Gesundheitspolitik

Gutachter: Peter S. war schuldfähig

Psychiatrischer Gutachter sagt im Zyto-Prozess vor dem Landgericht Essen aus

ESSEN (hfd) | Im Prozess gegen den Bottroper Zyto-Apotheker Peter S. stand bei der Verhandlung am 13. Juni die Frage der Schuldfähigkeit des Angeklagten im Mittelpunkt. War sie durch eine vor knapp zehn Jahren erlittene schwere Hirnverletzung beeinträchtigt?

Die Verteidigung hatte die Einschätzung eines psychiatrischen Gutachters vorgebracht, wonach Peter S. infolge dieser Hirnverletzung teils die Folgen seiner Handlungen nicht abschätzen konnte. Das Landgericht Essen hatte sodann den Psychologen Boris Schiffer vom Uniklinikum Bochum beauftragt, ein Gutachten zur Schuldfähigkeit zu erstellen. Vergangenen Mittwoch stellte Schiffer dieses vor. Er beschrieb zunächst, dass der in U-Haft sitzende Apotheker eine ­„etwas melancholische“ Grundstimmung habe, die Zeit im Gefängnis aber auch als „gewisse ­Erholung“ ansehe. Das offenbar durch einen Sturz ausgelöste schwere Schädel-Hirn-Trauma habe Ende 2008 zu teils schweren Ver­letzungen mit Einblutungen an der Vorder- und Rückseite des Gehirns geführt, so zu einer augapfelgroßen Frontalhirnschädigung – auch kam es zu einem Ausfall von Geruchs- und Geschmackssinn.

Nachdem Ärzte zuvor ein hirnorganisches Psychosyndrom diagnostiziert und „exekutive Funktionsstörungen“ festgestellt hatten, ordnete Schiffer die Symptome anders ein. Schon die Dauer des Gedächtnisausfalls nach dem Unfall von nur einer Woche sah er positiv. Anderthalb Jahre später hätten Ärzte festgestellt, S. sei klinisch-neurologisch „wieder vollständig hergestellt“. Ferner hatten Zeugen zwar geschildert, S. habe über Kopfschmerzen geklagt und sich zwischendurch ausgeruht, er sei aber allgemein einsatzfähig gewesen.

Bis auf zwei Tests fielen laut Schiffer alle psychologischen Untersuchungen auffällig aus – doch er sieht sehr deutliche Hinweise auf ein verzerrtes Antwortverhalten. Insgesamt meint er, dass S.‘ Fähigkeit zum logischen, kritischen und abstrakten Denken „völlig intakt“ ist. „Ich gehe davon aus, dass er sich bei keinem dieser anderen Tests so präsentiert hat, wie er es hätte können“, so der Gutachter.

Schiffer ließ keinen Zweifel daran, dass S. sich etwa Wirkstoffmengen merken konnte: Einschränkungen würden nicht die Rate von Fehlern erwarten lassen, die am Tag der Razzia sichergestellte Zytostatika aufwiesen. Er sieht keine Anhaltspunkte für unbemerkte Fehlleistungen. Schiffer sagte, er habe ­weder Zweifel, dass der Apotheker sich der Strafbarkeit von Unter­dosierungen bewusst war, noch dass er über Jahre unkontrolliert gehandelt hätte. „Das wäre auch mit einer hirnorganischen Störung kausal nicht in Zusammenhang zu bringen.“ Insgesamt sah Schiffer keine Hinweise auf eine Beeinträchtigung der strafrechtlichen Schuldfähigkeit.

Während Peter S. bislang vor Gericht schweigt, machte er gegenüber Schiffer Angaben, über die der Gutachter vor Gericht als Zeuge berichtete. So erzählte S. etwa von seinem Arbeitsalltag: Normalerweise sei er in den letzten Jahren um fünf aufgestanden und hätte in der Früh gut eine Stunde im Zyto-Labor gearbeitet, danach habe er sich oft hinlegen müssen. Innerhalb von 45 Minuten habe er 10 bis 20 Herstellungen übernommen. Anders als von Zeugen ausgesagt, hätten auch Mitarbeiter regelmäßig monoklonale Antikörper hergestellt. Die Arbeit sowie die besondere Ruhe im Labor habe ihm Freude gemacht, hat S. laut Schiffer auf die Frage geantwortet, warum er als Chef selber regelmäßig hergestellt hat.

Dem Gutachter zufolge hat S. glaubhaft erklärt, es sei ihm nicht so wichtig gewesen, ob der Umsatz eine Million Euro mehr oder weniger betrage – er habe jährlich bei rund 40 Millionen gelegen, davon maximal ein Viertel aus der Zyto-Herstellung. „Das habe ich tatsächlich als authentisch empfunden“, sagte Schiffer. |

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