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Schwerpunkt Filialapotheken

Vielfältige Möglichkeiten

Filialapotheken – Trends und Perspektiven

In Deutschland wurden Apotheken als Filialen 2004 mit dem GKV-Modernisierungsgesetz eingeführt. Seitdem steigt die Zahl der Filialapotheken, obwohl die Gesamtzahl der Apotheken seit 2008 sinkt. Da vielfältige – defensive und offensive – Motive für Filialen sprechen, dürfte der Anteil der Filialen unter den Apotheken weiter steigen. Durch die Filialen sind neue Gestaltungsmöglichkeiten, neue Fragen zum Apothekenbetrieb und sogar eine neue pharmazeutische Berufsgruppe entstanden – die Filialapothekenleiter. | Von Thomas Müller-Bohn

Gemäß deutschem Apothekenrecht sind Filialapotheken Vollapotheken, die sich in ihren Leistungen nicht von Haupt- oder Einzelapotheken unterscheiden. Für Kunden und Patienten ist kein Unterschied erkennbar. Das ist international nicht selbstverständlich. In Dänemark kann eine Haupt­apotheke bis zu sieben Filialen betreiben und nur in jeder dritten davon muss ein Vollapotheker anwesend sein.

Immer mehr Filialen

Seit der Zulassung von Filialapotheken in Deutschland im Jahr 2004 ist ihre Zahl Jahr für Jahr gestiegen. Ende 2016 waren von insgesamt 20.023 Apotheken 4416 Filialen (22,05 Prozent). Doch nur 290 Hauptapotheken hatten die maximal zulässigen drei Filialen. Die meisten Filialverbünde bestehen aus einer Hauptapotheke und nur einer Filiale. Es besteht daher noch viel Spielraum für weiteres Wachstum der Filialapotheken. Der Anstieg der Filialanzahl beruht inzwischen überwiegend auf Übernahmen. 2016 wurden 158 ehemalige Hauptapotheken als Filialen übernommen, aber nur 52 Filialen neu gegründet (Quelle für alle Zahlen: ABDA). Da demnächst viele Apothekeninhaber das Rentenalter erreichen und Berufsanfängern meist das Geld für teure Übernahmen fehlt, dürfte der Anteil der Übernahmen unter den neuen Filialen eher noch zunehmen.

Defensive und offensive Motive

Für die weitere Zunahme der Filialzahl sprechen auch die vielfältigen Motive für die Filialisierung. Die strategische Sicherung einer bestehenden Apotheke ist ein typisch defensives Argument. Doch auch eine offensive Expansionsstrategie, die auf mehrere Standorte setzt, kann mit Filialen realisiert werden. Daher werden sogar gegensätzliche Unternehmertypen unter den Apothekeninhabern angesprochen. Ein weiteres Motiv kann die Diversifizierung des unternehmerischen Risikos sein. Dies wird möglich, wenn ein Apothekeninhaber Apotheken an Standorten mit ganz anderen Einzugsgebieten oder Apotheken unterschiedlicher Typen betreibt, beispielsweise im Ärztehaus, in einem Einkaufszentrum oder auf dem Land. So lassen sich Risiken streuen, weil Probleme oft vorrangig bestimmte Standorte oder Geschäftsmodelle betreffen. Ja nach künftiger Entwicklung kann eine Apotheke dann die Schwächen einer anderen Apotheke kompensieren. Dabei geht es um unbekannte Risiken künftiger Entwicklungen. Dies darf nicht mit einer Subventionierung von Apotheken verwechselt werden, die schon bei ihrer Übernahme schlechte Wirtschaftsdaten aufweisen. Apotheken, die als Einzelapotheke nicht rentabel sind, versprechen meist auch für einen Verbund keinen Vorteil. Durch den Filialleiter steigen die steuerlich relevanten Kosten. Kurz nach einer Übernahme ergeben sich eher mehr Kosten durch nötige Umstrukturierungen. Vorteile durch Synergien entstehen dagegen langsam. Gerade in einem Verbund gibt es keinen Grund, eine nicht hinreichend rentable Apotheke zu subventionieren. Die Übernahme einer nicht rentablen Apotheke erscheint nur sinnvoll, wenn gravierende Fehler des Vorbesitzers klar zu erkennen und die daraus entstandenen Probleme zu lösen sind.

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Eine Apotheke ist eine Apotheke? In Deutschland sind Haupt- und Filialapotheken für die Kunden und Patienten nicht unterscheidbar: Fachpersonal, Angebot, Leistungen und Verpflichtungen sind bei allen Betriebsstätten gleich.

Allgemeine und standortabhängige Gründe

Grundsätzliche Argumente für die Filialisierung sind Größenvorteile, die durch das Wachstum an einem einzigen Standort oft nicht zu erreichen sind. Mit Filialen lassen sich eher günstige Einkaufskonditionen aushandeln, die Ressourcen besser ausnutzen und einige Fixkosten besser verteilen. Doch diese Möglichkeiten sollten nicht überschätzt werden, denn die beiden größten Kosteneinflussgrößen für Apotheken bleiben unverändert: Die Zeit für den Abgabe- und Beratungsvorgang hängt vom Patienten, seinem Pro­blem und der Kommunikationsstrategie und -kompetenz des Beratenden ab. Daran ändert eine Filialstruktur nichts. Auch die Raumkosten als zweiter großer Kostentreiber stehen fest.

Umso wichtiger sind die standortabhängigen Argumente, die jedoch sehr unterschiedlich sein können. Entweder wird mit in einer Filiale die Bearbeitung eines bestehenden Standorts intensiviert oder bewusst eine neue Chance an einem ganz anderen Standort wahrgenommen. Daraus können sich verschiedene Marketingstrategien ergeben. Bei nahe gelegenen Apotheken drängt sich ein intensives gemeinsames Marketing auf. Mit deutlich erkennbaren Gestaltungselementen an benachbarten Standorten kann eine Marke aufgebaut werden, die lokal stark wirkt. So können sich zwei oder mehr benachbarte Apotheken eines Verbundes gegenseitig nutzen und den gemeinsamen Marktanteil am Standort vergrößern. Dagegen können Apotheken in verschiedenen Städten eines Kreises zwar auch gemeinsame Marketinginstrumente nutzen und damit Kosten sparen, aber gerade der entscheidende Effekt des gemeinsamen Marketings wird dann nur sehr begrenzt wirken. Denn es wird nur selten gelingen, dieselben Menschen mehrfach an den verschiedenen Standorten zu erreichen. Ausnahmen sind Kombinationen einer Innenstadtapotheke mit Standorten in einem Einkaufszentrum oder einem nahe gelegenen touristischen Ausflugsort.

Strategische Varianten

Strategische Fragen für Filialverbünde gehen weit über das Marketing hinaus. Denn ein Verbund stellt Inhaber und Filialleiter vor Fragen, die in Einzelapotheken überhaupt nicht auftreten können: Gibt es ein gemeinsames Leitbild? Wie weit werden die Organisation, das QMS und die EDV vereinheitlicht? Wird gemeinsam eingekauft? Wird das Personal unter den Apotheken ausgetauscht? Da die Apotheken eines Verbundes rechtlich ein Unternehmen darstellen und einen Inhaber haben, erscheint ein gemeinsames Leitbild folgerichtig. Beim Einkauf ist zu fragen, ob höhere Einkaufsvergünstigungen höhere Logistikkosten wert sind. Billiger als die Logistikprofis des Großhandels wird kaum jemand Waren verteilen können. Um Personal austauschen zu können, müssen die Arbeitsverträge dies vorsehen und die Organisation der Apotheken sollte darauf ausgerichtet sein.

Führungs- und Kommunikationsstil

Ein sehr großes Thema ist der Führungs- und Kommunika­tionsstil. Es muss klar getrennt werden, was Filialleiter bestimmen sollen, welche Entscheidungen beim Inhaber bleiben und wie die Kommunikation ablaufen soll. Der Inhaber muss sich viel stärker als in einer Einzelapotheke bewusst machen, welcher Führungsstil zu seiner Unternehmerpersönlichkeit passt. Eine wesentliche Frage dabei ist, wie genau der Inhaber über die Ereignisse in der Filiale informiert werden möchte. Auf jeden Fall muss sich der Inhaber bewusst sein, dass in der Filiale nicht alles hundertprozentig so laufen wird, wie er es selbst entschieden hätte.

Die Apothekenbetriebsordnung bestimmt, dass der Filialleiter die pharmazeutische Verantwortung hat, aber bei der wirtschaftlichen Verantwortung besteht ein großer Gestaltungsspielraum. Bei Einkauf, Marketing und Preisgestaltung sind viele Varianten zwischen „komplett gemeinsam“ und „weitgehend dezentral“ möglich. Auch bei Anschaffungen stellt sich die Frage, wer darüber entscheidet. Praktikabel erscheint ein Budget für den laufenden Betrieb.

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Welcher Führungsstil passt zu wem? Es gibt viele Möglichkeiten. Auf jeden Fall müssen Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten klar definiert sein.

Zu entscheiden ist auch, inwieweit der Filialleiter Einblick in die betriebswirtschaftliche Entwicklung der Filiale erhält. Insbesondere wenn der Filialleiter eigene Entscheidungen zum Einkauf und zur Preisbildung treffen soll, ist dies praktisch unerlässlich. Für ein zeitgemäßes Management anhand von Unternehmenskennzahlen gilt das ebenso. Doch auch in anderen Fällen sollte es zum Selbstverständnis eines Filialleiters gehören, den Erfolg „seiner“ Filiale selbst prüfen zu können und dabei nicht auf selektierte Informationen des Inhabers angewiesen zu sein. Daher sollte der Filialleiter umfassenden Zugang zu den betriebswirtschaft­lichen Auswertungen in der Apotheken-EDV haben.

Personalverantwortung

Die laufende Personalorganisation, insbesondere die Erstellung von Dienstplänen, ist eine typische Aufgabe für den Filialleiter. Auch das Recht zur Abmahnung liegt nahe, denn der Filialleiter kann mögliches Fehlverhalten von Mitarbeitern eher beobachten als der Inhaber, der typischerweise in der Hauptapotheke ist. Doch soll der Filialleiter auch Mitarbeiter kündigen dürfen? An der Frage der Personalverantwortung scheiden sich die Geister. Ist dies allein Sache des Inhabers oder soll sogar regelmäßig über alle Einstellungen und Kündigungen vom Filialleiter entschieden werden?

Letztlich hängen alle diese Zuordnungen vom Führungsstil des Inhabers ab. Es gibt daher kein Patentrezept. Doch für alle Mitglieder des Teams ist entscheidend zu wissen, wer für was zuständig und verantwortlich ist. Fragen, die zumindest in kleinen Einzelapotheken gar nicht auftreten können, sind für Filialverbünde daher wichtige Themen. Auch dies macht deutlich, dass Filialen nicht nur zu kostensparenden Synergien führen, sondern auch zusätzliche Aufgaben und damit Kosten verursachen. Das gilt besonders in der Anfangsphase, wenn erstmals eine Filiale betrieben oder eine neue Filiale in einen Verbund aufgenommen wird.

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Mehr Verantwortung, höheres Gehalt? Die besondere Honorierung der Filialleiter kann an (beidseitig) gewünschte Ergebnisse geknüpft sein.

Honorierung für Filialleiter

Zu den typischen Fragen des Filialbetriebs gehört das Gehalt für den Filialapothekenleiter. Diese pharmazeutische Berufsgruppe bietet eine zuvor unbekannte Karrieremöglichkeit. So können Apotheker Führungsverantwortung übernehmen, ohne als Unternehmer mit ihrem Vermögen zu haften. Mehr Verantwortung sollte wie sonst üblich auch zu einem höheren Gehalt führen. Häufig wird ein Tarifgehalt plus ein Aufschlag von 20 bis 40 Prozent genannt. In Regionen mit großem Fachkräftemangel sind die Aufschläge eher höher, in Apotheken mit attraktiven Fortbildungsangeboten, hohen Sozialleistungen oder anderen Vorzügen können sie geringer sein. Hinzu kommt eine Honorierung für Notdienste, die von der Notdienstpauschale abgeleitet werden kann. Diese Komponenten stellen die Entlohnung für die geschuldete Arbeitsleistung dar. Mit weiteren Komponenten können zusätzliche Leistungen honoriert werden. Prozentuale Beteiligungen am Gewinn oder Umsatz erscheinen als einfache Gestaltungsmöglichkeiten, haben aber viele Nachteile. Denn der Gewinn wird typischerweise erst mit einem Jahr Verspätung ermittelt und hängt von steuerlichen Gestaltungen ab. Der Umsatz sagt wegen der Hochpreiser immer weniger über die erbrachte Leistung aus. Gerade wenn mit einer zusätzlichen Honorarkomponente besondere Leistungen honoriert werden sollen, liegt es nahe, die Honorierung an die gewünschten Ergebnisse zu knüpfen. Das führt zu Prämien für das Erreichen definierter Unternehmensziele, die dem Inhaber besonders wichtig sind. Neben Umsatzerhöhungen können das beispielsweise die Gewinnung von Heimen für die Belieferung oder die Etablierung neuer Dienstleistungen sein.

Fazit

Die Umwandlung von Einzelapotheken in Filialapotheken reduziert die Zahl selbstständiger Apotheker, die mit ihrer Persönlichkeit ihre Apotheken prägen. Doch kommen durch die Filialen Gestaltungsmöglichkeiten hinzu, die es zuvor nicht gab. Dies macht die Apothekenlandschaft wiederum vielfältiger. Die Tätigkeit als Filialapothekenleiter bietet eine Aufstiegsmöglichkeit, die zuvor nur in großen Unternehmen bestand. So können mehr Apotheker für die Apotheken gewonnen werden, was angesichts des Apothekermangels zunehmend wichtiger werden dürfte. Außerdem profitieren Patienten und Apothekenverkäufer beim Generationenwechsel. Denn manche Apotheke, für die nur schwer ein Nachfolger zu finden ist, kann als Filiale weiter bestehen und so das Netz für die wohnortnahe Versorgung dicht genug knüpfen. Damit bieten Filialapotheken gute Chancen für die Zukunft. |

Autor

Dr. Thomas Müller-Bohn
Apotheker und Dipl-Kaufmann, Auswärtiges Mitglied der Redaktion der Deutschen Apotheker Zeitung

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