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Wirtschaft

Wer herstellt, wird bestraft

Bei Zytostatika- und MAK-Rezepturen legen die Apotheken drauf

In den vergangenen Jahren war eine überdurchschnittliche Steigerung der Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) für Zytostatika zu verzeichnen. Dies führte immer wieder zu Versuchen, die Kosten durch politische Maßnahmen einzudämmen. Am 19. Januar 2018 erfolgte zur künftigen Vergütung von Sterilrezepturen nun ein Schiedsspruch zur Anlage 3 der Hilfstaxe der Apotheken im Dissens zwischen GKV und Apothekenvertretung. Grund genug also, sich mit der Fragestellung nach der tatsächlichen finanziellen Rolle der ambulant versorgenden Apotheken im Preisgefüge zu befassen. | Von Thomas Wellenhofer

Während klassische Zytostatika-Rezepturen zwar nummerisch etwas zulegten, blieb das finanzielle Gesamtvolumen nahezu konstant. Im Gegensatz dazu stieg der Umsatz an Rezepturen mit monoklonalen Antikörpern deutlich (in den Jahren 2013 bis 2015 um jeweils gut 9 Prozent) [1]. Damit sind sie die für die Systemverteuerungen relevante Rezepturgruppe. Der rasante Einzug der spezifischen Immuntherapie mit monoklonalen Antikörpern (MAK) in die Behandlungsschemata von Krebspatienten begründet sich vor allem auf deren therapeutischen Erfolgen. Die Überlebensraten der Betroffenen konnten (nicht ausschließlich, aber vorwiegend) unter Einsatz dieser Wirkstoffgruppe maßgeblich erhöht werden. In Konsequenz nehmen die MAK-Zubereitungen einen kontinuierlich wachsenden Anteil an der Gesamtzahl der Sterilrezepturen ein. Da MAK gentechnisch aufwendig herzustellen und empfindlich in der Lagerung sind, als relativ neue Substanzklasse meist noch unter Patentschutz stehen und ihre Entwicklungskosten noch einzuspielen haben, liegen die Preise im Schnitt um knapp eine Größenordnung über denen der klassischen Zytostatika und stellen damit die Leitgruppe im Bereich der Kosten dar [2].

Was kostet die Zubereitung?

Die Behandlung von Krebserkrankungen erfolgt auf einem schmalen Grat der Abwägung zwischen Wirkung und Nebenwirkung bei vorgeschwächten Personen und wird daher höchst individuell in Dosierung und Behandlungszeitpunkten durchgeführt. Auch die MAK werden zumeist gemäß der persönlichen Parameter der Patienten (Gewicht, Körperoberfläche, Erkrankungstyp, Begleitmedikation usw.) von Apotheken mit Sterillabor als Infusionen oder Injektionen hergestellt, obwohl sie im juristischen Sinne in aller Regel nicht der Zubereitungspflicht unterliegen. Doch wie teuer kommt diese – medizinisch indizierte – Zubereitung die Solidargemeinschaft? Auf dem Papier der Hilfstaxe werden als Vergütung dieser pharmazeutischen Dienstleistung 71 Euro für monoklonale Antikörperzubereitungen und 81 Euro für zytostatische ­Rezepturen angesetzt, jeweils zuzüglich der gesetzlichen Mehrwertsteuer. Die Wirkstoffe sind in Form von Konzentraten als Fertigarzneimittel im Handel. Man könnte also annehmen, dass demzufolge die Honorierung einer Rezeptur mindestens dem Preis für die verwendeten Fertigarzneimittel, den Preisen für die eingesetzten Hilfsstoffe und Packmittel und der Dienstleistungspauschale entsprechen müsste. In dieser Summe wären nach dem Allgemeinverständnis die zusätzlichen Aufwendungen einer Sterilzubereitung (gemäß Hilfstaxe) gegenüber einer Abgabe von Fertigarzneimitteln abgegolten. Doch was ergibt die Hilfstaxe tatsächlich im Vergleich zur Lauertaxe?

Zur Klärung dieser Frage haben wir MAK-Rezepturen in deren typischen Durchschnittsdosen gemäß häufiger Behandlungsschemata analysiert [3 – 6]. Diese Rezepturen wurden anhand der bis zum 18. Januar 2018 gültigen Anlage 3 der Hilfstaxe einerseits und der Anlage 3 des Schiedsspruches andererseits taxiert [7]. Als Referenzwert dient der zum 1. Februar 2018 gültige Verkaufspreis des zugrunde liegenden Fertigarzneimittels [8], also der in jeder Apotheke bei Abgabe auf Rezept verpflichtend gültige Preis. Nicht eingerechnet wurden die zeitlichen Aufwendungen für die Herstellung, die zu verwendenden Einmalartikel, die Infusionsgrundlage nebst Beutel und die Infrastruktur und Logistik.

Das ernüchternde Ergebnis

Im Diagramm wird bereits auf den ersten Blick klar, dass die als Vergütung in der Hilfstaxe ausgewiesenen Arbeitspreise (blau) von 71 Euro für MAK (bzw. 81 Euro für Zytostatika) als Aufschlag nicht in einem einzigen Fall realisiert werden. Über einem Preisniveau von 1543 Euro (bisher 2367 Euro) sinkt der Preis für eine Rezeptur sogar unter den Preis der dafür eingesetzten Fertigarzneimittel [9]. Spätestens hier ist die Schieflage offensichtlich: Der personelle Mehraufwand für die sachgerechte – sterile – Zubereitung, ebenso wie die dafür nötigen Einmalartikel und die Vorhaltung der komplexen Infrastruktur finden keinerlei wirtschaftliche Anerkennung. Im Gegenteil: Alle teuren Rezepturen werden gezwungenermaßen weit unter den Verkaufspreisen taxiert, im Extremfall mit einer Differenz von bis zu 944 Euro, wie am Beispiel einer üblichen Rezeptur (Eculizumab 1200 mg in 240 ml Kochsalzlösung) ersichtlich wird.

Preisdifferenzen von Sterilrezepturen im Vergleich zu den dazu benötigten Fertigarzneimitteln. Gegenübergestellt sind die Unterschiede der Rezepturpreise nach der bisher gültigen Hilfstaxe (grüne Linie) und dem Schiedsspruch vom 19. Januar 2018 (rote Linie) für typische Sterilrezepturen im Vergleich zu den Verkaufspreisen der dafür verbrauchten Fertigarzneimittel. So darf nun für eine Infusion mit 150 mg Trastuzumab in 250 ml Kochsalzlösung ein Preis von 910,58 Euro geltend gemacht werden (inklusive aller Herstellungszuschläge und Mehrwehrtsteuer). Da der Verkaufspreis für Herceptin® 150 mg bei 866,40 Euro liegt, bleiben für den Herstellaufwand 53,71 Euro brutto übrig (2. Datensatz von links). Für die Herstellung einer Infusion von Eculizumab 1200 mg in 240 ml Kochsalzlösung dürfen 22.565,64 Euro abgerechnet werden, die vier dafür eingesetzten Soliris® 300 mg haben jedoch zusammen einen Verkaufspreis von 23.510,20 Euro. Dies ergibt einen Verlust von 944,56 Euro für die Zubereitung dieser Rezeptur (2. Datensatz von rechts).

De facto wird also bereits seit Jahren durch die Hilfstaxe finanziell bestraft, wer pharmazeutisch korrekt und zum Wohle der Patienten MAK-Rezepturen anfertigt. Da gerade bei den hochpreisigen MAK und Zytostatika unter Patentschutz Konditionen weder vom pharmazeutischen Großhandel noch von den Herstellern gewährt werden, lässt sich hier kein Deckungsbeitrag mehr erwirtschaften. Diese Situation verschärft sich nun durch den aktuellen Schiedsspruch nochmals erheblich.

Anbrüche bergen finanzielles Risiko

Des Weiteren ergeben sich aus der Individualität der Dosierungen zusätzliche Risiken für die herstellenden Apotheken. In vielen Fällen verursachen die nötigen Wirkstoffmengen für eine Rezeptur Anbrüche hochpreisiger Fertigarzneimittel mit kurzer bis sehr kurzer Resthaltbarkeit (Stunden bis Tage), die Abrechnung der Rezeptur gemäß Hilfstaxe bezieht sich allerdings zunächst ausschließlich auf die in die Zubereitung eingearbeitete Wirkstoffmenge. Es ist zwar detailliert in der Hilfstaxe geregelt, dass unvermeidbare Verwürfe ebenfalls abrechenbar sind und welche Wirkstoffe nach welchen Zeitfenstern als Verwurf gelten, aber die Realität zeigt, dass seit Jahren einzelne Kassen diese Regelung selektiv ignorieren und zubereitende Apotheken in der Fläche nachträglich mit Retaxationen überziehen [10]. Auch hier geht es um Tausende Euro pro Jahr zulasten der Pharmazeuten, die nicht erwirtschaftet werden können.

Da die allermeisten dieser Wirkstoffe zwar als Fertigarzneimittelkonzentrate im Handel sind, jedoch nicht der Zubereitungspflicht unterliegen, wird es für die betroffenen Apotheken wirtschaftlich zukünftig unvermeidlich sein, die Zubereitung zu verweigern und den Patienten die Fertigarzneimittel mitzugeben. Eine Herstellung müsste damit durch Hilfspersonal in der Arztpraxis erfolgen, das dazu weder im Bereich Arbeitssicherheit noch in Bezug auf die Sterilitätsanforderungen ausreichend ausgestattet und ausgebildet ist. Ein Szenario also, von dem man seit 25 Jahren begründet Abstand hält und das nur Verlierer kennt:

  • Die Patienten, die erhebliche Abstriche in der Qualität der Zubereitung hinnehmen müssen.
  • Die Praxen, die erhebliche zeitliche Mehraufwendungen für die Zubereitung leisten müssen, ohne Ausbildung und Infrastruktur dafür zu besitzen.
  • Die Apotheken, die ein weiteres Stück ihrer pharmazeu­tischen Kompetenz aufgeben müssen.
  • Die Krankenkassen, die erhebliche zusätzliche Kosten tragen werden.

Dringende Fragen

  • War den Entscheidern des Schiedsspruches das resultierende finanzielle Fiasko für MAK-Rezepturen bekannt?
  • Falls ja: Welches Ziel wird verfolgt? Falls nein: Wie kann zeitnah korrigierend eingegriffen werden?
  • Ist es ethisch vertretbar, zum Erhalt der ambulanten Versorgung der Patienten die Infusionen von first-line-Therapien wieder wie vor Jahrzehnten „auf der Fensterbank“ der Tageskliniken herstellen zu lassen, um als Apotheke der finanziellen Bestrafung durch die GKV zu entgehen?
  • Was soll mit den von diesen Rezepturen abhängigen Patienten werden, wenn die ambulante Sterilrezeptur moderner und damit unrentabler Therapieschemata in Apotheken verweigert wird?
  • Welche Konsequenzen entstehen in den Ambulanzen durch den Mehraufwand in der Versorgung der Patienten für die Ambulanzen einerseits und für die Patienten andererseits?
  • Wie stellt sich die GKV ein Szenario nach einer möglichen Abwicklung der dezentralen ambulanten Versorgung mit MAK-Therapien vor?
  • Kann ein solches Szenario im Sinne der Betroffenen sein, ist es also in Sachen Versorgungs- und Lebensqualität der Patienten und Preiseffizienz der jetzigen Versorgung zumindest ebenbürtig?

Die Antworten auf diese Fragen sollten bald von der Politik und den Krankenkassen gegeben werden. |

Literatur

 [1] ABDA: Die Apotheke – Zahlen, Daten, Fakten 2017. www.abda.de

 [2] Durchschnittspreis für eine zytostatische Rezeptur 2015: 513,33 Euro, für eine MAK-Rezeptur 2960 Euro. ABDA: Die Apotheke – Zahlen, Daten, Fakten 2017. www.abda.de

 [3] Berger, Mertelsmann: Das Rote Buch. Hämatologie und Internistische Onkologie. Ecomed 2017. ISBN 978-3-609-51221-1

 [4] Engelhardt, Berger, Duyster, Mertelsmann: Das Blaue Buch. Chemotherapie-Manual Hämatologie und Inernistische Onkologie. Springer 2014. ISBN 978-3-642-41741-2

 [5] www.fachinfo.de

 [6] steribase: www.wae.de

 [7] Rundschreiben 4/2018 Bayerischer Apothekerverband

 [8] ABDA Artikelstamm

 [9] laut Arzneimittelreport 2017 liegt übrigens der Durchschnittspreis einer MAK-Zubereitung bei 2960 Euro und damit weit im tiefroten Bereich

[10] Musterverfahren BAV / Sempt-Apotheke Dr. Stadler vs. AOK Bayern

Autor

Dr. Thomas Wellenhofer, Apotheker, Studium der Pharmazie in Regensburg, 1994 Promotion in Pharmakologie und Toxikologie, seit 1997 Inhaber der Bahnhof Apotheke Freilassing, Schwerpunkte Ernährungsberatung, Diabetes, Zyto­statikaversorgung und Management

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