Kongresse

Sand im Getriebe

46. Schwarzwälder Frühjahrskongress zu Volkskrankheiten des Bewegungsapparates

VILLINGEN (pj) | Im Mittelpunkt des diesjährigen Frühjahrskongresses der Landesapothekerkammer Baden-Württemberg standen häufige Erkrankungen des Bewegungsapparates. Für viele Betroffene ist die öffentliche Apotheke die erste Anlaufstelle, um Rat und medikamentöse Unterstützung zu erhalten. Kenntnisse des Apothekenpersonals über Krankheitsentstehung, Prävention und Therapie sind daher Voraussetzungen für eine sinnvolle Beratung. Das Interesse an diesem Thema war groß, denn 700 Teilnehmer besuchten die ausgebuchte Fortbildung, die am 17. und 18. März in der Villinger Neuen Tonhalle stattfand.

Rückenschmerzen – meistens harmlos

Im Einführungsvortrag stellte Dr. Jan Kühle, Freiburg, die häufigsten Erkrankungen des Bewegungsapparates vor: Kreuzschmerzen, Osteoporose und Arthrose. Wie Prof. Annette Becker, Marburg, anschließend erläuterte, liegen den meisten Rückenschmerzen keine organischen Ursachen zugrunde. Diese unspezifischen Kreuzschmerzen klingen spätestens nach sechs Wochen ab; ihre Abklärung mithilfe bildgebender Verfahren ist überflüssig. Allerdings sollten Faktoren erkannt werden, die auf eine mögliche Chronifizierung hinweisen. Darunter fallen Arbeitsplatz-bezogene Risikofaktoren und psychosoziale Komponenten wie etwa Depressivität, Disstress, schmerzbezogene Kognitionen und Neigung zur Somatisierung, aber auch Bewegungsmangel, Adipositas und Haltungsschäden.

„Rückenschmerzen sind wie Schnupfen und gehören zum Leben dazu.“

Prof. Annette Becker

Die Therapie akuter Kreuzschmerzen zielt auf Schmerzfreiheit (= Heilung) und Verhinderung eines Rezidivs. Die Auswahl geeigneter medikamentöser Maßnahmen sollte gemäß der Nationalen VersorgungsLeitlinie (NVL) Kreuzschmerz erfolgen.

Liegt ein chronischer Rückenschmerz vor, sollte die Therapie multimodal ­orientiert sein und sich an ein bio-­psycho-soziales Krankheitsmodell anlehnen. Dieses berücksichtigt neben den Symptomen die Lebenssituation und das soziale Umfeld des Patienten. Die Behandlung zielt auf Schmerz­linderung, Verbesserung der Lebensqualität und soziale Integration des Patienten.

Foto: DAZ/pj
Ein erfolgreiches Team: die bisherigen Kongressleiter Dr. Peter Kaiser, Dr. Matthias Fellhauer und Dr. Hans-Ulrich Plener (v. l.).

Sport ist Mord?

Ist der Sportler von heute der Gelenkpatient von morgen? Diese Frage erörterte Prof. Dr. Gerd-Peter Brüggemann, Köln. Extreme Sportarten, lange Aktivitätszeiten und hohe Bewegungs­geschwindigkeiten führen zu akuter Schädigung oder Verschleißerscheinungen der Gelenke. Moderate Aktivitäten wie Laufen, Springen, Heben und Werfen bedeuten hingegen keine Grenzbelastungen und erhöhen die Progression einer Osteoarthritis nicht.

„Der Jogger von heute ist

nicht der Gelenkpatient von morgen.“

Prof. Dr. Gerd-Peter Brüggemann

Erhöhte mechanische Belastungen durch körperliche Aktivität verändern biologische Strukturen an Knorpeln, Sehnen und Knochen. Daraus resultieren in der Regel keine degenerativen Prozesse, wenn dem Gewebe genügend Zeit für eine funktionelle und morphologische Anpassung eingeräumt wird. Fazit:

  • Belastung ist gut,
  • zu viel Belastung ist schädlich,
  • Anpassung braucht Zeit.

Ibu & Co.

In einem praxisbezogenen Vortrag zeigte Dr. Christian Ude, Darmstadt, auf, dass bei der Auswahl geeigneter Schmerzmittel sowohl Evidenz-basierte Daten zu den erwünschten und unerwünschten Wirkungen einschließlich Interaktionen als auch Patienten-individuelle Parameter berücksichtigt werden müssen. Bei der täglichen Arbeit in der Offizin ist u. a. zu beachten:

  • Für kardiovaskuläre Risikopatienten ist Naproxen das Mittel der Wahl.
  • Falls ASS 100 und Ibuprofen eingenommen werden, sind Abfolge und Zeitabstände einzuhalten (zuerst ASS, 30 Minuten später Ibuprofen).
  • Ist ein Magenschutz (durch PPI) erforderlich, sollte dieser frühzeitig erfolgen.
  • Bei Topika ist deren Grundlage für die Resorption des Wirkstoffs von entscheidender Bedeutung.
  • Die Wirksamkeit von Externa ist bei akuten Beschwerden besser belegt als bei chronischer Anwendung.
  • Die Bewertungen klassischer Analgetika finden sich in entsprechenden Cochrane-Reviews.
  • Zur Beurteilung von Phytopharmaka lohnt sich ein Blick in die HMPC-Monografien (Committee on Herbal Medicinal Products der EMA).

Ersatzteillager und Montage – was darf der Patient erwarten?

Die häufigsten „Ersatzteile“ für geschädigte Gelenke sind Endoprothesen für die Hüfte und das Kniegelenk – in Deutschland werden jährlich über 400.000 solcher Implantate eingesetzt. Wie Dipl.-Ing. Thomas Güttler, Tuttlingen, darlegte, werden dabei bevorzugt gering invasive Operationstechniken angewandt. Sie verursachen nur geringe Muskel- und Gewebeschäden und ermöglichen eine rasche Mobilisierung des Patienten. Heutige Implantatsortimente erlauben eine in­dividuelle Zusammenstellung der benötigten Komponenten. Neben der anatomisch richtigen Positionierung der Implantate durch den Operateur ist das Material von Prothesenkopf und -pfanne entscheidend für eine lange Verweilzeit des Implantats. Spezielle Kunststoffe und Keramiken sowie die Passgenauigkeit von Kopf und Pfanne erhöhen die Gelenkstabilität und verringern den Verschleiß.

Auch die Schulung des Patienten zum Verhalten mit dem neuen Gelenk ist für den Therapieerfolg entscheidend. So sind stark gelenkbelastende Sportarten wie Fußball, Marathon, Squash, Skate- und Snowboarden nicht zu empfehlen; geeignet sind hingegen Schwimmen, Radfahren, Golfen, Wandern, Nordic Walking, Laufen und Skifahren.

Resilienz oder: was Menschen stark macht

Im Abschlussvortrag stellte Dr. Donya Gilan, Mainz, die Arbeitsgebiete der Resilienzforschung vor. Unter Resilienz versteht man die seelische Widerstandskraft eines Individuums, die hilft, Herausforderungen, Belastungen und schwierige Situationen (kurz: Stress) zu meistern und dabei mental gesund zu bleiben. Der Verlust dieser Fähigkeit kann zu psychischen Störungen und Stress-assoziierten Erkrankungen führen.

Ob ein Mensch resilient ist, hängt von vielen Faktoren ab, u. a. davon, welche neurobiologischen, psychischen und sozialen Ressourcen er besitzt. Einige dieser Resilienzfaktoren, z. B. Optimismus, Selbstwirksamkeit, Emotions­regulation, Netzwerkorientierung, Lösungsorientierung, Zukunftsplanung und Akzeptanz, können gestärkt und trainiert werden. Dadurch kann die Wahrscheinlichkeit für ein „Burnout“ oder eine psychische Erkrankung vermindert werden.

Wechsel der wissenschaftlichen Kongressleitung

Dr. Matthias Fellhauer, Leiter der Krankenhausapotheke des Schwarzwald-Baar Klinikums in Villingen-Schwenningen, hat zusammen mit Dr. Peter Kaiser (Stuttgart) und Dr. Hans-Ulrich Plener (Tuttlingen) mehr als zwei Dekaden die wissenschaftliche Leitung des Frühjahrs­kongresses innegehabt und die Vielseitigkeit und Qualität der Veranstaltungen geprägt. Für dieses Engagement erhielt Fellhauer die Ehrennadel der Landesapothekerkammer Baden-Württemberg. Diese überreicht der Vorstand der LAK Persönlichkeiten, die sich um die Kammer, den Berufsstand oder den freien Heilberuf besondere Verdienste erworben haben.

Die wissenschaftliche Kongressleitung liegt künftig in den Händen von

  • Dr. Carolin Schuhmacher, Villingen‑Schwenningen,
  • Almuth Buchgeister-Volk, Bad Säckingen, und
  • Prof. Dr. Martin Hug, Freiburg. |

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1 Kommentar

Rückenbeschwerden können viele Ursachen haben

von Felix Lang am 16.08.2019 um 12:58 Uhr

Danke für den Beitrag.

Was ich schön finde ist, dass auch mal mit einigen Mythen aufgeräumt wird, wie dem, dass "Sport Mord ist" und ersetzt wird mit Aussagen, wie: „Der Jogger von heute ist nicht der Gelenkpatient von morgen.“
oft werden zukünftige Gelenkprobleme eher zu Ausreden dafür nämlich keinen Sport zu machen. Natürlich sollte man darauf achten, dass man sich auch nicht zu viel belastet, dann wird es nämlich auch wieder schädlich.
Auch interessant fand ich die Aussage: „Rückenschmerzen sind wie Schnupfen und gehören zum Leben dazu.“
Ich persönlich habe schon öfter in meinem Leben diesen "Schnupfen" gehabt. bei mir waren die Rückenschmerzen auch noch nie so schlimm, dass ich eine OP in Betracht ziehen musste. Wie bei dem Schnupfen aber gibt es verschiedenes andere Therapiemöglichkeiten. Ein Unterschied ist jedoch, dass man sich bewegen sollte. Ich mache schon seit sieben Monaten gezielte Rückenübungen ( https://www.youtube.com/watch?v=_ITSokk8le4 ), weshalb ich heute eine recht starke Rückenmuskulatur habe. Ich ahbe seit langem Wirbelsäulen-Syndrome mit geschädigten peripheren Nerven. Ich nehme eine Nährstoffkombination von Uridinmonophosphat (UMP), Vitamin B12 und Folsäure ( https://www.doloctan.de/ ). Rückenbeschwerden können viele Ursachen haben. So können zum Beispiel Fehlhaltungen, Verspannungen und geschädigte Nerven die Schmerzen auslösen.

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