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Herz-Kreislauf: Organsystem mit vielen tödlichen Risiken

7. Fortbildungskongress der Apothekerkammer Niedersachsen

BAD ZWISCHENAHN (tmb) | Bei der ­Eröffnung des zweitägigen Fortbildungskongresses der Apothekerkammer Niedersachsen am 14. April in Bad Zwischenahn konstatierte Kammerpräsidentin Magdalene Linz einen ungebrochenen Fort­bildungswillen der Apotheker. Der Kongress war mit etwas über 320 Teilnehmern aufgrund der Saalkapazität ausgebucht, sodass die Kammer erstmals Absagen erteilen musste. Das Konzept und der Tagungsstandort sind offenbar zu einer Erfolgsgeschichte geworden.

In Bad Zwischenahn wurde ein qualitativ hochwertiges Vortragsprogramm über Herz-Kreislauf-Erkrankungen geboten. Damit ging es um dasjenige Organsystem, das für die meisten Todesfälle verantwortlich ist. Als Moderatorinnen führten wieder Anke Böhmen und Martina Dreeke-Ehrlich aus dem Fortbildungsausschuss der Kammer durch das Programm.

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Kammerpräsidentin Magdalene Linz (rechts) mit den beiden Organisatorinnen und Moderatorinnen Anke Böhmen (links) und Martina Dreeke-Ehrlich.

Mehr Tote durch Herzinsuffizienz

Dr. Rames Kussebi, Westerstede, berichtete, dass immer mehr Menschen an Herzinsuffizienz sterben, wahrscheinlich wegen der besseren Detektion und des höheren Anteils älterer Menschen. Die häufigste Ursache für Herzinsuffizienz ist die koronare Herzkrankheit, gefolgt vom lange unbehandelten arteriellen Hypertonus. Als Schweregrade werden weiterhin die vier NYHA-Klassen unterschieden, aus denen auch die Prognose abzuleiten ist. In der Therapie seien Diuretika wichtig, die fast unmittelbar zu einer klinischen Besserung führen. ACE-Hemmer sollten auch bei geringen Symptomen eingesetzt werden, um die Prognose zu verbessern, aber das sei oft schwer zu vermitteln.

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Dr. Rames Kussebi

Kussebi plädierte dafür, die fixe Kombination von Valsartan und Sacubitril (Entresto®) nicht unkritisch bei NYHA II einzusetzen, sondern erst wenn sich der Zustand langsam verschlechtert. Dann sei der Angiotensin-Neprilysin-Inhibitor hoch wirksam. Er dürfe nicht mit weiteren Hemmern des Renin-Angiotensin-Systems kombiniert werden.

Digitalis biete keinen prognostischen Vorteil, könne aber zur Frequenz­kontrolle sinnvoll sein. Über Diabetiker berichtete Kussebi, diese seien mit SGLT2-Inhibitoren oft kardial stabiler. Daher werde sogar diskutiert, ob diese Antidiabetika möglicherweise künftig mit der Indikation Herzinsuffizienz eingesetzt werden könnten.

Dagegen warnte Kussebi vor dem Einsatz von Glitazonen oder von nichtsteroidalen Antirheumatika bei Patienten mit Herzinsuffizienz. Letztere könnten über längere Zeit auch bei niedriger Dosis zur Dekompensation führen, die jedoch reversibel sei. Als Analgetika könnten Metamizol oder Paracetamol verwendet werden.

Vorsicht Wechselwirkungen!

Isabel Waltering, Nottuln, und Dr. Stephan Böhmen, Oldenburg, demonstrierten in einem gemeinsamen Vortrag zu Antikoagulanzien und Thrombozytenaggregationshemmern ein Beispiel für die erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen einer Apothekerin und einem Arzt. Dabei ging es um kombinierte Eingriffe in das Gerinnungssystem, die beim Zusammentreffen mehrerer Krankheiten geboten sein können. Böhmen fragte dazu: „Wie viele Leitlinien überlebt man?“ Die Leitlinien dürften in solchen Fällen nicht isoliert umgesetzt werden, sondern es müssten die speziellen Empfehlungen zu Kombinationen und die jeweilige Nutzen-Risiko-Abwägung beachtet werden. Dies betrifft Kombinationen von ASS mit anderen Thrombozytenaggregationshemmern, die noch gefährlichere Kombination von Thrombozytenaggregationshemmern mit oralen Antikoagulanzien und ganz besonders Dreifach-Kombinationen. Oft seien diese nur kurze Zeit indiziert, beispielsweise für einen Monat nach dem Einsetzen eines Stents im Krankenhaus, und dann sei es ein großes Problem, wenn der weiterbehandelnde Hausarzt vergisst, sie wieder abzusetzen.

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Ideale Zusammenarbeit von Arzt und Apothekerin: Dr. Stephan Böhmen und Isabel Waltering.

Außerdem müssen Patienten nach der Umstellung auf neue orale Antikoagulanzien informiert werden, dass die INR-Bestimmung dann sinnlos ist. Wenn diese Selbstverständlichkeit übersehen wird, können Selbstmessungen zu lebensbedrohlichen Fehlinterpretationen führen. Zudem mahnten Böhmen und Waltering, unstill­bares Nasenbluten bei Patienten mit Gerinnungshemmern als Warnzeichen für eine lebensbedrohliche Entgleisung des Gerinnungssystems einzustufen. Dies sei ein Fall für die Not­aufnahme.

Dr. Nina Griese-Mammen, Berlin, ­berichtete über Wechselwirkungen und betonte dabei: „Risiko ist relativ.“ Das Verhältnis von Nutzen und Risiko müsse auch bei der Kombination von Arzneimitteln individuell bewertet werden. Bei der Umsetzung der nötigen Maßnahmen könnten auch Apotheker helfen. Bei der Neuverordnung von Aldosteronantagonisten für Patienten, die bereits Arzneimittel mit Wirkung auf den Kaliumspiegel haben, sollte beispielsweise gefragt werden, ob bald ein Kontrolltermin vereinbart ist. Für Daten zur QT-Zeit-Verlängerung empfahl Griese-Mammen die Internetseite crediblemeds.org. Außerdem werden Punktesysteme entwickelt, um die Effekte von Arzneimittelkombinationen und anderen Risikofaktoren auf die QT-Zeit abzuschätzen.

LDL-Zielwerte beachten

Prof. Dr. Dietmar Trenk, Bad Krozingen, betonte den nachgewiesenen Zusammenhang zwischen LDL-Werten und der Häufigkeit kardiovaskulärer Ereignisse. Doch in der Diskussion wurde Enttäuschung darüber geäußert, dass sogar mit massiven LDL-Senkungen die Ereignishäufigkeit nur relativ wenig gesenkt werden könne. Trenk beklagte, dass viele Patienten die in Leitlinien vorgesehenen Zielwerte auch in der Sekundärprävention nicht erreichen, und nannte als Gründe, dass in Deutschland Statine meist zu niedrig dosiert werden und die Adhärenz schlecht sei. Außerdem werden die hoch wirksamen Statine Atorvastatin und Rosuvastatin zu wenig eingesetzt. Bei Ezetimib konkurrieren zwei Sichtweisen. „Puristen“ verordnen es erst, wenn die maximale Statindosis erreicht ist. Andere Ärzte setzen dagegen schon früher auf die Synergien. Trenk beschrieb die PCSK-9-Inhibitoren wie Evolucumab (Repatha®) als überzeugendes Therapiekonzept, das jedoch nur für Patienten mit besonderem Risiko finanzierbar sei. Er betonte, dass es offenbar keinen notwendigen LDL-Mindestwert gebe.

Blutdrucksenkung individuell angehen

Beim Blutdruck gibt es einen Optimalwert, der jedoch individuell sehr unterschiedlich sein kann, erklärte Prof. Dr. Joachim Schrader, Cloppenburg. In seinem kurzweiligen, mit trockenem Humor gewürzten Vortrag betonte er die enorme Bedeutung der Hypertonie als Ursache für Schlaganfälle, wandte sich aber kritisch ­gegen die jüngste Änderung der US-amerikanischen Leitlinien. Zur gleichen Zeit habe eine schwedische Metaanalyse gezeigt, dass bei Patienten mit systolischem Blutdruck unter 140 mm Hg eine Blutdrucksenkung die Mortalität nicht verringere. Anstatt mit der amerikanischen Leitlinie immer mehr Menschen mit geringem Risiko als behandlungsbedürftig einzustufen, sollten besser die Patienten mit höherem Risiko angemessen eingestellt werden, folgerte Schrader. Die Indikation solle möglichst nicht aus einer einzelnen Messung abgeleitet werden.

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Prof. Dr. Joachim Schrader

Schrader empfahl, durch geschickte Arzneimittelkombination und -dosierung eine gut verträgliche und dann auch akzeptierte Therapie individuell zu ermitteln. Bei Änderungen sollte die alte Dosis wöchentlich halbiert und das neue Arzneimittel zunächst mit der halben Zieldosis eingesetzt werden. Der Erfolg neu eingesetzter Arzneimittel sei erst nach sechs bis zwölf Wochen zu beurteilen, ­besonders wenn sie auf das Renin-Angiotensin-System wirken. Die Dosis von Diuretika könne langfristig meist deutlich reduziert werden, aber dies werde oft übersehen, erklärte Schrader.



Dr. Hellmuth-Häussermann-Preis für Annette Dunin von Przychowski und Matthew Cranitch

Wie stets beim Zwischenahner Fortbildungskongress wurde dort auch diesmal der Preis der Dr. Hellmuth-Häussermann-Stiftung verliehen. Die Stiftung erinnert an den Namensgeber, der 1962 die Fortbildung für Apotheker in Niedersachsen begründet hatte. Seit 1979 fördert die Stiftung die wissenschaftliche Arbeit des pharmazeutischen Nachwuchses. Bei der Preisverleihung berichtete Dr. Lukas Kaminski als Vorstandsmitglied der Stiftung, dass sich diesmal alle eingereichten Arbeiten auf die Aufgabe zur Medikationsanalyse bezogen haben. Den ersten Preis erhielten Annette Dunin von Przychowski und Matthew Cranitch, Pharmazeut im Praktikum, die in der Quartier-Apotheke Nollendorfplatz, Berlin, die Arbeit „Medikationsanalyse – Optimierung der Arzneimitteltherapiesicherheit“ angefertigt hatten. Von Przychowski ist schon lange vielfältig berufspolitisch tätig, zurzeit als Beauftragte des Vorstandes der Apothekerkammer Berlin für das Projekt „Pharmazie schafft Arbeitsplätze“.

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Annette Dunin von Przychowski erhielt den Dr. Hellmuth-Häussermann-Preis aus den Händen von Dr. Lukas Kaminski.

In ihrer Arbeit haben die Preisträger die Begehung eines Pflegeheims und die Medikationsanalyse von zwei Patienten beschrieben. Dabei ergaben sich arzneimittelbezogene Probleme, deren Lösungen verallgemeinert werden können. Diese betreffen Patienten mit Dysphagie, die Nüchterneinnahme von Arzneimitteln und den Umgang des Pflegepersonals mit zu mörsernden Arzneiformen. Dabei sei erst durch die Intervention der Apotheke ein Bewusstsein für die Probleme und ihre Folgen geschaffen worden.

Weiteres Programm

Dr. Jochen Muke, Oldenburg, beschrieb die KHK als nicht heilbare chronische Erkrankung. Die Prognose sei abhängig von der leitliniengerechten Beeinflussung der Risikofaktoren. Daraus folgerte Muke: „Die KHK ist eine gesellschaftspolitische Heraus­forderung.“ Verbote für Rauchen und Tabakwerbung sollten konsequent umgesetzt werden, so Muke.

Dr. Kay Kronberg, Oldenburg, berichtete über eine seltenere Erkrankung, die pulmonale Hypertonie. Diese ist die ursprünglich angestrebte Indikation der PDE5-Inhibitoren, die dort Mittel der ersten Wahl sind.

Für gute Stimmung beim Fortbildungskongress sorgte auch das attraktive Rahmenprogramm. Nach den Vorträgen des ersten Veranstaltungstages wurden Beckenbodentraining, sportliche Übungen zum Thema „Fit im HV“ und ein Ausflug in den „Park der ­Gärten“ angeboten. Dann folgte die rustikale Abendveranstaltung in einer Scheune. |

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