DAZ aktuell

„Die ABDA sollte keine Horrorszenarien verbreiten“

Sabine Dittmar (SPD) über das Verhältnis Arzt - Apotheker, Versandhandel und Apothekenhonorar

bro | Sabine Dittmar ist Berichterstatterin für Apothekenthemen in der SPD-­Bundestagsfraktion. Den Job als Bundesgesundheitsministerin fände sie allerdings auch reizvoll. Wie ihre Erfahrung als Hausärztin mit Apothekern waren, warum sie den Versandhandel für unersetzlich hält und worüber sich Apotheker ihrer Meinung nach mehr Gedanken machen sollten, erzählt sie im Interview mit DAZ.online-Chefredakteur Benjamin Rohrer.
Foto: Phillip Külker
Sabine Dittmar

DAZ: Sehr geehrte Frau Dittmar, haben Sie in Ihrem Privatleben viel mit den Apothekern zu tun?

Dittmar: Ja, sehr viel. Mein Schwager und meine Schwägerin sind beide Offizin-Apotheker und haben die Apotheke in meinem Heimatort lange betrieben. Von daher habe ich zu einer bestimmten Apotheke eine ganz besondere Beziehung. Und auch als ich noch als Hausärztin aktiv war, hatten wir natürlich ständigen Kontakt zu allen Apotheken in der Region. Ich selbst nutze die Apotheke sehr selten, weil ich glücklicherweise ein gesunder Mensch bin. Aber für meine Eltern, die schon älter sind, muss ich sehr oft Medikamente holen.

DAZ: Sie sind über die SPD-Landesliste Bayern in den Bundestag eingezogen. Ihr Wahlkreis ist in Bad Kissingen. In diesem Wahlkreis hatte zuletzt ein Apotheker für Aufsehen gesorgt: Christian Machon eröffnete eine easy-Apotheke und verließ daraufhin den Vorstand der Apothekerkammer. Wie haben Sie die Angelegenheit beobachtet?

Dittmar: Herrn Machon habe ich nur einmal kurz kennengelernt. Wir haben über die Versorgungssituation in seinem Ort gesprochen – er kommt ja aus dem Dorf Unsleben, wo die ansässigen Ärzte ihren Praxissitz in einen anderen Ort verlegt haben. Wenn ich in ­Bayern Ansprechpartner bei den Apothekern suche, gehe ich direkt auf Kammerpräsident Benkert und Verbandspräsident Hubmann zu. Das funktioniert gut. Ich habe die beiden auch mal auf das Ausscheiden von Herrn Machon aus dem Kammervorstand angesprochen. Sie sagten mir, dass das Geschäftsmodell nicht zu den Vorstellungen der Kammer passe. Ich will mich da ungern einmischen, auch weil ich das easy-Konzept nicht gut ­genug kenne. Ich habe mir aber vor­genommen, nach der Wahl einen ­Besuchstermin bei Herrn Machon anzufragen.


„Ich habe oft das Gefühl, dass die Patienten in der Apotheke besser zuhören als in der Arztpraxis.“

DAZ: Wie steht es denn grundsätzlich um die Versorgung bei Ihnen im Wahlkreis?

Dittmar: Nach meinem Empfinden könnte man bei mir in der Region auf keine einzige Apotheke mehr verzichten. In der Stadt Bad Kissingen hat sich die Apothekenzahl schon etwas reduziert, aber auf dem Land dürfte das nicht mehr passieren. Trotzdem ist die Versorgungssituation im Moment noch gut. Alle Patienten und auch ich sind sehr froh, dass die Landapotheken da sind, wo sie sind.

Sabine Dittmar

Foto: sabine-dittmar.com / Hoffotografen, Berlin

Sabine Dittmar, geboren 1964 in Schweinfurt, startete als Hauptschülerin und Kinderpflegerin – dann arbeitete sie sich beharrlich hoch. Nachdem sie auf dem zweiten Bildungsweg das Abitur erworben hatte, studierte sie zunächst Physik, wechselte dann aber zur Humanmedizin. Nach der Approbation arbeitete sie zunächst als Assistenzärztin an Kliniken, dann mit ihrem Mann in einer allgemeinmedizinschen Gemeinschaftspraxis im unterfränkischen Maßbach. In die SPD trat sie 1981 ein. Dittmar war aktiv im Ortsverein, im Kreisverband, der BayernSPD. Von 2008 bis 2013 saß sie im Bayerischen Landtag – dann entschloss sie sich, für den Deutschen Bundestag zu kandidieren. Über die Landesliste der BayernSPD gelang ihr 2013 der Wechsel nach Berlin. Sie ist Mitglied im Gesundheitsausschuss und wurde gleich zur stellvertretenden gesundheitspolitischen Sprecherin ihrer Fraktion gewählt. Zudem ist sie im Verteidigungsausschuss und im Ausschuss für Tourismus aktiv.

DAZ: Welche Ansprüche haben Sie denn als Kundin an die Versorgung durch die Apotheke?

Dittmar: Ich persönlich als Ärztin bin da sicherlich nicht das beste Beispiel, weil sich viele Fragen zu Arzneimitteln für mich ja nicht stellen. Aber für die Patienten und Patientinnen ist sicherlich zunächst die unabhängige, fachkundige Beratung von Bedeutung. Der Apotheker soll auch einen Überblick über die Gesamtmedikation des Patienten haben, also den Medikationsplan im Auge behalten und etwaige Neben- oder Wechselwirkungen auch von sich aus ansprechen. Ich habe oft das Gefühl, dass die Patienten in der Apotheke besser zuhören als in der Arztpraxis, deswegen sind solche Gespräche zwischen Patient und Apotheker sehr wichtig.

DAZ: Können Sie als Ärztin von den Arzneimittel-Fachleuten denn gar nichts mehr lernen?

Dittmar: Doch, natürlich. Mein Vater erhält beispielsweise spezielle moderne Medikamente, von deren Nebenwirkungs- und Wechselwirkungsspek­trum ich wenig Ahnung habe. Und auch bei der Hilfsmittelversorgung bin ich froh, dass der Apotheker das Verfahren kennt. Aus meiner Zeit als Hausärztin kann ich Ihnen berichten, dass ich sehr dankbar war, wenn der Apotheker mich kontaktiert hat und auf Wechselwirkungen hinwies.

DAZ: Müssten in solche Wechselwirkungs-Checks nicht eigentlich auch die OTC-Medikamente einfließen?

Dittmar: Absolut. Mein Lieblingsbeispiel ist das Johanniskraut, das mit vielen Arzneimitteln Wechselwirkungen hat. Der Patient sagt einem oft nicht, was er so an freiverkäuflichen Medikamenten noch nebenbei einnimmt. Insofern besteht da aus meiner Sicht auch mit Blick auf den Medikationsplan großer Handlungsbedarf. Es ist auch nicht vertretbar, dass die verschiedenen verordnenden Ärzte und die jeweilig abgebenden Apotheken letztlich nichts voneinander wissen. Ich hätte so beinahe mal einen Patienten verloren.

„Ärzte scheinen manchmal vor jeglicher Art von Transparenz Angst zu haben. Ich habe dafür kein Verständnis.“

DAZ: Was war da passiert?

Dittmar: Ich hatte dem Patienten Diclofenac verordnet. Bei anhaltenden Beschwerden suchte er einen Orthopäden auf, der danach Voltaren verschrieb. Der Patient nahm beide Medikamente ein und vielleicht hat er hin und wieder auch noch eine Aspirin genommen, weil er Kopfschmerzen hatte. Letztendlich bekam der Patient eine Magenblutung. Damals gab es noch nicht die hochwirksamen PPI-Hemmer, wobei die bei einer solchen Dosis die Blutung sicher auch nicht verhindert hätten. Ob nun auf einer Karte oder auf einem zentralen Server: Ärzte und Apotheker sollten beide immer wissen, welche Medikamente der Patient einnimmt.

DAZ: Ihre ärztlichen Kollegen finden solche Kooperationen mit den Apothekern aber nicht so toll wie Sie …

Dittmar: Das ist richtig und hat man auch beim anfänglichen Widerstand gegen das ARMIN-Projekt gemerkt, welches ich sehr begrüße und das jetzt auch in Zusammenarbeit mit den jeweiligen KVen gut anläuft. Ärzte scheinen manchmal vor jeglicher Art von Transparenz Angst zu haben. Ich habe dafür kein Verständnis.

DAZ: Haben Sie eigentlich schon einmal im Versandhandel bestellt?

Dittmar: Nein.

Foto: Phillip Külker
War in ihrer Zeit als Hausärztin immer dankbar, wenn Apotheker sie auf Wechselwirkungen hingewiesen haben. Sabine Dittmar (SPD) im Gespräch mit DAZ.online-Chefredakteur Benjamin Rohrer.

DAZ: Warum denn nicht, Sie verteidigen den deutschen Versandhandel doch.

Dittmar: Ich persönlich brauche nicht viel und für mich ist es auch viel ein­facher, in meiner örtlichen Apotheke anzurufen und die bestellen mir dann mein gewünschtes Arzneimittel.

DAZ: Ihre Partei hat sich in den vergangenen Monaten nicht viele Freunde im Apothekerlager gemacht. Verstehen Sie die verärgerten Kommentare der Apotheker in Richtung SPD?

Dittmar: Ich glaube, wir hatten auch vorher schon ein schwieriges Verhältnis. Mir sind Apotheker für die Versorgung der Patienten extrem wichtig. Sie müssen mich aber nicht unbedingt nett finden, wobei ich die eine oder andere Reaktion aus dem Apothekerlager auch nicht verstehen kann. ­Immerhin haben wir uns vehement in dieser Legislaturperiode für die ­Erhöhung der Rezeptur- und BtM-­Pauschalen eingesetzt. Und auch die Zytostatika-Verträge sahen wir sehr kritisch. Aber auch das sehe ich wieder aus Patientensicht: Mit diesen Neuregelungen wollen wir uns nicht bei den Apothekern anbiedern, sondern die Versorgung auf einem hohen Niveau halten und sie sogar verbessern.

„Mir persönlich wurde klar, dass das Versandverbot keine Lösung sein kann, als ich neben den rechtlichen Vorbehalten verstand, welche Rolle der deutsche Versandhandel inzwischen einnimmt.“

DAZ: Können Sie sich noch an den 19. Oktober 2016 erinnern?

Dittmar: Und wie! Ich bekam während der Ausschusssitzung eine Eilmeldung aufs Handy, drehte mich zu unserem Fraktionsexperten für Arzneimittel um und sagte nur: „Schau dir mal an, was da passiert ist!“

DAZ: Wie sind die Stunden und Tage danach verlaufen? Wie kamen Sie persönlich und in der Fraktion zu einer Meinung zu dem Thema?

Dittmar: Zuerst war keine spontane Reaktion möglich. Mir war es wichtig, dass wir in der Arbeitsgruppe intensiv beraten und eine rechtssichere Lösung finden. Deswegen sagten wir in den ersten Wochen, dass wir uns alle Optionen offen halten möchten. Mir persönlich wurde klar, dass das Verbot keine Lösung sein kann, als ich neben den rechtlichen Vorbehalten verstand, welche Rolle der deutsche Versandhandel inzwischen einnimmt. Betroffene Patienten und Versandhändler haben uns in Gesprächen verdeutlicht, wie wichtig er für die Versorgung ist.

DAZ: Was haben die Herren und Damen denn erzählt, damit Sie zu dieser Meinung kommen?

Dittmar: Ein unterfränkischer Apotheker hat mir beispielsweise erzählt, dass er für die ambulante Therapie von Mukoviszidose-Kindern individuelle parenterale Antibiotikalösungen herstellt. Diese werden mit einem erweiterten Botendienst von einem Fahrer im Umkreis von weit über 50 km ausgeliefert. Mit dem von Gröhe vorgesehenen RX-Versandhandelsverbot und der damit verschärften Botendienst-Regelung wäre dies nur noch unter erheblichem wirtschaftlichem Mehraufwand möglich, vorausgesetzt die strenge Einzugsgebietsdefinition lässt es überhaupt zu. Wenn solche erweiterten Botendienste nicht mehr gefahren werden können, wäre das ein Verlust für die Versorgung. Und auf die Problematik der Oxybutinin-Instillationssets, die ausführlich durch die Presse ging, will ich gar nicht näher eingehen, aber gelöst ist sie meines Wissens noch immer nicht.

DAZ: Aber Sie müssen doch verstehen, dass dadurch automatisch Vorwürfe entstehen, nach denen Sie den Versandhandel gezielt fördern wollen.

Dittmar: Natürlich verstehe ich das. Das ist mir aber egal, ich will die Patientenversorgung auch für besondere Versorgungsbedarfe unkompliziert aufrechterhalten. Die Apotheker blenden an dieser Stelle einfach aus, dass sich in der Versorgung seit 2004 sehr viel verändert hat. Es hat eine Ambulantisierung stattgefunden. Dass Patienten heutzutage ihre individuellen parentalen Zubereitungen in einer Praxis oder sogar Zuhause erhalten, war früher undenkbar. Außerdem wird auch immer wieder vergessen, dass in der ApBetrO, die bis 2004 galt, neben dem Botendienst in Ausnahmefällen auch der Versand erlaubt war.

Frau Dittmar, vollenden Sie bitte folgende Statements:

  • In der Unionsfraktion arbeite ich am liebsten mit: … Karin Maag und Michael Hennrich.
  • Dem Rx-Versandverbot würde ich zustimmen, wenn … Da kann ich mir keine Konstellation vorstellen.
  • Als Bayerin habe ich mich nicht für die CSU entschieden, weil … mir die damalige Bildungs- und Frauenpolitik der Union viel zu konservativ waren.
  • Martin Schulz sollte nächster ­Bundeskanzler werden, weil … er für eine gerechte und zukunftsweisende Politik steht.
  • Das Gesundheitsministerium sollte von der SPD besetzt werden, weil … wir noch viele gute Projekte in der Pipeline haben, wie etwa die Bürgerversicherung und das Patientenrechtegesetz.
  • Eine Koalition könnte ich mir am ehesten vorstellen mit … Keine Koalitionsaussagen!
  • Eine rot-rot-grüne Koalition ist für mich … aufgrund der Außen- und Sicherheitspolitik der Linken schwer vorstellbar.
  • Sollte es die AfD in den Bundestag schaffen, wäre das für mich … eine Katastrophe!
  • Ein Bündnis mit der FDP halte ich für … nicht ausgeschlossen.
  • Den Job als Gesundheitsministerin … fände ich sehr reizvoll.

DAZ: Aber meinen Sie nicht, dass der Erhalt von 98 Prozent der Versorgungslandschaft wichtiger ist als der Schutz dieses minimalen Sektors?

Dittmar: Es muss beides möglich sein. Die ABDA hat doch in der Anhörung im Bundestag bestätigt, dass es Probleme geben könnte, wenn es solche erweiterten Botendienste nicht mehr geben würde und Apotheker zunächst in weitere Sterillabore investieren müssten. Ich finde, auch wenn das sicherlich eine zweischneidige Diskussion ist, dass man auch darüber nachdenken sollte, ob es aus Qualitätsaspekten überhaupt sinnvoll ist, wenn jede Apotheke alles macht. Ich denke, die Mindestmengendiskussion macht auch vor Apotheken keinen Halt.

DAZ: Klingt nach „Apotheke light“…

Dittmar: Das können Sie so sehen, aber ich verstehe nicht, warum jede einzelne Zweig-Apotheke eine Rezeptur vorhalten soll. Wenn es die Hauptapotheke, die sich ja im Umkreis befindet, gut herstellt, dann sollte das doch ausreichend sein.

DAZ: Zurück zum EuGH-Urteil. Die Linke warnt vor einer „Pharmazonisierung“, ihr CDU-Kollege Hennrich befürchtet ein unkontrolliertes DocMorris-Wachstum. Wie sehen Sie die bisherigen Entwicklungen nach dem Urteil?

Dittmar: Max Müller hat das Ziel einer sechsprozentigen Umsatzsteigerung im Rx-Bereich doch angekündigt in der Anhörung im Bundestag. Für mich sind die Marktanteile von Bedeutung, und hier sehe ich keine signifikanten Veränderungen.

„Ich finde, dass man auch darüber nachdenken sollte, ob es aus Qualitätsaspekten überhaupt sinnvoll ist, wenn jede Apotheke alles macht.“

DAZ: Also kann man die Situation auch einfach laufen lassen?

Dittmar: Nein, ganz im Gegenteil. Aber anstatt die ganze Zeit ungewisse und unwahrscheinliche Horrorszenarien zu verbreiten, sollte sich die ABDA auf die Stärken der Apotheker und deren Vergütung konzentrieren. Beratungshonorare, Präsenz zu Unzeiten, Präventionsmaßnahmen – solche Ideen sollten konkretisiert werden, damit man nach dem BMWi-Gutachten etwas für die weitere Debatte vorzuweisen hat.

DAZ: Wieso steht das eigentlich nicht im SPD-Wahlprogramm?

Dittmar: Man kann solche Details nicht ins Programm schreiben. Mir war es sehr wichtig, dass wir festhalten, dass wir die Stärken, also die Kernkompetenzen der Apotheker besser nutzen.

DAZ: Wie soll das Apothekenhonorar denn in Zukunft gestaltet werden?

Dittmar: Ziel muss es sein, eine Vergütung zu finden, die die Leistung des Apothekers gerecht abbildet. Ich könnte mir z. B. vorstellen, aus dem Fixhonorar Teile herauszunehmen und in Präventionsleistungen oder Beratungsleistungen einzubringen. Warum sollten z. B. Diabetes-Checks, Impfbuch­überprüfung, etc. nicht vergütet werden? Denkbar ist auch ein Strukturfonds, in den alle Apotheker einzahlen und von dem versorgungsrelevante Apotheken unterhalb einer gewissen Umsatzschwelle profitieren. Damit würden auch kleinere Apotheken wieder interessanter, obwohl ABDA-Präsident Schmidt den Studenten ja selbst rät, nicht in einer kleinen „Klitsche“ anzufangen. Ich erwarte auf jeden Fall mit Spannung das Honorargutachten vom BMWi.

DAZ: Frau Dittmar, vielen Dank für das Gespräch. |

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.