Arzneimittel und Therapie

Mehr Amputationen durch SGLT2-Inhibitoren?

Studienlage ist widersprüchlich

Inhibitoren des Natrium/Glucose-Cotransporters 2 (SGLT2-Inhibitoren) sind eine vielfach verordnete Substanzklasse zur Therapie des Typ-2-Diabetes. Mehrere Studien weisen jedoch darauf hin, dass die Einnahme dieser Medikamente zu einem erhöhten Risiko für Amputationen der unteren Extremitäten führen könnte. Eine aktuelle amerikanische Studie kann diesen Verdacht nicht erhärten. Zweifel über die Sicherheit bleiben aber weiter bestehen.

Menschen mit Diabetes mellitus Typ 2 leiden häufig an mikro- und makrovaskulären Komplikationen.

Sowohl metabolische als auch hämodynamische diabetesbedingte Veränderungen sind Ursache für vaskuläre Komplikationen, die zu einer Amputation der unteren Extremitäten führen können, einer der schwerwiegendsten Folgen des fortgeschrittenen Diabetes. Die Rate liegt bei 1,5 bis 5,0 pro 1000 Patientenjahre. Eine optimale glykämische Kontrolle ist mit einem reduzierten Risiko für Amputation verbunden und daher ein Grundpfeiler der Diabetes-Therapie.

Warnhinweis der EMA

Natrium/Glucose-Cotransporter 2 (SGLT2)-Inhibitoren blockieren das Transportprotein SGLT2, das in den proximalen Nierentubuli den Großteil der filtrierten Glucose reabsorbiert. Damit wird die Rückresorption von Glucose verringert und die renale Ausscheidung gesteigert. Die Plasma­glucose-Konzentration sinkt. Zugelassen sind die Wirkstoffe Canagliflozin, Dapagliflozin und Empagliflozin.

In zwei Studien (CANVAS und CANVAS R) kam es zu einer Häufung von Amputationen an den unteren Extremitäten, insbesondere der Zehen, unter der Behandlung mit dem SGLT2-Inhibitor Canagliflozin. Der zugrundeliegende Mechanismus ist noch unklar. Bisher gelang es nicht, wirkstoff­spezifische Risikofaktoren zu identifizieren. Die Ergebnisse für Cana­gliflozin konnten für die anderen beiden Wirkstoffe noch nicht bestätigt werden, jedoch lässt sich ein Klasseneffekt weiterhin nicht ausschließen.

Diese Studienergebnisse veranlassten die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) zu einem Warnhinweis für die gesamte Wirksoffklasse: Ärzte sollen ein Absetzen der Arzneimittel erwägen, wenn die Patienten erhebliche Fußkomplikationen wie Infektionen oder Hautgeschwüre entwickeln. Die Patienteninformationen aller SGLT2-haltigen Präparate wurden mit einem Warnhinweis vor Amputationen der unteren Extremitäten (vorwiegend der Zehen) versehen. Bei Canagliflozin-haltigen Präparaten wurde ein Hinweis als „gelegentlich vorkommende Nebenwirkung“ aufgenommen.

Foto: Bernhard Schmerl – stock.adobe.com
Diabetische Polyneuropathie Diabetiker sollten auf die Nervenfunktion ihrer Füße achten. Sind die Berührungs- oder Vibrationsempfindlichkeit reduziert, können das Anzeichen einer Polyneuropathie sein.

Wie ein Sprecher des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) auf Nachfrage der DAZ mitteilte, sind in der Nebenwirkungs­datenbank des BfArM bis zum November 2017 drei Fälle von Amputationen unter SGLT2-Einnahme aufgeführt. Eine Amputation trat in Zusammenhang mit der Einnahme eines Kombinationspräparates mit Dapagliflozin und zwei unter der Monotherapie mit Empagliflozin auf.

Das Amputationsrisiko in einer US-amerikanischen retrospektiven Kohortenstudie analysierten Forscher um Zhong Yuan [2]. Als Ausgangspunkt diente die Datenbank Truven MarketScan Commercial Claims and Encounters. Dabei wurde die Inzidenz der Amputation der unteren Extremi­täten unter neuen Anwendern von SGLT2-Inhibitoren (Canagliflozin, Dapagli­flozin, Empagliflozin) mit Neuanwendern von anderen Therapieoptionen (Nicht-SGLT2-Inhibitor-Antihyperglyk­ämie-Präparaten [AHA]) verglichen. Das waren unter anderem Dipeptidylpeptidase-4-Hemmer, Glucagon-like-Peptid-1-Agonisten, Glitazone, Sulfonylharnstoffe und Insulin.

Ausgewertet wurden die Daten von insgesamt 119.567 Patienten mit SGLT2-Inhibitoren mit 140.145 Personenjahren unter Risiko und 226.623 Anwendern von anderen Therapieoptionen mit 283.406 Personenjahren unter Risiko. Von den Verwendern von SGLT2-Inhibitoren nahmen 73.024 Personen Canagliflozin. Insgesamt 22% der Patienten mit SGLT2-Inhibitoren (22% mit Canagliflozin) und 21% der Nicht-SGLT2-Inhibitor-Gruppe litten zu Studienbeginn unter einer kardiovaskulären Erkrankung.

Das Durchschnittsalter der Studienteilnehmer betrug 53 Jahre. 8% der Patienten wiesen eine periphere Gefäßerkrankung auf, 3,2% eine Nierenfunktionsstörung und 1,4% eine kongestive Herzinsuffizienz.

Die Inzidenzraten der Amputation waren 1,22, 1,26 und 1,87 Ereignisse pro 1000 Personenjahre für SGLT2-Inhibitoren generell, Canagliflozin im Speziellen bzw. Nicht-SGLT2-Inhibitoren.

Aufgrund früherer Studienergebnisse wurde die Einnahme von Canagliflozin versus Nicht-SGLT2-Inhibitoren gesondert betrachtet. Dazu wurden 63.845 Patienten mit Canagliflozin mit 63.845 Patienten unter anderen Therapie­optionen gematcht und verglichen.

Die Inzidenzraten der Amputation betrugen 1,18 bzw. 1,12 Ereignisse pro 1000 Personenjahre mit Canagliflozin bzw. unter anderen Therapieoptionen (HR 0,98; 95% KI 0,68 – 1,41; p = 0,92, kalibriert p = 0,95). Im Ergebnis zeigt die Studie ein relativ geringes Gesamt­risiko für Amputation der unteren Extremitäten und keine Hinweise darauf, dass das Risiko zwischen Cana­gliflozin-Anwendern und alternativen Medikamenten unterschiedlich ist.

Die vorliegende Studie wurde durch die Verwendung einer großen Patientendatenbank gestärkt, die repräsen­tativ für die kommerziell versicherte US-Bevölkerung ist. Nachteile sind, dass einige Daten, die die Risiko­einschätzung beeinflussen könnten, nicht verfügbar waren oder fehlten wie z. B. der Grund für die Amputation, die Dauer des Diabetes und der Krankheitszustand. Der beobachtete Unterschied des Amputationsrisikos zwischen dieser und der CANVAS-Studie kann auf Unterschiede in den Studienpopulationen zurückzuführen sein, insbesondere in Bezug auf das kardiovaskuläre Risiko.

Fazit für Deutschland

Die vorliegenden Daten zeigen, dass eine Beurteilung des Risikos von SGLT2-Hemmern immer noch schwierig ist. Dies bestätigen auch die Daten des BfArM. Hier wurden bisher keine Fälle unter Canagliflozin gemeldet, dafür aber für die Arzneistoffe Dapa­gliflozin und Empagliflozin, die in den bisherigen Studien keinen Hinweis auf ein erhöhtes Risiko zeigten. Dies könnte aber auch daran liegen, dass die Verordnungen für Empagliflozin stark zugenommen haben. Im Jahr 2016 ist es eines der Arzneimittel mit der stärksten Steigerung der Anzahl behandelter Patienten – circa 2,3-mal so viele wie 2015 [3]. Es sind weitere Studien erforderlich, um das Risiko einer Amputation bei Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2 in einer realen Umgebung zu untersuchen. |

Quelle

[1] SGLT2-Inhibitoren (vormals Canagliflozin): Möglicherweise erhöhtes Risiko für Amputationen der unteren Extremitäten. Risikobewertungsverfahren des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), 8. Mai 2017. www.bfarm.de/SharedDocs/Risikoinformationen/Pharmakovigilanz/DE/RV_STP/s-z/sglt2-hemmer-canagliflozin.html; Stand: 5. November 2017

[2] Yuan Z et al. Risk of lower extremity amputations in people with type 2 diabetes mellitus treated with sodium-glucose co-transporter-2 inhibitors in the USA: A retrospective cohort study. Diabetes Obes Metab. 2017;1-8

[3] Grandt D, Schubert I. Arzneimittelreport 2017. Analysen zur Arzneimitteltherapie und Arzneimitteltherapiesicherheit. Schriftenreihe zur Gesundheitsanalyse. Asgard Verlagsservice GmbH

Apothekerin Janine Naß

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