das vom Bundeswirtschaftsministerium in Auftrag gegebene Gutachten zum Apothekenhonorar ab. Gerüchten zufolge soll dieses Gutachten so gut wie fertiggestellt sein, aber: „Es geht aus wie’s Hornberger Schießen“, werde kolportiert. Eine Honorarerhöhung wird es für die Apotheken wohl nicht geben, die Apotheker könnten froh sein, wenn keine Honorarkürzung resultiere. Da Apotheken zum Teil freiwillig Boni gäben oder Happy Hours veranstalteten, liege es nahe, dass das Honorar zu hoch sei.

Für Wilfried Hollmann (li.) spielt die Sozialkompetenz der Apotheken eine große Rolle. Und Harald Schweim sieht Chancen für ein Rx-Versandverbot – jenseits eines Gesetzes.

„Aber nimmt denn dieses Gutachten überhaupt noch jemand wahr?“, so Kaapke, „der Minister, der es in Auftrag gegeben hat, ist bereits weg. Es gibt Hinweise, dass das Gutachten erst nach der Wahl erscheint. Und ob sich der neue Wirtschaftsminister um ein von seinem Vorgänger initiiertes Gutachten kümmert, steht in den Sternen.“

Ob die Systematik der Apothekenhonorierung zur Debatte steht, ist nicht bekannt. Allerdings, so gab Krötsch zu bedenken, sei das jetzige System mit der derzeitigen Preisentwicklung, Stichwort Hochpreiser, nicht mehr lange haltbar: „Mir ist auch ein Rätsel, wie der Großhandel überhaupt noch arbeiten kann: Er hat keine Anpassung erhalten. Ich kann auch nicht verstehen, wie Krankenkassen mehr Transparenz verlangen – es gibt kaum ein System, das transparenter ist.“ „Aber es ist auch komplex“, so Schweim. „Und deshalb ist es schwer für einen neuen Gesundheitsminister, der nicht in der Materie steckt, die Honorarstrukturen zu durchdringen – er wird die Honorarfrage also nicht anfassen“, vermutet Schweim. „Ist der Gesundheitsminister allerdings eine starke Persönlichkeit, die sich in dieser Materie auskennt, dann haben wir Apotheker sicherlich mit guten sachlichen Argumenten die Chance, einen Systemwechsel beim Honorar zu erreichen“, so Schweims Meinung.

Unsicher ist sich Brauer, ob die derzeitige Honorierung für Rx-Arzneimittel wirklich verändert werden muss – „wir gehen jedenfalls hohe Risiken ein, wenn wir an der Grundstruktur dieses Systems etwas ändern“. Er fragte stattdessen nach der Chance, für Zusatzleistungen extra honoriert zu werden, die bei der Verabschiedung des gegenwärtigen Systems noch niemand auf dem Schirm hatte.

Kaapke warf ein, er habe bereits an die Standesführung appelliert, zu definieren, für welche Tätigkeiten ein Apotheker 8,35 Euro bekomme und wofür eigentlich nicht. Denn Letzteres wären die Zusatzleistungen, bei denen man über Sondervergütungen reden könnte. „Aber da traut sich keiner ran, weil man Beispiele finden könnte, die das derzeitige Honorar nicht rechtfertigten“, meinte der Apotheker-Ökonom, „dennoch, wenn man eine Honorierungserhöhung will, muss man sagen wofür.“ Eine solche neue Leistung sieht Brauer zum Beispiel im Medikationsplan. „Aber bei einem Extrahonorar“, so Kaapke, „müsste man genau definieren, wie diese Leistung zu erbringen ist, sonst könnte es leicht zu Fehlanreizen kommen.“

Schweim pflichtete bei: Das System der 8,35 Euro könne man nicht lückenlos in Leistungseinheiten umsetzen. Oft sei dieses Honorar für eine apothekerliche Leistung zu niedrig und oft wird dieses Honorar gezahlt für etwas, das gar keine Leistung ist – „es ist eine klassische Mischkalkulation“. Daher rief auch Schweim dazu auf, mit dem jetzigen System zufrieden zu sein: „Vom Grundsatz her ist das System des Fixhonorars gut, weil es uns in unserer heilberuflichen Kompetenz stärkt. Es jetzt marktwirtschaftlich aufzubohren, halte ich für ein Risiko.“

Daher würde Krötsch diese Frage am liebsten ganz pragmatisch angehen, nämlich den Aufschlag von drei auf vier Prozent erhöhen. Und man sollte verlangen, das Honorar in einem zweijährigen Turnus an die Inflationsrate zu koppeln, was Kaapke als Mindestforderung sieht.

Hollmann brachte noch den Kassenrabatt von 1,77 Euro in die Diskussion, für den es in dieser Höhe keine Begründung gibt. Sähe man dies als ein Skonto von zwei oder gar drei Prozent für pünktliche Zahlung an, läge dieser Betrag wohl eher bei einem Euro.

OTCs mit und ohne zwingende Beratung?

Ein leidiges Thema sind die Rabattschlachten bei OTCs – für das Image der Apotheker eine absolute Katastrophe, war sich die Diskussionsrunde einig. „Es war eine Todsünde“, fügte Brauer hinzu, „die Preise bei den OTCs freizugeben. Denn gerade bei diesen Präparaten, bei denen der Apotheker beraten soll, wäre es sinnvoll gewesen, bei Festpreisen zu bleiben, damit Einkaufskonditionen nicht in den Verdacht geraten, die Empfehlung des Apothekers zu beeinflussen.“ – „Vielleicht könnte man eine Liste von OTCs aufstellen, bei denen zwingend beraten werden muss und bei denen man wieder zu Festpreisen zurückkehrt“, so Schweim, „zudem wäre eine Spaltung des OTC-Marktes aus pharmakologischen Gründen sinnvoll, um auch dem OTC-Präparat einen anderen Stellenwert zu geben.“

„Aber dann“, so befürchtet Krötsch, „könnte die Politik die OTC-Präparate ohne Beratungspflicht für den Drogeriemarkt freigeben. Und die Standesführung würde dafür von den Apothekern gegeißelt.“ Wobei man diese Kröten sogar schlucken könnte, überlegt Kaapke, weil dann diese Präparate aus den Schweinbauchanzeigen, aus den Preisflyern verschwänden und das Image der Apotheke sich heben würde.

Schweim sprach sich dafür aus, endlich solche Nahrungsergänzungsmittel und Medizinprodukte, die nah am Arzneimittel sind, ähnlich wie Arzneimittel zu regulieren, sprich: sie sollten eine Zulassung bekommen. Dann würden sich diese Präparate nicht im Drogeriemarkt wiederfinden, sondern in die Apotheke zurückkommen, ist Schweim überzeugt, im Gegensatz zu den übrigen Diskutanten, die hier ihre Bedenken anmeldeten: „Was aus der Apotheke weg ist, ist weg.“

Apotheken haben ein Leistungs- und Kommunikations­problem, so Andreas Kaapke. Und er wünsche sich eine Kampagne, die den Namen verdient.

Optimismus ist Pflicht

Krötsch sieht die Zukunft der Apotheke trotz Widrigkeiten positiv. Allerdings, die Macht der Krankenkassen ist zu groß, die Apotheke wird mit dem Versandhandel zu kämpfen haben und die Zahl der Apotheken wird in Zukunft weiter zurückgehen.

Nach Ansicht von Brauer werden die Apotheker die Diskussion um die Struktur und Organisation des Apotheken­wesens nicht los. Aber seine Grundhaltung ist zuversichtlich, wenn es gelingt, dass nicht immer mehr Apothekerinnen und Apotheker in die rein kaufmännische Richtung abdriften.

Auch Hollmann sieht die Zukunft der Apotheke unverändert positiv. Allerdings muss die Apotheke der Bevölkerung und der Politik den Wert der Apotheke vermitteln. Die Standesvertretung muss alle Möglichkeiten nutzen, die Punkte anzusprechen, unter denen die Apotheke leidet. Studien wie die der Apobank, wonach junge Menschen sich von der Apotheke abwenden würden, zerstörten dagegen den Ruf der Apotheke. Da dürfe man sich nicht wundern, dass Apotheken Nachwuchsprobleme hätten.

Auch Schweim will die Zukunft der öffentlichen Apotheke positiv sehen, man braucht sie, die Apotheke hat wichtige Aufgaben für unsere Bevölkerung: „An der Dienstleistungsfunktion des Apothekers gibt es für mich keinen Zweifel. Aber wir sollten uns nach innen gegenüber den Kolleginnen und Kollegen, die ihre heilberuflichen Pflichten mit Füßen treten, stärker zur Wehr setzen. Und nach außen sollten wir mutiger werden und unsere Rechte besser vertreten.“ Apotheker und ihre Berufsvertreter sollten einen aufrechten Gang bewahren: Halten der pharmazeutischen Qualität im fachlichen Bereich und als Heilberuf, Kampf um wirtschaftliche Rahmenbedingungen, die vertretbar seien, und bisweilen etwas härtere Bandagen – „dann ist mir um die Zukunft der öffentlichen Apotheke nicht bange“.

Apotheken haben ein Leistungs- und Kommunikationsproblem, ist der Apotheken-Ökonom Kaapke überzeugt. Das Leistungsproblem zeige sich dort, wo 20 bis 30 Prozent der Apotheken die Mindeststandards nicht erfüllten, was viel stärker sanktioniert werden müsste, „damit wir auf der Kommunikationsebene aus vollen Rohren schießen können“. Man brauche eine Kampagne, die den Namen verdient, und als Beispiele nicht das vorführt, wo Apotheker schlechte Pharmazie machen. „Und wenn nach einer guten Kampagne die Bevölkerung spürt, dass diese Institution gefährdet ist, dann wird sie für den Erhalt der Apotheke auf die Barrikade gehen“, ist Kaapke überzeugt, der sich auch eine Fernseh­serie wünscht, in der in 15 bis 30 Folgen alle Leistungs­bausteine, bei denen der Apotheker eine helfende, rettende Rolle hat, dargestellt werden. |

Autor

Peter Ditzel ist Herausgeber der DAZ – Deutsche Apotheker Zeitung.

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