Ausbildung

Studium mit stärkerem Praxisbezug

Neue Curricula in den Niederlanden

Von Martina Teichert | Die Ziele und Inhalte der Bachelor- und Masterstudiengänge Pharmazie sind 2016 in den Niederlanden neu definiert und dabei auf die gesellschaftlichen und fachinhaltlichen Entwicklungen abgestimmt worden. Pharmaziestudenten an den drei Universitäten Groningen, Leiden und Utrecht erhalten mit diesen neuen Curricula sowohl Kenntnisse über Wirkstoffe und deren Wirkungen als auch Kenntnisse über den Umgang des Menschen mit seinen Arzneimitteln. Im Studium entwickeln die an­gehenden Apotheker Kompetenzen, die sie befähigen, in einem multi­disziplinären Team zu arbeiten und Patienten bei ihrer Arzneimittel­therapie individuell zu begleiten.

Studium in zwei Abschnitten

Das Pharmaziestudium in den Niederlanden besteht aus einem dreijährigen Bachelor- und einem dreijährigen Masterstudium. Im Bachelorstudium befassen sich die Studenten mit naturwissenschaftlichen Disziplinen im Allgemeinen und pharmazeutischen Wissenschaften im Besonderen, sodass sie für das Masterstudium der Pharmazie oder eines pharmazienahen Faches vorbereitet sind. Im Masterstudium Pharmazie wird der Student zum „Basisapotheker“ ausgebildet; in dieser Zeit absolviert er auch ein sechsmonatiges Berufspraktikum, weshalb es ein „Praktisches Jahr“ nach dem Studium nicht gibt. Die meisten Basisapotheker arbeiten dann in öffentlichen Apotheken, Krankenhausapotheken oder in der Pharmaindustrie. Danach können sie sich zum öffentlichen Apotheker oder zum Krankenhausapotheker spezialisieren; diese Fachausbildungen dauern zwei bzw. vier Jahre.

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An drei niederländischen Universitäten kann man Pharmazie studieren. Auf dem Foto: das Hauptgebäude der Universität Groningen.

Ein neues Curriculum war nötig

In den Niederlanden regelt ein Gesetz von 2007 die gesetzliche Verantwortlichkeit der Heilberufler gegenüber ihren Patienten (Gesetz über die medizinische Behandlungsvereinbarung, WGBO). Ebenso wie die Ärzte müssen die Apotheker seither zunehmend auf den Patienten zugeschnittene thera­peutische Entscheidungen treffen. Das Einbeziehen klinischer Parameter wie ­Nierenfunktionswerte oder des genetischen Profils für die individuelle Arzneimitteltherapie setzt entsprechendes Wissen voraus. Auch gibt es in der Pharmazie viele neue Entwicklungen, wie z. B. Biologicals und zielgerichtete Therapien, deren Hintergründe dem Patienten vermittelt werden müssen. Und schließlich will ein mündiger Patient im Selbstmanagement seiner Arzneitherapie adäquat unterstützt werden.

Die aktivere Rolle der Apotheker in der Patientenbetreuung erforderte eine Überarbeitung der von 2006 stammenden bisherigen Curricula. Die drei Pharmaziefakultäten und der Niederländische Apothekerverband KNMP beauftragten 2015 eine Arbeitsgruppe mit dieser Aufgabe. Darauf lieferte die Arbeitsgruppe 2016 eine allgemeine Beschreibung der pharmazeutischen Wissens- und Aufgabengebiete des Apothekers („domeinspecifiek referentiekader“) und eine detaillierte Aus­arbeitung der Ausbildungsziele für den Basisapotheker („Raamplan Farmacie“).

Pharmazeutische Wissensgebiete

Schwerpunkte der Pharmazie sind die Herstellung und Anwendung von Arzneimitteln. Dabei lassen sich drei Wissensgebiete unterscheiden:

1. Wirkstoffe und Arzneimittel: Herstellung, Qualitätskontrolle, Lagerung, biologische Verfügbarkeit;

2. Arzneimittelwirkungen: Pharmakokinetik und -dynamik, Pharmakotherapie von gängigen Krankheiten;

3. Arzneimittelanwendung: Vorbeugen von Nebenwirkungen, potenzielle Toxizität und Interaktionen, individualisierte Pharmakotherapie, Kosteneffektivität, Pharmakoepidemiologie.

Aufgabengebiete des Apothekers

Aufbauend auf diesen Wissensgebieten sind fünf Aufgabengebiete des Apothekers definiert:

1. Arzneimittelverfügbarkeit: Herstellung, Bevorratung, Distribution und Qualitätsbeurteilung von Arznei­mitteln;

2. Pharmazeutische Betreuung der ­Patienten im Sinne eines wirksamen und sicheren Arzneimittel­gebrauchs: Medikationscheck vor Abgabe, Medikationsbeurteilung bei Gebrauch, besondere Begleitung von Patienten mit chronischem ­Arzneimittelgebrauch;

3. Pharmakotherapie auf Bevölkerungsniveau: Beurteilung der Wirkung und Sicherheit von Arznei­mitteln;

4. Qualitätsmanagement: Befähigung, ein eigenes Qualitätsmanagementsystem zu implementieren;

5. Forschung, Lehre und Innovation: Beurteilung von wissenschaftlicher Literatur und Neuentwicklungen.

Ausbildungsziele

Sowohl für den Bachelor als auch den Master sind Ausbildungsziele definiert, die abgeprüft werden können. Hierbei orientierte man sich an internationalen, bewährten Vorbildern. Die Ausbildungsziele sind als „Kompetenzen“ formuliert, d. h. dass sie neben Wissen und Befähigung auch die Einsicht und das Verhalten in einem professionellen Umfeld umfassen. Inhaltlich werden die Kompetenzen mit den Anforderungen an die Aufgaben des Apothekers gefüllt.

  • Die Kompetenzgebiete für den Bachelor sind identisch mit den fünf Aspekten der „Dublin-Deskriptoren“: Wissen und Verstehen, Anwendung von Wissen und Verstehen, Urteilsvermögen, Kommunikation, Fähigkeiten zum lebenslangen Lernen (http://ec.europa.eu/education/ects/users-guide/glossary_de.htm).
  • Die sieben Kompetenzgebiete für den Master sind eine Abwandlung des „CanMEDS Competency Framework“ für die Ausbildung von Fachärzten in Kanada. Die Kernkompetenz des Apothekers ist der pharmazeutische Sachverstand. Die übrigen Kompetenzgebiete sind: Wissen und Forschung, Kommunikation, Professionalität, gesellschaftliches Handeln, Zusammenarbeit und Führungseigenschaften (Abb. 1). Für diese Kompetenzgebiete sind jeweils verschiedene Teilkompetenzen als Ausbildungsziele benannt.

Die Fachausbildungen nach dem Stu­dium (s. o.) richten sich ebenfalls nach dem abgewandelten CanMEDS-Modell.

Abb. 1: Ausbildungsziele im Masterstudium Pharmazie, ­erstellt nach dem CanMEDS-Modell für kanadische Mediziner.

Anpassung der Curricula

Die neuen Curricula geben den Pharmaziefakultäten einen Spielraum, um in ihren konkreten Lehrplänen eigene Akzente zu setzen. So kann eine Ausbildung vor allem auf die Kenntnis der Arzneimittel abzielen, eine andere besonders auf die Pharmakotherapie, und eine dritte legt den Schwerpunkt auf die Begleitung des individuellen Patienten. Wenn die drei Universitäten ihre Lehrinhalte an die neuen Curricula angepasst haben – jede auf ihre Weise –, können die Pharmaziestudenten ihren Studienort hinsichtlich der von ihnen gewünschten Schwerpunkte wählen.

Die Lehrpläne sollen – unabhängig von ihren Schwerpunkten – den Anforderungen an einen zeitgemäßen Apotheker bestmöglich entsprechen. Mit den ersten Absolventen wird es sich zeigen, ob diese neuen „Basis­apotheker“ die hohen Erwartungen, die an sie gestellt werden, erfüllen. |

Autorin

Martina Teichert studierte Pharmazie (Approbation 1987) und Wirtschaftswissenschaften an der TU Braunschweig (Diplom 1991). 2005 Master Epidemiologie an der Vrijen Universiteit Amsterdam, 2011 Promotion an der Erasmus Universität Rotterdam. Seit 2002 Wissenschaftlicher Rat beim Niederländischen Apothekerverband KNMP, seit 2016 Associate Professor für pharmazeutische Praxisforschung an der Universität Leiden.

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