Arzneimittel und Therapie

Welcher Impfstoff für wen?

Bei der Pneumokokken-Impfung für Erwachsene sind sich die Experten nicht einig

Aktuell sorgt wieder einmal ein Lieferengpass für Aufregung: Der Pneumokokken-Polysaccharidimpfstoff Pneumovax® 23 ist voraussichtlich bis März 2017 nicht lieferbar. Die beiden Konjugat-Impfstoffe Synflorix® und Prevenar 13® sind zwar erhältlich, können jedoch Pneumovax® 23 nicht 1 : 1 ersetzen, da die einzelnen Impfstoffe für unterschiedliche Alters- und Patientengruppen indiziert sind. Schaut man allerdings genauer hin, zeigt sich, dass die Datenlage noch viel komplexer ist als gedacht. Sogar RKI und Leitlinie sind unterschiedlicher Meinung. Und aus den USA kommt ein ganz neuer Ansatz …

Pneumokokken sind der häufigste bakterielle Erreger der ambulant erworbenen Pneumonie. Jährlich werden in Deutschland über 250.000 Menschen mit dieser Diagnose stationär aufgenommen. Die durchschnittliche Kranken­haussterblichkeit beträgt 13,5%. Gemessen an Häufigkeit und Letalität repräsentiert die Pneumokokken-Pneumonie daher die wichtigste Pneumokokken-Infektion.

Foto: Henrik Dolle – Fotolia.com
Zum Schutz gegen Pneumokokken sind mehrere Impfstoffe verfügbar – und alle haben ihre Vor- und Nachteile.

Es gibt über 90 verschiedene Pneumokokken-Serotypen. Sie besiedeln vor allem den Nasenrachenraum von Kindern, verursachen dabei aber meist keine Symptome. Durch lokale Ausbreitung können sie jedoch Krankheiten der oberen (Sinusitis, Otitis media) und unteren Atemwege (Pneumonie) verursachen. Besonders schwerwiegend sind invasive Pneumokokken-Erkrankungen, bei denen Pneumokokken in normalerweise sterilen Körperflüssigkeiten wie Blut (Bakteriämien) und Liquor (Meningitiden) nachgewiesen werden.

Für Risikogruppen (siehe Kasten) wird als Prävention eine Impfung empfohlen. Man unterscheidet zwischen Polysaccharid- und Konjugatimpfstoffen, je nachdem ob die Polysaccharid-Antigene in reiner Form oder an ein Protein gebunden („konjugiert“) vorliegen. Die Proteinkonjugation bewirkt eine zusätzliche Stimulation von T-Helfer-Zellen, die auf reine Polysaccharide nicht reagieren. Die T-Zell-Hilfe führt wiederum zur Ausbildung von Gedächtniszellen, die sich nach alleiniger Impfung mit der Polysaccharidvakzine nicht generieren. Daher lässt die Schutzwirkung des Polysaccharid­impfstoffes nach einigen Jahren nach, und eine Wiederimpfung wird erforderlich. Ein weiterer Unterschied besteht in der Zahl der Serotypen, die im Impfstoff enthalten sind. Der einzig verfügbare Pneumokokken-Polysaccharidimpfstoff enthält Antigene von 23 Serotypen (PPV23, Pneumovax® 23). Die neueren Pneumokokken-Konjugatimpfstoffe enthalten Antigene gegen 10 (PCV10, Synflorix®) bzw. 13 Serotypen (PCV13, Prevenar 13®).

Woran erkennt man eine Pneumonie?

  • Atemwegssymptome wie Husten mit oder ohne Auswurf, Dyspnoe, atemabhängige thorakale Schmerzen
  • Allgemeinsymptome wie Fieber oder Hypothermie, allgemeines Krankheitsgefühl, Myalgien, Arthralgien, Cephalgien, Kreislaufbeschwerden, Diarrhö
  • neurologische Symptome wie Desorientiertheit (confusion) insbesondere bei älteren Patienten

Wer sollte sich gegen Pneumokokken impfen lassen?

  • Kinder in den ersten beiden Lebensjahren,
  • ältere Menschen ab 60 Jahren sowie
  • Personen, die an chronischen Krankheiten leiden, immundefiziente Personen (v. a. Splenektomierte) sowie Personen mit anatomischen und Fremdkörper-assoziierten Risiken für Pneumokokken-Meningitis

Laut Fachinformation wird Pneumovax® ab einem Alter von zwei Jahren empfohlen, Prevenar 13® ab sechs Wochen und Synflorix® ab sechs Wochen bis zum vollendeten 5. Lebensjahr.

Für Säuglinge kommt also ausschließlich einer der beiden Konjugatimpfstoffe infrage: Es werden insgesamt drei Dosen empfohlen, die im Alter von zwei, vier und elf bis 14 Monaten gegeben werden (sogenanntes „2+1“-Impfschema).

Während für Säuglinge die Empfehlung eindeutig ist, sind die Meinungen des Robert Koch-Instituts (RKI) und der Leitlinien-Kommission zur Behandlung von erwachsenen Patienten doch recht kontrovers.

RKI versus Leitlinie

Aufgrund des höheren Anteils an Serotypen in PPV23 empfiehlt das RKI älteren Personen ab 60 Jahren die Impfung mit dem 23-valenten Polysaccharid-Impfstoff. Für Personen mit chronischen Erkrankungen wird vom RKI ebenfalls eine Impfung mit PPV23 empfohlen. Wegen der begrenzten Dauer des Impfschutzes hält das RKI Wiederholungsimpfungen mit PPV23 im Abstand von mindestens sechs Jahren grundsätzlich für sinnvoll. Hochrisikogruppen wie immundefiziente und -supprimierte Personen sowie Personen mit anatomischen und Fremdkörper-assoziierten Risiken für Pneumokokken-Meningitis sollen laut RKI jedoch eine sequenzielle Impfung mit dem 13-valenten Konjugatimpfstoff (PCV13) gefolgt von PPSV23 nach sechs bis zwölf Monaten erhalten.

Demgegenüber erkennt die Leitlinien-Kommission für ambulant erworbene Pneumonie die Wirksamkeit von PPV23 bei invasiven Pneumokokken-Erkankungen an, sieht aber insgesamt eine mangelnde Evidenz für die Wirksamkeit bei Pneumonie. Vor diesem Hintergrund bevorzugt diese den Einsatz von PCV13 sowohl als Standard­impfung bei Personen über 60 Jahren als auch als Indikationsimpfung bei den anderen Risikogruppen. Denn für PCV13 wurde die Wirksamkeit bei Pneumonie mit einer Effektivität von 45% in einer großen placebokontrollierten Studie mit über 80.000 Personen bewiesen.

In dieser Diskussion stehen die bessere Immunogenität und die besser bewiesene Wirksamkeit bei Pneumonie von PCV13 gegen die breitere Serotypenabdeckung von PPV23. Tatsächlich nimmt die Serotypenabdeckung von PCV13 von Jahr zu Jahr ab, da PCV13 routinemäßig bei Kindern eingesetzt wird, denn besiedelte Kinder sind das Hauptreservoir der Pneumokokken und können nach Impfung den Erreger verlieren. Aufgrund dieser Herden­immunität werden auch bei Erwachsenen die durch PCV13 erfassten Serotypen seltener und nicht PCV13-Serotypen immer häufiger („serotype replacement“).

Nach Daten des Kompetenznetzwerkes für ambulant erworbene Pneumonie (CAPNETZ) wurden noch vor fünf Jahren über 60% der Pneumokokken-Pneumonien beim Erwachsenen durch PCV13-Serotypen hervorgerufen. Mathias Pletz, Infektiologe aus Jena und Mitglied im CAPNETZ-Vorstand, plädiert daher für eine schnellere Anpassung der Impfempfehlung an die aktuelle Epidemiologie: „Durch eine Impfung mit PCV13 hätte, bei ausreichend hoher Impfrate, knapp die Hälfte dieser Fälle verhindert werden können. Ich hätte mir daher eine frühzeitige Empfehlung für PCV13 beim Erwachsenen gewünscht, die nach fünf Jahren natürlich hinterfragt werden sollte.“ Aktuell werden nur noch 35% der invasiven Pneumokokken-Infektionen durch PCV13 erfasst. Wie hoch die derzeitige PCV13-Serotypenabdeckung bei (nicht-invasiver) Pneumokokken-Pneumonie ist, wird gerade durch CAPNETZ untersucht.

Neue Visionen aus den USA

In den USA wird aktuell für Erwachsene und Risikogruppen ebenfalls das sequenzielle Impfschema empfohlen (PCV13 gefolgt von PPSV23). Experten wie Daniel Weinberger von der Yale School of Public Health in New Haven sehen jedoch für beide Impfstoffe eine limitierte Wirksamkeit. Grundsätzlich sind PCV13 und PPSV23 relativ ähnlich, zumal zwölf Serotypen aus PCV13 auch in PPSV23 enthalten sind. Durch das Phänomen des „serotype replacement“ könnten sich zudem sogar weitere Serotypen ansiedeln und ausbreiten, die von den derzeitigen Impfstoffen gar nicht abgedeckt werden. Weinberger empfiehlt die Entwicklung eines neuen „komplementären“ Konjugatimpfstoffs ausschließlich für Erwachsene, der andere Serotypen abdeckt als PCV13.

Die Idee ist nicht wirklich neu und wird seit einigen Jahren immer wieder auf Kongressen diskutiert, wurde aber bislang noch nie so prominent publiziert. Wir dürfen gespannt sein, ob die Industrie nun diese Idee aufgreift. |

Quelle

Weinberger DM et al. JAMA Int Med 2017. doi:10.1001/jamainternmed.2016.8289

Robert Koch-Institut. Epidemiologisches Bulletin 36/2015, 36/2016 und 37/2016.

AWMF, S3-Leitlinie Behandlung von erwachsenen Patienten mit ambulant erworbener Pneumonie und Prävention, Update 2016

Apothekerin Dr. Birgit Benedek

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