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Deutscher Apothekertag 2017
Plädoyer für das Persönliche
ABDA-Präsident Friedemann Schmidt über Digitalisierung und den Wert des menschlichen Kontakts
Die Rede des ABDA-Präsidenten zur Eröffnung des Apothekertags öffnet das thematische Spektrum für die anschließenden Diskussionen und Beratungen. In diesem Jahr legte Friedemann Schmidt den Schwerpunkt seines Lageberichts auf den Wert des zwischenmenschlichen, persönlichen Kontakts und auf die tiefgreifenden gesellschaftlichen Veränderungen, die die Digitalisierung mit sich bringt. Natürlich bezog er diese Themen immer auch auf die Apotheke, und doch war es – angesichts der Ereignisse seit dem letzten Apothekertag – eine fast schon philosophische und gleichzeitig sehr emotionale Rede über gesellschaftliche Entwicklungen, grundsätzliche Werte und politische Grundüberzeugungen.
Wenn Schmidt konkret wurde, dann allerdings in aller Deutlichkeit: Allen vorgeschlagenen Alternativen zum Rx-Versandhandelsverbot erteilte er eine klare Absage. Er freute sich über die wieder gestiegene Zahl an Bewerbern für Pharmazie-Studienplätze und dass es bald wieder einen Generalapotheker bei der Bundeswehr geben könnte. Die Modellprojekte zur Erprobung neuer apothekerlicher Dienstleistungen sieht er auf einem guten Weg. Weniger zufrieden war er mit den Fortschritten beim Medikationsplan und dem E-Health-Gesetz. Ganz offen erklärte Schmidt den im vergangenen Jahr eingeführten bundesweiten Medikationsplan auf Papier für gescheitert, die Apotheker könnten fast froh sein, dass sie nicht richtig beteiligt sind. Ganz klar sei geworden: „Ein wirklich praktikabler Medikationsplan wird mit den Apothekern kommen, oder er wird gar nicht kommen.“ Zur Neuordnung der Apothekervergütung, „die fast alle Gesundheitspolitiker mehr oder weniger laut fordern“, äußerte der ABDA-Präsident sich deutlich vager, betonte nur, dass eine Neuordnung um ihrer selbst willen nicht sinnvoll sei. Den in den letzten Wochen und Monaten von verschiedener Seite vorgetragenen Umverteilungsgedanken von stärkeren zu schwächeren Apotheken erteilte er aber eine Absage: „Quersubventionierungen von einer Apotheke zur anderen sind leistungsfeindlich. Und sie lösen kein einziges Problem!“
Engpässe und Kontingentierung
Politische Initiative forderte Schmidt beim Thema Lieferengpässe. Er betonte, dass es sich inzwischen nicht mehr nur um Liefer-, sondern tatsächlich auch um Versorgungsengpässe handle. Kurzfristig brauche es erweiterte Meldepflichten „mit dem Ziel einer Art Notstandsbewirtschaftung“, mittelfristig eine erweiterte Rolle der Bundesoberbehörden, also des BfArM und des PEI. Langfristig müsse „ein versorgungssicherndes Mindestmaß an Produktion in Europa“ erhalten bzw. wiederhergestellt werden.
In diesem Zusammenhang kritisierte Schmidt scharf die Kontingentierung von Arzneimitteln. Dieses Instrument, das nicht zu unserem System der Arzneimittelversorgung passe, gehöre umgehend abgeschafft. Die künstliche Verknappung diene ausschließlich den wirtschaftlichen Interessen der Hersteller und schade der Patientenversorgung. Mit ebenso harten Worten kritisierte Schmidt auch diejenigen Apotheker, die sich am Export von Arzneimitteln beteiligen und so erst die Begründung für Kontingentierungen lieferten. Dieses Verhalten sei zwar ohne Zweifel legal – aber deswegen noch lange nicht gutzuheißen. Es sei unkollegial und untergrabe zudem die Forderung nach klaren und transparenten Vertriebswegen für Arzneimittel. Er forderte die Apotheker unter Applaus dazu auf, sich nicht an solchen Geschäften zu beteiligen.
Die Ausnahme wird zur Regel
Ausgiebig ging Schmidt auf das EuGH-Urteil und seine Implikationen ein – und auf die Grundlagen des deutschen Apothekensystems. Er erinnerte die Zuhörer daran, dass die Abgabe von Arzneimitteln untrennbar mit der persönlichen Begegnung zwischen dem Patienten und dem Apotheker verbunden ist: „Der Gesetzgeber hat die gesamte regulatorische Struktur auf dieser konkreten Situation aufgebaut“, so Schmidt. Und auch wenn es mit der Einführung des Versandhandels 2004 aufgeweicht wurde, so gelte dieses Regelungsprinzip grundsätzlich weiterhin. Wer aber seinen Patienten gar nicht persönlich sehe oder spreche, der könne nur Belieferung leisten, aber keine verantwortliche Versorgung. Deswegen sei der Versand nur als Ausnahme von der Regelversorgung in der Apotheke vor Ort hinnehmbar – es dürfe aber keinerlei Druck auf die Patienten ausgeübt werden, sich für diesen Vertriebsweg zu entscheiden. Denn wenn der „ökonomische Druck eines starken Preissignals“ die Vertrauensentscheidung zwischen dem menschlichen Kontakt in der Apotheke und der Anonymität des Fernabsatzes beeinflusse, drohe die Ausnahme zur Regel zu werden.
Wenn das zugelassen wird, stelle sich die grundsätzliche Frage nach der Verbindlichkeit von gesetzlichen Regeln: „Wie glaubwürdig und wie überzeugend ist ein Regulierungssystem, das so leicht umgangen werden kann?“ Würden dann auch die Beratungspflicht oder das Fremd- und Mehrbesitzverbot zu einer Vorschrift „an die sich nur die Ehrlichen halten – oder nur die Dummen?“
Gefährdet sieht Schmidt auch das zweite Grundprinzip unserer Arzneimittelversorgung: Die wohnortnahe Versorgung. Wenn berufsfremde Kapitalinteressen die Versorgung bestimmen, orientiere sich diese an einer möglichst weiten Ausdehnung und überregionalen Strukturen. „Mit nachbarschaftlicher Verantwortung hat das natürlich überhaupt nichts mehr zu tun“, so Schmidt. Aber: „Eine gute Versorgung muss kleinteilig sein, gut erreichbar, verlässlich und persönlich.“ Der EuGH nun sehe das alles ganz anders. Er schätze offenbar die Warenverkehrsfreiheit höher ein als das funktionierende System mit seinen wenigen, aber wirksamen Grundregeln Apothekenpflicht, Fremdbesitzverbot und einheitlicher Abgabepreis. Das Urteil stelle den Marktzugang für Kapitalgesellschaften über die Sicherstellungsinteressen des deutschen Gesetzgebers. Eine solche „trivial-ökonomische Betrachtungsweise“ sei eines so hohen Gerichts eigentlich unwürdig, so Schmidt.
Rx-Versandverbot alternativlos
Eine konsequente Lösung für die durch das EuGH-Urteil begründeten Probleme stellt für Schmidt ausschließlich das Rx-Versandverbot dar, zu ihm gebe keine wirksame Alternative. Die Argumente der Verbots-Gegner seien „scheinheilig, kurzsichtig und widersprüchlich“. Es sei unglaubwürdig, darüber nachzudenken, wie man Apotheken an „versorgungsrelevanten Standorten“ unterstützen könne und gleichzeitig einen „sanften Preiswettbewerb“ zu wollen – weil genau diese Apotheken daran zugrunde gehen würden. Wer behaupte, Apotheken auf dem Land könnten sowieso nicht bestehen, wenn die Ärzte fehlen, der habe politisch kapituliert. Damit werde gegen das Verfassungsgebot der gleichen Lebensverhältnisse nicht nur verstoßen, die Bewohner von Randlagen würden bewusst diskriminiert. Und wer behaupte, ein Verbot des Versandhandels sei im Zeitalter der Digitalisierung nicht möglich – ein Argument, das über die Parteigrenzen hinaus zu hören sei – der hat für Schmidt weder die Arzneimittelversorgung noch die Digitalisierung verstanden.
Digitalisierung kein Selbstzweck
Der Begriff „Digitalisierung“ diene im Verbund mit Begriffen wie Disruption und Innovation der „Verschleierung der tatsächlichen Interessen, die immer Unternehmensinteressen sind“.
In diesem Zusammenhang griff Schmidt die FDP und ihre Aussagen im Bundestagswahlkampf dezidiert an. Das Wahlplakat, das den Parteivorsitzenden Christian Lindner zeigt, wie er in sein Smartphone schaut und den Slogan „Digital first – Bedenken second“ trägt, bringe zum Ausdruck, was ihn, Schmidt, an der ganzen Debatte störe: Der Prozess solle um seiner selbst willen und ohne Rücksicht auf übergeordnete Werte und Interessen gestartet werden. „Ehrlicher wäre: ‚Digital first – nachdenken second‘“, so Schmidt.
Digitalisierung sei aber kein Selbstzweck, sie müsse immer dem Menschen dienen – vor allem im Gesundheitswesen. Es komme auch darauf an, so Schmidt zum Ende seiner Rede, den Menschen in einer sich schnell ändernden Welt Sicherheit zu geben. „Das können weder Alexa noch Siri noch Cortana, das können keine Chatbots und keine Avatare. Das können nur Menschen, das können nur wir.“ |
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