Die Seite 3

Systemfremde Betrachtungsweise

Foto: DAZ/Kahrmann
Dr. Benjamin Wessinger

Veröffentlicht ist es immer noch nicht, das Gutachten zur Arzneimittelpreisverordnung, das das Bundeswirtschaftsministerium in Auftrag gegeben hat. Trotzdem kursieren verschiedene – teils erschreckende – Zahlen im Markt. Der DAZ liegt nun eine vollständige Vor-Version (Stand 13. November) des Gutachtens vor, und Thomas Müller-Bohn hat die entscheidenden Ergebnisse, Rechenwege und Konsequenzen zusammengefasst und analysiert (s. S. 11 dieser DAZ).

Neben etlichen Fehlern im Detail, die Müller-Bohn herausgearbeitet hat, fällt bei der Lektüre auf, dass die Autoren des Gutachtens Rechenwege und Zuordnungen gewählt haben, die ganz grundsätz­liche Probleme aufwerfen.

So legen die Gutachter die Kosten, die die Apotheke verursacht, gleichmäßig auf alle Packungen um – unabhängig von ihrem Preis (bzw. dem Umsatz, den die Apotheke mit ihnen erwirtschaftet), ihrem Status (verschreibungspflichtig, apothekenpflichtig oder freiverkäuflich) und auch ungeachtet dessen, wer diese Packung am Ende bezahlt (gesetzliche Krankenkasse, der Patient selber oder eine private Krankenversicherung). Das ist aber wichtig, weil sich daraus ableitet, wer die Apotheke für ihre Gemeinwohlaufgaben bezahlt.

Werden, wie von den Gutachtern zugrunde gelegt, nur 40,5 Prozent aller den Apotheken entstehenden Kosten von den gesetzlichen Krankenkassen bezahlt (weil sie nur 40,5 Prozent der Packungen erstatten), so müssten zukünftig fast 60 Prozent der Gemeinwohlaufgaben der Apotheken von ihren Kunden direkt bezahlt werden. Das aber widerspricht fundamental dem Gedanken, dass öffentliche Güter von der Allgemeinheit finanziert werden. Ein Großteil der Arzneimittelversorgung (die eben nicht nur aus GKV-erstatteten Rx-Präparaten besteht) wird nur noch von Apothekenkunden getragen – also überproportional von kranken Menschen, unter denen wiederum die Alten und Armen überrepräsentiert sind. Das war aber nie das Ziel der Entlassung der OTC-Arzneimittel aus der Erstattung der GKV, zumindest wurden solche Gedanken bisher nicht öffentlich artikuliert. Dazu kommt, dass Apotheken in sozial schwächeren Gegenden entweder unrentabel würden und schließen oder ihr Angebot massiv einschränken müssten, weil ihre Klientel gar nicht in der Lage wäre, die „fehlenden“ 60 Prozent der Kosten zu bezahlen.

Die gleichmäßige Umlegung aller Kosten auf die Packungen, unabhängig vom „Käufer“, ist aber auch in sich unlogisch. Denn eine Versorgung ausschließlich mit OTC-Arzneimitteln würde völlig anders organisiert als die heutige deutsche Apotheke, z. B. in „OTC-Shops“, wie es sie in einigen Ländern gibt. Auf der anderen Seite fallen viele Kosten ausschließlich bei der Versorgung von GKV-Versicherten an, beispielsweise das Vorrätighalten von fünf, zehn oder noch mehr verschiedenen, aber wirkstoff- und dosisgleichen Arzneimitteln zur Belieferung der Rabattverträge – von Retaxationen ganz zu schweigen. Doch die Versorgung aus Kostengründen ablehnen, das kann die Apotheke nicht – im Gegenteil, die GKV soll laut Gutachten auch weiterhin einen erheblichen Preisnachlass im Form des Kassen­abschlags erhalten.

Der einzige Ausweg aus diesen grundsätzlichen Fehlern ist eine massive Umverteilung zwischen den Apotheken, damit deren betriebswirtschaftliche Zahlen sich den Durchschnittswerten angleichen, mit denen die Gutachter ja gerechnet haben. Umverteilung und direkte Subvention – die Gutachter schlagen auch einen Landapothekenfonds zur Unterstützung versorgungsrelevanter Apotheken vor – mögen dem sozialdemokratischen Auftraggeber des Gutachtens als Ideen nicht ganz fremd sein. Dem heutigen, gut funktionierenden Apothekensystem sind sie es jedoch sehr.

Dr. Benjamin Wessinger, Chefredakteur der DAZ

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