Die Seite 3

Auf einem anderen Planeten

Foto: DAZ/Kahrmann
Dr. Benjamin Wessinger, Chefredakteur der DAZ

Während des alljährlichen Apothekertags fühlt man sich als Beobachter ein wenig der Welt entrückt, den teilnehmenden Delegierten dürfte es ähnlich gehen. Drei Tage verbringt man zusammen in einem dunklen Sitzungssaal, hört Lage- und Geschäftsberichte, diskutiert mehr oder weniger kontrovers über Anträge und verfolgt Diskussionen über politische und berufliche Themen. Der Apothekertag entwickelt einen gewissen Sog, und irgendwann fühlt man sich wie auf einem eigenen Planeten, dem Planeten Apothekertag.

Doch in diesem Jahr kam dieses Gefühl der Entrückung von der Realität noch aus einem anderen Grund auf. Irgendwie wollte die Stimmung so gar nicht zu den Ereignissen der vergangenen zwölf Monate passen.

Noch einmal zur Erinnerung: Kurz nach dem letztjährigen Apothekertag verkündete der Europäische Gerichtshof, dass die deutsche Preisbindung für verschreibungspflichtige Arzneimittel nicht gilt, wenn ein Versender aus einem anderen EU-Land Arzneimittel nach Deutschland schickt. Seitdem locken in Holland ansässige Arzneimittelversender mit Boni, die den deutschen Apotheken weiterhin verboten sind und legen so die Axt an die flächendeckende Versorgung in Deutschland. Alle im Bundestag sitzenden Parteien beteuern einhellig, dass sie diesen Zustand nicht hinnehmen wollen. Nur über die zu ergreifenden Maßnahmen sind sich die Koalitionäre leider zutiefst uneinig.

In der Folge des Urteils hat ausgerechnet die FDP, einst nicht ganz zu Unrecht als „Apothekerpartei“ bezeichnet, nicht nur den Versandhandel eifrig verteidigt, sondern in ihrem Wahlprogramm gleich noch die Aufhebung des Fremdbesitzverbots gefordert.

Dazu kommt das Verfahren über die Großhandelsskonti und -rabatte, in dem der Bundesgerichtshof in 14 Tagen höchstrichterlich den Ertrag der Apotheken zusammenstreichen könnte, wenn er die Skonti für rechtswidrig hält.

Doch von Wut angesichts all dieser Schläge, von Kampfgeist und Aufbegehren war auf dem Apothekertag nichts zu spüren. Das mag auch daran gelegen haben, dass keine Vertreter von SPD, Grünen und FDP anwesend waren. Friedemann Schmidt hielt eine fulminante Rede, keine Frage, die sehr grundsätzlich die Bedeutung der Apotheke vor Ort, des Apothekers als freien Beruf und den Wert der zwischenmenschlichen Beziehung zwischen Heilberufler und Patient betonte – aber wirklich kämpferisch wirkte er nicht. Hermann Gröhe bekam warmen Applaus für seine Zusicherung, das Rx-Versandverbot in den kommenden Koalitionsverhandlungen durchsetzen zu wollen. Doch Koalitionsverhandlungen heißen so, weil dort eben verhandelt wird. Und genauso, wie als sicher gelten kann, dass die Union an den Koalitionsverhandlungen teilnehmen wird, kann als sicher gelten, dass der (oder die?) Verhandlungspartner das Rx-Versandverbot ablehnt. In Düsseldorf jedenfalls fiel kein Wort dazu, dass es im Bundestag sehr wohl eine Mehrheit für das Rx-Versandverbot gegeben hätte, wenn man wirklich gewollt hätte. Weder gegenüber Gröhe noch der CDU-Gesundheitspolitikerin Maria Michalk.

Aus Brüssel droht derweil die nächste Gefahr für die inhabergeführte Apotheke. Die EU-Kommission will die freien Berufe deregulieren, am Ende könnte das eine Harmonisierung auf dem niedrigsten Regulierungsniveau aller Mitgliedstaaten bedeuten. Dann wären die Preisbindung durch den EuGH und das Fremd- und Mehrbesitzverbot durch die Kommission gekippt, von den heutigen drei Säulen unseres Arzneimittelversorgungssystems bliebe nur noch die Apothekenpflicht. Doch die Diskussion, die unter dem viel versprechenden Titel „Europa und die Gesundheitspolitik: Was war, was ist, was wird?“ angekündigt war, kam über Allgemeinplätze nicht hinaus. Weder wurden die Gefahren wirklich deutlich, noch Lösungsansätze sichtbar.

Angesichts solch existenzieller Angriffe auf das bewährte, gut funktionierende und vor allem in der Bevölkerung akzeptierte Versorgungssystem (und damit auf die wirtschaftliche Existenz der anwesenden Apothekerinnen und Apotheker) hatte ich persönlich mit einigem gerechnet – nur nicht damit, dass die Delegierten bereits sieben Stunden vor dem angesetzten Ende der Veranstaltung genug diskutiert hatten und nach Hause gefahren sind.

Benjamin Wessinger


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