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Wirtschaft
„Schlupflöcher schließen“
Techniker Krankenkasse veröffentlicht Innovationsreport 2018
In diesem nun im sechsten Jahr erschienenen Report konnten mithilfe des gewohnten Bewertungsschemas in der Gesamtbewertung zum ersten Mal sieben „grüne Ampeln“ vergeben werden: vier gab es für „normale“ Innovationen (Ceritinib/Zykadia®, Cobimetinib/Cotellic®, Secukinumab/Cosentyx® und Trametinib/Mekinist®), drei für die gesondert betrachteten Orphan Drugs (Blinatumomab/Blincyto®, Kyprolis® und Lumacaftor/Ivacaftor/Orkambi®). Zudem bekamen 15 Arzneimittel eine gelbe und zehn eine rote Ampel. Das ist vergleichsweise gut: Im Vorjahr leuchteten nur 17 gelbe und 15 rote Ampeln. In den Jahren zuvor sah es auch nicht viel besser aus.
AMNOG in der Kritik
Hinter dem Bewertungsschema mithilfe von Ampeln stecken die Wissenschaftler vom Socium Forschungszentrum an der Universität Bremen, allen voran Professor Dr. Gerd Glaeske. Dieser erklärte zusammenfassend: „Fortschritte sehen wir im Bereich der Krebstherapie der akuten lymphatischen Leukämie und des multiplen Myeloms. Auch bei der Behandlung der Mukoviszidose zeigt ein Medikament einen deutlichen Zusatznutzen.“
Bedenklich sei allerdings, dass erneut einige negativ bewertete Präparate ihren Weg bereits in medizinische Leitlinien gefunden haben. Insgesamt befinden sich 28 der 32 bewerteten Arzneimittel in Leitlinien. Zudem seien für die neuen Präparate bereits sechs Rote-Hand- und acht Blaue-Hand-Briefe verschickt worden – dies zeige, wie wichtig eine sorgfältige Beobachtung neuer Arzneimittel im Versorgungsalltag sei, so Glaeske. Auch, dass nur drei von insgesamt elf Orphan Drugs eine grüne Ampel erhielten, findet er enttäuschend. Er kann nach wie vor nicht verstehen, dass die Präparate nicht – wie in anderen Ländern auch – ein ganz normales Frühbewertungsverfahren durchlaufen. Nach den gegenwärtigen AMNOG-Regeln wird ihnen ein Zusatznutzen automatisch unterstellt. Nur zwei der neuen Arzneimittel erhielten eine grüne „Kostenampel“, während sie bei 13 Wirkstoffen gelb und bei fünf Wirkstoffen rot zeigt. Weiterer Herausgeber des Innovationsreports ist der Vorsitzende der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft, Professor Dr. Wolf-Dieter Ludwig. Er erklärte, dass erneut vor allem die onkologischen Wirkstoffe sehr teuer sind. Und unter den 32 bewerteten Arzneimitteln waren zwölf onkologische. „Wir wissen, dass diese hohen Preise weder die Kosten für Forschung und Entwicklung noch den Zusatznutzen widerspiegeln, sondern die Bereitschaft des Marktes (in den Industrienationen) derartig hohe Preise zu bezahlen“, sagt der Onkologe.
Alzheimer und Demenz – die vergessenen Indikationen
Besonders im Fokus der Pharmaindustrie stünden derzeit Immuntherapeutika, die insbesondere bei Krebserkrankungen inzwischen auch in Kombinationen eingesetzt werden und sehr hohe Kosten verursachen, ohne dass aussagekräftige Langzeitergebnisse zu ihrer Wirksamkeit und Sicherheit vorlägen. Ludwig kritisierte, dass es in den vergangenen Jahren zu Fehlentwicklungen gekommen sei: Immer mehr Arzneimittel kämen über eine beschleunigte Zulassung auf den Markt, also zu einem Zeitpunkt, an dem man noch wenig über sie weiß. Ursprünglich sei dies eine notwendige Regelung gewesen. Doch mittlerweile beträfen 60 Prozent der Orphan-Drugs-Zulassungen Krebsarzneimittel. Denn hier lässt sich bestens in Untergruppen unterteilen, so dass die Patientenzahlen klein bleiben. Der Industrie dies vorzuwerfen, hält Ludwig jedoch für „lächerlich“. Die entsprechenden Verordnungen, die dies ermöglichen, müssten angegangen werden. Er ist überzeugt: Bei der Entwicklung von Krebsarzneimitteln stimmt die Motivation ohnehin – da bedarf es keiner Extra-Anreize. Anders sieht es allerdings in anderen dringlichen Therapiegebieten aus, etwa der Alzheimer-Demenz, der der Report in diesem Jahr ein Sonderkapitel widmet. Hier habe sich die Industrie fast vollständig aus der Forschung zurückgezogen. Seit Jahren gibt es keine neuen Zulassungen auf diesem Gebiet. Die derzeit verfügbaren Medikamente verlangsamen nur das Fortschreiten der Erkrankung, können sie also weder aufhalten noch heilen. Doch selbst diese kommen nur in bescheidenem Umfang zum Einsatz: Nur 14 Prozent der betroffenen Erkrankten erhalten Antidementiva. Weit verbreitet ist dagegen die Verordnung von Neuroleptika und Benzodiazepinen. Unter- und Fehlversorgung sind hier also gang und gäbe. Für Glaeske liegt hier der Verdacht nahe, dass demente Menschen einfach ruhiggestellt werden, statt sie richtig zu behandeln – nach dem Motto „sauber, satt und ruhig“.
TK-Chef Jens Baas setzt nun auf einen neuen Pharmadialog. Dieser sollte darauf drängen, dass die Pharmaindustrie ihre Forschungen auf Gebieten betreibt, wo sie benötigt werden, etwa der Demenz, und nicht, wo die größten Profite winken. Darüber hinaus findet auch Baas, dass die Orphan-Regelung nachgebessert werden muss. Die Politik müsse sich überlegen, wo sie Anreize setzen wolle und wo nicht.
Baas appelliert an die Politik
Der TK-Chef will den Pharmaunternehmen nicht vorhalten, dass sie Geld verdienen wollen. Allerdings müssten einige Schlupflöcher geschlossen werden, damit Fehlentwicklungen – insbesondere den immer höheren Preisen – gegengesteuert werden kann. Ludwig ergänzte, dass man auch an leistungsorientierten Bezahlmodellen arbeiten müsse – Stichwort: pay for performance.
Auf wenig Verständnis trifft der neue TK-Report beim Verband der Forschenden Arzneimittelhersteller (vfa). Birgit Fischer, Hauptgeschäftsführerin des vfa, erklärte: „Wer den Fortschritt nicht sehen will, hält ihn trotzdem nicht auf!“ Fischer findet es „zynisch“, Fortschritt im Bereich der Onkologie als Forschung an der falschen Stelle zu bezeichnen. Wer dann noch zwei resistenzbrechende Antibiotika aus dem Jahr 2015 nicht in die Bewertung einbeziehe, sei beim Thema medizinischer Bedarf nicht glaubwürdig. Was Alzheimer-Arzneimittel betrifft, lässt Fischer wissen, dass ein Viertel der vfa-Mitgliedsfirmen auch weiterhin an solchen forsche. Auch die Kritik an der zunehmenden Zahl an Orphan Drugs will sie nicht stehen lassen: Patienten, Ärzte, Politik und Industrie hätten zusammen ein langfristiges und transparentes Anreizsystem für mehr Arzneimittel gegen seltene Erkrankungen geschaffen. „Das zeigt Wirkung: Immer mehr Patienten mit bislang nicht behandelbaren Erkrankungen erhalten eine wirksame Arzneimitteltherapie.“ |
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