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Aus der Hochschule
Reform des Pharmaziestudiums
Stellungnahme der Fachgruppe Geschichte der Pharmazie der DPhG zum kompetenzorientierten Lernzielkatalog Pharmazie – Perspektivpapier „Apotheke 2030“
Wie auch die anderen Fachgebiete kritisieren wir an dem Kompetenzpapier, dass es fast ausschließlich auf den Tätigkeitsbereich Apotheke fokussiert ist, während andere wichtige Arbeitsfelder wie die pharmazeutische Industrie, insbesondere die pharmazeutische Forschung und Entwicklung, die Tätigkeit in Verlagen und in der Verwaltung weitgehend unberücksichtigt bleiben.
Das Pflichtseminar „Pharmazeutische und Medizinische Terminologie“ als der Apothekenpraxis am nächsten liegende Lehrveranstaltung des Grundstudiums besitzt für die gegenwärtige und zukünftige Ausbildung die nach unserer Meinung größte Bedeutung, da der Wandel des Apothekers von einem Arzneimittelhersteller zu einem Arzneimittelfachmann, der überwiegend kommunikativ-beratend, vor allem auch als Vermittler zwischen Arzt und Patient tätig ist und sein wird, hier noch umfassendere Kenntnisse erfordert. Dies betrifft in ganz besonderer Weise die medizinische Terminologie, da für die Kommunikation mit Arzt und Patienten hier ein breites Wissen des Apothekers und ein nachhaltiges Verständnis der Begrifflichkeiten unumgänglich sind. Die praktizierte Demonstration griechischer und lateinischer Wortstämme, die den Studierenden dann in die Lage versetzen, sich weitere Termini zu erschließen, hat sich für die Vermittlung als besonders geeignet erwiesen. Um vom Arzt und Patienten als der Fachmann/die Fachfrau für das Arzneimittel akzeptiert und anerkannt zu werden, sind umfangreiche Kenntnisse der medizinischen Fachsprache zwingend notwendig. Einige der Begriffe werden im Studium sicherlich weiter vertieft und wiederholt, aber eine Präsentation der entsprechenden Silben und ihrer Bedeutung erleichtert den Studierenden dann auch das Studium der Pharmakologie und der medizinischen Teilfächer.
Auch die ureigene Fachsprache des Apothekers – hier werden vor allem die Arzneibuchbezeichnungen, aber auch die lateinischen Begriffe, die in der Apotheke nach wie vor präsent sind, vermittelt – ist vor allem aus Gründen der Arzneimittelsicherheit nach wie vor von größter Bedeutung. Man denke nur an den vor Kurzem publik gewordenen „Vergiftungsfall“ durch die Verwechslung von Natriumcitrat (Natrium citricum) mit Natriumnitrat (Natrium nitricum) bei der Herstellung der sogenannten Shol’schen Lösung für ein Kind sowie die vor wenigen Jahren in einer Ruhrgebietsapotheke erfolgte Verwechslung zwischen Kaliumchlorid und dem hochtoxischen Kaliumchlorat bei der Herstellung einer Sportler-Elektrolytlösung. Es erweist sich seit der Approbationsordnung von 1971 als vorteilhaft, dass denjenigen Studierenden, denen im schulischen Curriculum kein Unterricht im Fach Latein zuteil wurde, in einigen wenigen Stunden zusätzlich Grundkenntnisse zur Struktur der lateinischen Sprache vermittelt werden. Diese erleichtern das Erlernen von Rezeptabkürzungen sowie Fachtermini und mithin das Verständnis für diese Begriffe.
Auch wenn sich die Bedeutung des „Apothekenlateins“ zukünftig in Teilen abschwächt (z. B. durch konsequente Anwendung der Gefahrstoffverordnung, der Forderung nach deutscher Kennzeichnung u. Ä. auch in Apotheken), wird die Kommunikation mit Ärzten auf Augenhöhe – eine zentrale Forderung des Berufsstandes – stark zunehmen. Dem ist natürlich durch eine Verschiebung der Lehrinhalte innerhalb der bestehenden AAppO Rechnung zu tragen, wie dies für andere Fächer ja ebenfalls vorgesehen ist. Zudem gibt es ein entsprechendes Pendent in der Medizinerausbildung. Hier bietet sich bereits im Grundstudium die Chance für vielfach gewünschte gemeinsame Lehrveranstaltungen für Pharmazie- und Medizinstudierende. Die strukturierte Vermittlung der Grundprinzipien pharmazeutischer und medizinischer Terminologie an zentraler Stelle im Grundstudium halten wir für das Pharmaziestudium nach wie vor für unerlässlich und der Unterricht sollte mindestens im bisherigen Umfang fortgesetzt werden. Der Kurs Pharmazeutische und Medizinische Terminologie bietet Gelegenheit, die methodischen Grundlagen zu verstehen und bereits am Anfang des Studiums problemübergreifendes Denken zu lernen. Das BMBF-geförderte Lehr-Lernprojekt in Braunschweig hat gezeigt, dass sich das Ziel der Vermittlung von Grundkompetenzen im Umgang mit der Fachsprache der Grundlagenfächer der Pharmazie mit dem Ziel selbstständigen und problemübergreifenden Lernens verwirklichen lässt.
Wegen der zahlreichen historischen Bezüge der pharmazeutischen Fachsprache halten wir es für sinnvoll, dass dieses Fach durch historisch weitergebildete Apothekerinnen und Apotheker unterrichtet wird, wie dies an den meisten Universitäten auch geschieht.
Nach wie vor ist die Geschichte der Pharmazie als sechste Zweigdisziplin der Wissenschaft Pharmazie ein forschendes Fach, und Grundkenntnisse sollten daher den Studierenden in der Vorlesung „Geschichte der Naturwissenschaft unter besonderer Berücksichtigung der Pharmazie“ hierzu vermittelt werden, damit diese die Möglichkeit haben, auch in diesem Forschungsfeld tätig zu werden. Die Vorlesung vermittelt Kenntnisse über die Entwicklung des Apothekerberufes, der Apotheke und des Arzneimittels. Diese erleichtern das Verständnis gegenwärtiger Prozesse und Entwicklungen und bieten Anstöße für die effektive Gestaltung des Berufes und der Berufspolitik. Nur wer sich der historischen Entwicklungen bewusst ist, kann die Weiterentwicklung des Berufes bewusst und zielgerichtet gestalten. Ein breites berufspolitisches Engagement ihrer Mitglieder gehört zu den Grundbedürfnissen der Berufsorganisationen, wenigstens historische Grundkenntnisse sollten hier zu den theoretischen Grundlagen gehören. Grundkenntnisse in Pharmaziegeschichte tragen zweifelsfrei zu dem unter Position 2.2 geforderten Qualifikationsziel bei, das wie folgt beschrieben wird: „Apothekerinnen und Apotheker haben ein berufliches Selbstbild, das sich an Zielen und Standards apothekerlichen Handelns in den pharmazeutischen Tätigkeitsbereichen orientiert. Sie übernehmen Verantwortung für ihre Entscheidungen und reflektieren ihr berufliches Handeln in Bezug auf gesellschaftliche Erwartungen und Folgen“. Kenntnisse der Pharmaziegeschichte ermöglichen auch die unter 2.3 geforderte „Personal- oder Selbstkompetenz (Wissenschaftliches Selbstverständnis, Professionalität)“, denn „dieser Kompetenzbereich umfasst […] persönlichkeitsbezogene Dispositionen wie Einstellungen, Werthaltungen und Motive, die das Arbeitshandeln beeinflussen.“
Der Apothekerberuf als Heilberuf erfordert ein hohes Berufsethos, ähnlich dem des Arztes. Erkenntnisse über die Entwicklung des Verhältnisses Arzt–Apotheker erleichtern die interdisziplinäre Kommunikation in der Berufspraxis. Die Vorlesung ermöglicht zudem ein besseres Verständnis des Apothekenrechts, das ja in einem historischen Prozess entstanden ist. Nicht umsonst fordert der Gegenstandskatalog zum dritten Abschnitt der pharmazeutischen Prüfung Kenntnisse zu „Grundzügen der Geschichte des Apothekenwesens“.
Viele in der Apotheke verbreitete komplementärmedizinische Verfahren sind ausschließlich vor ihrem historischen Hintergrund zu verstehen, da sie sich häufig auf Krankheitskonzepte der Vergangenheit beziehen. Die pharmaziehistorische Vorlesung ist die einzige Lehrveranstaltung, die diese Verfahren vorstellt und zu denen sich Pharmaziestudierende zwangsläufig eine Meinung bilden müssen. Der historische Ansatz erlaubt einen wissenschaftlichen Umgang mit diesen Konzepten und bietet die Möglichkeit zur Reflexion eines Themas, das in der späteren Apothekenpraxis gerade in der Kommunikation mit Patientinnen und Patienten eine wichtige Rolle spielt.
Schließlich dienen Teile der Vorlesung Pharmaziegeschichte etwa zur Geschichte des Impfens auch dazu, Argumente zu finden, um sich mit Impfgegnern aufgrund historischer Tatsachen auseinandersetzen zu können. Gerade die Entwicklung von Impfungen ist ein überzeugendes Beispiel für die Erfolge der Arzneimittelentwicklung in den letzten 100 Jahren. Aber auch negative Beispiele aus der Arzneimittelgeschichte werden keineswegs verschwiegen, so erleichtern Kenntnisse über die Contergan-Katastrophe ein Verständnis der Pharmakovigilanz. Schließlich forderte der Deutsche Hochschulverband bereits 2010, dass Ethik und Wissenschaftsgeschichte Teil des Pflichtlehrangebotes aller naturwissenschaftlichen Studiengänge sein sollen.
Wir schlagen daher vor, die Angaben zum Kompetenzbereich 4 (Intra- und interprofessionelle Zusammenarbeit) in der Spalte „Universitätsausbildung“ zu ergänzen durch Stoffgebiet C: Wissenschaftliche Grundlagen, Mathematik und Arzneiformenlehre, z. B.: U.C.8; U.C.9.
Schließlich trägt die Pharmaziegeschichte mit Forschungen zur Geschichte der Arzneimittel, speziell zu historischen Arzneipflanzen, deren traditionellen Anwendungen und ihrem Potenzial als Wirkstoffrepertoire, auch zur Entwicklung neuer Arzneimittel bei und besitzt somit auch für die Arzneimittelentwicklung eine erhebliche Bedeutung. In Zusammenarbeit mit den anderen pharmazeutischen Zweigdisziplinen kann die Pharmaziegeschichte hier einen konkreten Beitrag leisten, wie Beispiele aus der Marburger Universität zeigen. Die Vorlesung mit ein bis zwei Semesterwochenstunden sollte im Studienplan erhalten bleiben.
Sowohl Geschichte der Pharmazie als auch Terminologie tragen in dem ihnen zukommenden Rahmen zu mindestens vier der in Abb. 2 visualisierten, das pharmazeutische Fachwissen in apothekerliche Kompetenz transformierenden Kompetenzfelder bei (Forschung, Kommunikation, heilberufliche Zusammenarbeit, Ethik).
Die speziellen Rechtsgebiete könnten gegebenenfalls auch in den dritten Abschnitt verlegt werden, da sie dort mehr Sinn machen, weil die Studierenden hier die Kenntnisse der Rechtsnormen in der Praxis anwenden können und sie dann auch besser verstehen. In Braunschweig wird ein Teil des Wahlpflichtfachs genutzt, um interaktive und praxisorientierte Elemente des Arzneimittel- und Apothekenrechts zu erarbeiten. Pharmazeutisches Recht ist nicht nur essenziell für die spätere Apothekenpraxis, sondern auch für eine Tätigkeit in der Pharmazeutischen Industrie oder im öffentlichen Gesundheitswesen. Die Zusammenhänge zwischen internationalen, europäischen und nationalen Rechtsnormen werden in Zukunft immer wichtiger.
Wichtig ist für die forschende Zweigdisziplin Pharmaziegeschichte die Möglichkeit, einen wahlobligatorischen Unterricht anzubieten, in dem die Studierenden die Arbeitsmethoden der Geisteswissenschaften, speziell des Historikers, aber auch wissenschaftliches Recherchieren, Auswerten und Evaluieren der fachlichen Literatur erlernen. Solche Kenntnisse und Fertigkeiten sind für viele Tätigkeitsbereiche von besonders großer Bedeutung, wie z. B. in der pharmazeutischen Industrie für Mitarbeiter, die sich speziell mit Arzneimittelzulassung, Marketing und Dokumentation befassen, oder auch für eine Tätigkeit in Verbänden und wissenschaftlichen Gesellschaften wie auch in der Fachpublizistik. Die Durchführung des bisherigen wahlobligatorischen Unterrichts zeigt, dass hier auch ein entsprechendes Interesse der Studierenden vorhanden ist. Ein historisches Wahlpflichtfach ist zudem eine der wenigen Gelegenheiten, bei denen Pharmaziestudenten eine ausführliche schriftliche Arbeit mit gründlicher Literaturrecherche, korrekter Zitierung u. Ä. erstellen. Der Mangel an solchen Gelegenheiten wird allgemein bedauert. Zum Angebot eines historischen Wahlpflichtfaches gehört dann zwingend ein wenigstens grundlegendes Vorlesungsangebot.
Die Wissenschaft Pharmazie ist natürlich in allererster Linie eine angewandte Naturwissenschaft. Sie enthält aber, da sie sich aus dem Arbeitsgegenstand des Apothekers, dem Arzneimittel, definiert, auch eine Reihe von geisteswissenschaftlichen Inhalten. Das Arzneimittel ist nicht nur ein naturwissenschaftlicher Gegenstand, sondern erfordert umfangreiche gesetzliche Bestimmungen, stellt mithin auch eine Ware dar mit der Konsequenz ökonomischer sowie ethischer Fragestellungen. All diese Dinge werden in den anderen Fächern eher gar nicht oder nur sehr wenig angesprochen. Sie sollten in der pharmazeutischen Hochschulausbildung nicht fehlen, insbesondere auch deshalb nicht, weil der Apothekerberuf momentan eine Wandlung zu einem vor allem auf fachlicher Kommunikation basierenden Beruf erlebt. |
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