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Schwerpunkt Contergan
„Aus Tabletten wurden Schicksale“
Der Bundesverband Contergangeschädigter e. V. im Porträt
Finanzieller Grundstock der heutigen „Conterganstiftung für behinderte Menschen“ waren damals 100 Millionen Deutsche Mark, die seitens des Thalidomid-Herstellers Grünenthal nach einem außergerichtlichen Vergleich mit den Eltern der Geschädigten gezahlt wurden – und weitere 100 Millionen Deutsche Mark, die der Staat beisteuerte. Seit 1998 sind diese Mittel aufgebraucht und die Leistungen werden aus dem Bundeshaushalt beglichen.
Georg Löwenhauser ist 1. Vorsitzender des Bundesverbands und auch selbst Contergan-geschädigt: „1970 schien das relativ viel Geld zu sein, zumal unsere Lebenserwartung mit etwa 25 Jahren recht gering eingeschätzt wurde. Auch brauchten viele Eltern dringend eine finanzielle Unterstützung. Zum Glück stellte sich diese zeitliche Prognose in den meisten Fällen als falsch heraus und über die Jahre hinweg waren diese finanziellen Mittel pro Betroffenem dann eben doch relativ gering.“
Die Kosten für Hilfen, Betreuung oder behindertengerechtes Wohnen lasteten vielfach auf den Schultern der Angehörigen. Erst 2013 wurde mit dem 3. Conterganstiftungsänderungsgesetz auch seitens des Staates eine spürbare Aufstockung der entsprechenden Renten auf den Weg gebracht. Auch Grünenthal schoss 2009 nochmals 50 Millionen Euro in die Stiftung, sodass die noch rund 2600 lebenden Contergan-Geschädigten in Deutschland seit etwa drei Jahren sich hinsichtlich ihres Lebensunterhaltes etwas weniger sorgen müssen. Die Arbeit des Bundesverbandes ist damit aber längst nicht erledigt: Eine Evaluation des 4. Conterganstiftungsänderungsgesetzes ist in Vorbereitung. Heute geht es vornehmlich um die Spätfolgen durch Thalidomid, wie Gefäßschäden am Herzen und den Extremitäten, oder Knochen- und Gelenkschäden aufgrund jahrzehntelanger Fehlbelastung. Laut einer Studien des Instituts für Gerontologie der Universität Heidelberg fühlen sich die Contergan-Geschädigten zudem rund 20 Jahre älter als sie es wirklich sind. „Die Folgen von Contergan-bedingten Nerven- und Gefäßschädigungen sowie Osteoporose sind erst jetzt nachweisbar“, zählt Löwenhauser auf. „Die Auswirkungen sind gravierend.“
Auch die Zahl der praktizierenden Ärzte, die sich in den 1960er- und 1970er-Jahren intensiv mit den Auswirkungen des Contergan-Skandals befasst haben, ist stark rückläufig: Drei Kliniken und eine Contergan-Sprechstunde sind deutschlandweit bislang die einzigen Anlaufstellen für die Patienten. Ob sich diesbezüglich etwas ändert, ist noch unklar. „Wir hoffen auf eine weitere Contergan-Sprechstunde in Süddeutschland“, sagt Georg Löwenhauser, will sich aber diesbezüglich noch nicht näher äußern: „Es ist noch nichts in trockenen Tüchern.“ |
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