Arzneimittel und Therapie

Vorsicht bei potenziell ungeeigneten Wirkstoffen für Ältere

Gehäufte Verordnungen für gebrechliche Patienten

Potenziell inadäquate Arzneimittel werden bei Patienten mit einer kognitiven Einschränkung nach einer Heimeinweisung teilweise abgesetzt. Allerdings nimmt deren Verordnung innerhalb der folgenden Monate wieder zu und dies vor allem für gebrechliche Patienten.
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Weniger ist oft mehr Der zunehmenden Multimorbidität in einer immer älter werdenden Gesellschaft sollte mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden. Gerade bei gebrechlichen Personen sollten potenziell ungeeignete Medikamente nicht verordnet werden.

Eine ganze Reihe unterschiedlicher Wirkstoffe sollte aufgrund vermehrter Nebenwirkungen nicht älteren Patienten verordnet werden. Sie werden als potenziell inadäquate Medikamente (PIM) bezeichnet und sind in mehreren Datenbanken (z. B. Beers Liste, PRISCUS-Liste) gelistet. Doch wie sieht die Verordnung potenziell ungeeigneter Wirkstoffe bei kognitiv und körperlich eingeschränkten Älteren im Alltag aus, und hat eine Heim­einweisung Einfluss auf die Verordnung potenziell ungeeigneter Wirkstoffe? Mit diesen Fragen befasste sich eine kanadische Kohortenstudie. Retrospektiv wurden die Daten von rund 41.000 älteren Patienten mit kognitiven Einschränkungen oder Demenz ausgewertet, die in einem Heim betreut wurden. Von Interesse war hierbei die Häufigkeit der Verordnungen potenziell ungeeigneter Wirkstoffe vor und im Zeitraum von 180 Tagen nach der Heimeinweisung und zwar in Relation zu der Gebrechlichkeit (s. Kasten „Frailty“) der Senioren. Die Einteilung der Gebrechlichkeit der älteren Patienten erfolgte in drei Grade: non-frail, pre-frail und frail. Die erfassten potenziell inadäquaten Medikamente gehörten folgenden Wirkstoffgruppen an:

  • Antipsychotika
  • H2-Rezeptor-Antagonisten
  • Benzodiazepine
  • Anticholinergika

Zum Zeitpunkt der Heimeinweisung erhielten 44% der Senioren mit kognitiven Einschränkungen oder Demenz ein für sie ungeeignetes Medikament, wobei die meisten Verordnungen für gebrechliche Patienten vorlagen. Nach der Heimeinweisung nahm die Häufigkeit der potenziell inadäquaten Verordnungen ab (-23,5% bei den Antipsychotika, -49,3% bei den Benzodiazepinen, -32,2% bei den Antipsychotika, -30,9% bei den H2-Rezeptor-Antagonisten). Allerdings erfolgten auch wieder Neuverordnungen potenziell ungeeigneter Arzneimittel, und zwar ein Plus von 10,9% bei den Antipsychotika, +10,1% bei Benzodiazepinen, +6,6% bei Anticholinergika und ein Plus von 1,2% bei H2-Rezeptor-Antagonisten. Setzt man nun das Absetzen und die Neuverordnungen potenziell ungeeigneter Medikamente in Relation zu der Gebrechlichkeit der Patienten, ergibt sich folgendes Bild: Potenziell inadäquate Medikamente wurden – mit der Ausnahme von Anticholinergika – bei gebrechlichen und nicht gebrech­lichen Patienten in gleichem Umfang abgesetzt. Bei den Neuverordnungen zeigten sich hingegen Unterschiede: Je gebrechlicher die Patienten waren, umso häufiger wurde ihnen ein potenziell ungeeignetes Medikament verordnet. Dies galt für Benzodiazepine (HR 1,32), Antipsychotika (HR 1,36) und Anticholinergika (HR 1,34).

Frailty

Frailty bzw. Gebrechlichkeit bezeichnet beim alten Menschen ein biologisches Syndrom mit verminderter Reservekapazität und Resistenz gegenüber Stress und körperlichen Störungen. Die ersten Diagnosekriterien wurden in den 1990er-Jahren erstellt. Heute existiert für die Diagnose einer Frailty eine Vielzahl von Messskalen, die zahlreiche Kriterien wie z. B. Kraft, Gewicht, Ausdauer berücksichtigen, um unter anderem eine beginnende Frailty (pre-frail) von einer bereits vorliegenden Frailty (frail) zu unterscheiden.

Aus diesen Ergebnissen geht hervor, dass Verordnungen für Heimbewohner – insbesondere für Patienten mit kognitiven und körperlichen Einschränkungen – genauer überprüft sowie Nutzen und Schaden einer medikamentösen Therapie sorgfältig abgewogen werden sollten. |

Quelle

Maclagan LC et al. Frailty and potentially inappropriate medication use at nursing home transition. J Am Geriatr Soc 2017 doi: 10.1111/jgs.15016

Apothekerin Dr. Petra Jungmayr

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