Interpharm 2018 - Alleskönner Statine

Das Potenzial der Statine

Optimal eingesetzt könnten sie noch mehr

cst | Statine: Als Lipid-Senker mit hervorragender Evidenzlage sind die HMG-CoA-Reduktase-Hemmer aus der Therapie der Hypercholesterolämie nicht mehr wegzudenken. Doch viele Patienten erreichen ihre individuellen Zielwerte nicht. Ein Grund liegt in der starken Verunsicherung der Patienten aufgrund von Medienberichten. Doch auch viele Ärzte scheinen die Notwendigkeit einer adäquaten Einstellung auf die leichte Schulter zu nehmen. Dabei können durch eine optimale und leitliniengerechte Statin-Therapie – nicht zuletzt durch das interprofessionelle Medikationsmanagement – das kardiovaskuläre Risiko und die Sterblichkeit von Risikopatienten erheblich reduziert werden.

Die Therapie der Hypercholesterolämie wird nicht nur in Fachkreisen viel diskutiert. Auch die Laienmedien – darunter so seriöse Sender wie Arte – thematisieren die Statin-Therapie und lassen diese nicht gerade im besten Licht erscheinen. Sogar der Begriff der „Chole­sterol-Lüge“ steht im Raum. Ist eine Lipid-Senkung also sinnlos? Ganz im Gegenteil, wie Prof. Dr. Dietmar Trenk, Bad Krozingen, in seinem Vortrag detailliert darstellte. In keinem anderen Bereich der Pharmazie sei die Evidenz so hoch. Ein kausaler Zusammenhang zwischen erhöhten LDL-Cholesterol-Spiegeln und den negativen Auswirkungen auf das Herz-Kreislauf-System ist eindeutig belegt. Und auch der Nutzen einer Therapie mit den Hemmern der 3-Hydroxy-3-Methylglutaryl-Coenzym-A(HMG-CoA)-Reduktase steht außer Frage, wie die Landmark-Studie 4S zeigte: Unter Simvastatin konnte die Gesamtsterblichkeit, „der wohl härteste Endpunkt, den man sich vorstellen kann“, im Vergleich zu Placebo signi­fikant reduziert werden. Weitere Statin-Studien mit insgesamt mehreren Hunderttausend Patienten erhärteten dieses Ergebnis. Eine Metaanalyse dieser Studien ergab, dass eine Senkung des LDL-Cholesterols um 1 mmol/l (38,7 mg/dl) über fünf Jahre mit einer 12%igen proportionalen Risikoreduktion der Gesamtsterblichkeit und einem um 21% geringeren Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse korreliert.

Foto: DAZ/Alex Schelbert
Trotz überwältigender Evidenz für den Nutzen einer Statin-Therapie werden die individuellen Zielwerte für LDL-Cholesterol erschreckend selten erreicht, erklärte Prof. Dr. Dietmar Trenk.

Risiko individuell abschätzen

Dass zu hohe Cholesterol-Spiegel gesenkt werden müssen, ist folglich unstrittig. Doch welche Patienten sollten behandelt werden und welche Zielwerte sind die richtigen? Verschiedene Leitlinien kommen hier zu unterschiedlichen Empfehlungen. Fest steht jedoch, dass sich der Zielwert am individuellen Risiko orientieren muss. Die Leitlinie der europäischen Gesellschaft für Kardiologie empfiehlt bei Patienten mit hohem kardiovaskulärem Risiko einen LDL-Cholesterol-Wert von < 100 mg/dl, ist das Risiko sehr hoch (z. B. bei klinisch manifester koronarer Herzerkrankung oder Diabetes), gilt ein Wert von < 70 mg/dl als erstrebenswert. Eine Pharmakotherapie ist allerdings nicht in jedem Fall das Mittel der Wahl. Bei Patienten mit geringerem Risiko reicht oft eine Änderung der Lebensgewohnheiten (z. B. das Rauchen aufzugeben). Ist jedoch eine medikamentöse Therapiestrategie indiziert, führt – außer bei Unverträglichkeiten und Kontraindikationen – erst einmal kein Weg an den Statinen vorbei. Schließlich werden diese in den Leitlinien mit dem höchstmöglichen Evidenzgrad 1A bewertet.

Viele Patienten untertherapiert

Die klaren Empfehlungen der Leitlinien spiegeln sich in der Versorgungs­realität jedoch nicht wider. In Deutschland erreicht nur etwa jeder zehnte Hochrisikopatient einen Zielwert von < 70 mg/dl. Dennoch sind rund 60% der Hausärzte mit den Werten ihrer Patienten zufrieden. „Diese Zahlen machen nachdenklich“, meint Trenk. Als mögliche Ursachen für den geringen Therapieerfolg nennt er die Auswahl und die Dosierung der Statine. So reiche bei Hochrisikopatienten die Wirksamkeit von Simvastatin nicht mehr aus. Atorvastatin und Rosuvastatin sei hier der Vorzug zu geben – und zwar in hohen Dosierungen. Im Apothekenalltag sehe man solche Verordnungen allerdings eher selten. Doch auch auf Seiten der Patienten liegt einiges im Argen: Die Adhärenz ist schlecht. Bedenken hinsichtlich der Verträglichkeit sind hier ein großes Problem. Vor allem aufgrund von Muskelbeschwerden, deren Häufigkeit in Anwendungsbeobachtungen in Deutschland etwa zehnmal so hoch war wie in klinischen Studien. Hier spielt sicherlich ein Nocebo-Effekt aufgrund negativer Erwartungshaltungen eine Rolle. Ein Risiko, das ebenfalls Sorgen bereitet, ist die erhöhte Wahrscheinlichkeit einer Diabetesmanifestation unter Statinen. Ob eine Risikoreduktion von 26% für einen Herzinfarkt eine Risikoerhöhung von 9% für eine Diabetesdiagnose rechtfertigt, muss sicherlich abgewogen werden.

Tab.: Statine, äquivalente Dosierungen (in mg) und Interaktionsübersicht[Quelle: Rose O. Fettstoffwechselstörungen – Das persönliche Risiko zählt. DAZ 2013;2234 – 2240]
% LDL-Reduktion
(ca.)
Atorvastatin
Fluvastatin
Lovastatin
Pravastatin
Rosuvastatin
Simvastatin
10 – 20
20
10
10
5
20 – 30
40
20
20
10
30 – 40
10
80
40
40
5
20
40 – 45
20
80
80
5 – 10
40
46 – 50
40
10 – 20
80*
50 – 55
80
20
56 – 60
40
CYP-450-Meta­bolisierung
3A4
2C9
3A4
2C9, 2C19(gering)
3A4
Nahrungseinfluss
↓13%
↓15% –↑25%
↑50%
↓30%
↓20%
kein Einfluss

* 80-mg-Dosierung wegen erhöhtem Rhabdomyolyse-Risiko nicht länger empfohlen

Eine Frage der Kosten

Wenn Statine nicht ausreichend wirken, bietet die Kombination mit Ezetimib eine additiv wirksame Möglichkeit der Therapieeskalation. Mit Ablauf des Patents dürfte diese in Kürze aus Kostensicht noch deutlich attraktiver werden. Ganz neue Perspektiven bieten Inhibitoren der Proprotein­konvertase Subtilisin/Kexin Typ 9 (PCSK9). Diese sind zwar „unglaublich wirksam, aber auch unglaublich teuer“, so Trenk. Somit stellen sie sicherlich keine Behandlungsoption für jeden Patienten mit erhöhten LDL-Cholesterol-Spiegeln dar. So sieht das auch der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA), der eine Verordnung nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen als erstattungsfähig ansieht.

Gemeinsam mehr erreichen

Foto: DAZ/Alex Schelbert
Ein gutes Team! Dass die Zusammenarbeit von Ärzten und Apothekern nicht nur auf der Interpharm-Bühne gut ankommt, demonstrierten Apothekerin Katharina Richling und Kardiologe Dr. med. Christian Fechtrup anhand von Fallbeispielen.

Bei multimorbiden Patienten eine optimale medikamentöse Therapie zu finden, ist kein leichtes Unterfangen. Dass die Patienten durch die enge Zusammenarbeit von Apothekern und Ärzten aber sehr profitieren können, zeigten Apothekerin Katharina Richling, Iserlohn, und Kardiologe Dr. med. Christian Fechtrup, Münster, eindrücklich anhand von Fallbeispielen. Ein wichtiger Punkt: Statine sind nicht alle gleich! Die Vertreter der Substanzklasse unterscheiden sich nicht nur im Hinblick auf die Wirksamkeit, sondern auch auf die Verträglichkeit. So bereiten hydrophilere Substanzen wie Rosuvastatin im Gegensatz zu lipophileren Wirkstoffen wie Simvastatin seltener muskuläre Beschwerden. Klagt ein Patient über Myopathien, kann daher ein Therapieversuch mit Rosuvastatin unternommen werden. Im Hinblick auf den optimalen Einnahmezeitpunkt gibt es ebenfalls einiges zu beachten: Beispielsweise wird Lovastatin bei Einnahme zum Essen um 50% besser resorbiert. Auch das unterschiedliche Interaktionspotenzial der einzelnen Statine gilt es zu berücksichtigen. Hier kann der Multi Drug Drug Interactions (MDDI) Calculator der Scholz-­Datenbank weiterhelfen. Daraus wird beispielsweise ersichtlich, dass der Simvastatin-Plasmaspiegel bei gleichzeitiger Gabe von Verapamil aufgrund der CYP3A4-Hemmung um den Faktor 3,36 ansteigen kann. In der Kombination sollte daher eine Tageshöchst­dosis von 20 mg Simvastatin nicht überschritten werden.

Nicht immer unverzichtbar

Im Fall eines Patienten mit extrem hohen Cholesterol-Werten, der initial gut auf eine Statin-Therapie anspricht, dessen LDL-Cholesterol-Werte sich im Laufe der Zeit dann aber auf schein­bar unerklärliche Weise wieder verschlechtern, muss die Compliance hinterfragt werden. Um Patienten auf dieses sensible Thema einfühlsam anzusprechen, hatte Richling praktische Ratschläge parat: „Sie nehmen sehr viele Arzneimittel ein. Da würde ich schon mal etwas vergessen. Geht Ihnen das auch so?“ Doch selbst wenn der Patient zugibt, dass er keine Statine mehr nehmen möchte, da er Bedenken wegen der Nebenwirkungen hat, macht ihn das nicht automatisch zu einem Kandidaten für eine Therapie mit einem PCSK9-Inhibitor – auch wenn solch eine Behandlung verlockend wäre. Die Statine einfach wegzulassen, ist in so einem Fall allerdings auch keine gute Idee. Anders als bei der hochbetagten multimorbiden Patientin mit Polymedikation. Da die Evidenz für den Nutzen einer Statin-Therapie bei älteren Patienten begrenzt ist, kann in Fällen, in denen ein Deprescribing an erster Stelle steht, nach Meinung von Dr. Fechtrup unter Umständen auf ein Statin verzichtet werden. |

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