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Feuilleton

Zu Gast in Gärten und Museen

Pharmaziegeschichte wird lebendig

Museales – was hat dieses Wort für einen Klang? Damit verknüpft sich oft etwas Verstaubtes, nicht mehr Zeitgemäßes. Aber ebenso etwas Bewahrenswertes, Seltenes oder gar Einmaliges und Originelles. Dafür kennt man sehr passende Stätten: Museen. | Von Eckart Roloff

Es dürfte kaum ein Gebiet geben, in dem das Bewahrens­werte und aus heutiger Sicht Erstaunliche bis Kuriose so viele Schätze bereithält wie das, womit Apotheker vor Jahrhunderten hantierten. Das können Gefäße aller Art sein, sehr ornamental etwa aus Majolika, Fayence und Porzellan, aber auch aus Presspappe, Holz und Blech. Und natürlich Mörser aus Porzellan, Elfenbein, Eisen oder Bronze. Und deutlich größer: Pressen, Dampfapparate und Pulverisiergeräte.

Ahnen Leute, die nicht vom Fach sind, was da alles im Angebot war und ist? Eher nein – also sollte man es ihnen nahebringen. Schließlich sind Apotheken weit mehr als eine Verkaufsstelle für heilsame Waren. Zudem beruht das Gewerbe nicht allein auf der Pharmazie. Es hat mit zahlreichen anderen Fächern zu tun – siehe Medizin und Chemie, auch Geschichte, Volkskunde und Volkskunst, Architektur (innen wie außen), Betriebs- und Volkswirtschaft, Marketing, das sich stets wandelnde Recht mit der Gesetzeskunde.

Das und mehr macht die Vielfalt und Attraktivität des so traditionsreichen Feldes aus. Kommunikatives und Psychologisches sollte sich dazu mischen, vor allem beim Gespräch mit Kunden, beim Umgang mit Angestellten. Da gibt es unter althergebrachten Symbolen viel zu vermitteln.

Prächtige Symbole, frühe Rezepturen

Apotheken zierten und zieren sich gern mit prächtigen Wahrzeichen aus dem Tierreich, z. B. mit dem Einhorn, mit Bären, Löwen, Hirschen, Adlern, Elefanten und Schwänen, nicht zu vergessen die Äskulapschlange. Und was gab es nicht alles an feinen Waagen und präzisen Gewichten, an Kollektionen en miniature für zu Hause und unterwegs, an Feldkästen in Kriegen, um Verwundete zu versorgen!

Dazu kommen allerlei Etiketten, Plaketten und Medaillen, unübersehbare Mengen an Tuben, Flaschen, Beuteln und Schachteln. Zu den gefragten Objekten gehören ebenso alte Handschriften und Folianten, etwa Nachschlagewerke zur „Pharmacie“, Zeitschriften, Zeichnungen mit Pflanzen sowie Rezepturen, auch ehrwürdige Dokumente, Urkunden und Porträts. Es gibt sogar Briefmarken mit pharmazeutischen Motiven. Und was wären alte Apotheken ohne ihr Mobiliar mit kostbaren Schränken und kunstvollen Intarsien?

Nicht von Zukunftsangst angekränkelt

Wo dergleichen zusammengetragen wurde und noch heute zu bestaunen ist, da erzeugt dies „den Eindruck von einer Lebendigkeit und Aktivität des Berufsstandes, der von Zukunftsangst noch nicht angekränkelt zu sein scheint“, schrieb 1973 der Marburger Pharmaziehistoriker Rudolf Schmitz (1918 – 1992) in seinem „Pharmazeutischen Reiseführer Süddeutschland“. Der Grund: „Trotz hoher kultur- und kunsthistorischer Werte sind viele alte Apotheken keineswegs museal geworden.“

Von A wie Alzey und Aschaffenburg bis W wie Weißenburg und Würzburg führt Schmitz an Stätten, in denen alte Apotheken und Apothekenmuseen zum Besuch bereitstanden. Doch seit den 45 Jahren nach dem Erscheinen seines Büchleins, zu dem auch eine Ausgabe für Norddeutschland hinzukam, hat sich viel geändert – in den historischen Apotheken wie in den Museen.

Das gilt ähnlich für den Band „Alte Apotheken und pharmaziehistorische Sammlungen in Deutschland und Österreich“, der 1992 im Nikolverlag erschien. Das Vorwort hatte Christa Habrich (1940 – 2013) geschrieben, die höchst verdienstvolle Leiterin des Deutschen Medizinhistorischen Museums in Ingolstadt, die zudem von 1971 bis 2010 Inhaberin der Gießener Adler-Apotheke gewesen war.

Aus dem Hortus medicus in die Kräuterkammer

Nach Ingolstadt lockt eine besondere Attraktion (der Eintritt dafür ist sogar frei): ein Arzneipflanzengarten. Er geht auf das Jahr 1723 zurück. Damals schuf die medizinische Fakultät, die diese Stadt bis zum Jahr 1800 hatte, hinter dem Anatomiegebäude einen Hortus medicus. In diesem konnten und sollten sich die Studenten mit Heilpflanzen vertraut machen. Ab 1973 wurde diese Anlage wiederbelebt. 20 Jahre später, so sagt es die Homepage des nun von Marion Ruisinger geleiteten Museums, „entstand ein neues Gartenkonzept, in dem die Tradition der universitären Vergangenheit anklingt, gleichzeitig aber die moderne Systematik den Pflanzen­bestand nach aktuellen medizinisch-pharmazeutischen Erkenntnissen strukturiert“ (www.dmm-ingolstadt.de). Übersichtlich angeordnet hat man ätherische Öle, Alkaloide, Saponine und Schleime ebenso vor sich wie Öle, Bitterstoffe, Gerbstoffe und Glykoside. Es fehlt auch nicht an Arten, die in der Homöopathie und Volksmedizin eine Rolle spielten und spielen. Ein Café lädt ein, die Stimmung des Gartens bei Kaffee und Kuchen zu genießen.

Apotheker- oder Heilkräutergärten gibt es auch andernorts in vielen Größen und mit Besonderheiten (manchmal als Teil größerer botanischer Gärten), beispielsweise zu Gift- und Gewürzpflanzen, so in Wiesbaden, Gütersloh, Neuss, Ulm, Hamburg und Leipzig, aber auch in kleineren Orten wie Bad Marienberg, Celle, Gnoien, Lappersdorf und Weseke.

Früher gehörte dergleichen nicht selten zu Klöstern wie in Seligenstadt und in Lorsch; mit dem Kloster Lorsch ist auch das älteste deutsche Arzneibuch (Lorscher Arzneibuch, um 800) verknüpft. Bekannte Gärten, von Apothekern angelegt, fanden sich dann nach 1500 in Nürnberg, Hannover, Berlin und Halle an der Saale. Da zeigte sich, dass gegen manches Leiden doch ein Kraut gewachsen ist.

Heiraten im Freilichtmuseum

Nun wachsen und gedeihen solche Apothekergärten nicht nur für sich, sondern auch in Freilichtmuseen im Ensemble etwa mit Gasthöfen, Mühlen, Schmieden und anderem Handwerk. So ist es zum Beispiel in Bad Windsheim, wo sich die Kräuterapotheke im Fränkischen Freilandmuseum auf Besucher freut – und das in einem Gasthof zum Hirschen, dessen Fundament im 13. Jahrhundert entstand (www.freilandmuseum.de). Zum Inventar zählen eine reichhaltige Schnuppersammlung, eine Materialkammer mit allerlei Geräten, ein Labor und die Offizin. Übrigens: Hier kann standesamtlich geheiratet werden – man traue sich!

Springen wir in den deutschen Norden, nach Molfsee nahe Kiel. Hinter der „Historischen Apotheke“ im dortigen Freilichtmuseum verbergen sich Schätze einer königlich privilegierten Apotheke von 1873, die zu dänischen Zeiten, d. h. bis 1864, in Lunden an der Nordsee stand (Abb. 1 und 2). Seit 1979 ist er in Molfsee in einem geräumigen Fachwerkhaus samt Offizin, Labor und Stößerkammer anzusehen. Die Führungen werden gern auf die Besucher abgestimmt, auch kleine Gäste sind willkommen (www.freilichtmuseum-sh.de).

Fotos: Markus Wendt
Abb. 1: Die „Histo­rische Apotheke“ im Freilichtmuseum Molfsee (Kiel) ist ein schmucker Fachwerkbau aus dem 19. Jahrhundert.
Abb. 2: Alte Materia medica im Freilichtmuseum Molfsee: Bei „Krebsaugen“ handelt es sich um Kalkkonkremente im Krebs.

Kinderapotheke im Heidelberger Schloss

Eine Kinderapotheke gibt es in der wohl bekanntesten pharmaziehistorischen Sammlung, nämlich im Deutschen Apothekenmuseum, das seit 1957 im Heidelberger Schloss untergebracht ist, nachdem es schon 1937 in München eröffnet worden war (www.deutsches-apotheken-museum.de). Wer mag, fährt von der Heidelberger Altstadt mit der Bergbahn hinauf. Mit dem Schlossticket ist diese Extratour schon bezahlt. In einem kaum genug zu rühmenden Ambiente kann man in zehn Räumen durch 2000 Jahre Pharmaziegeschichte streifen und damit auch durch die Zeiten der Antike, der Magie und Alchemie. Offizinen, Schränke, Vitrinen, Laborgeräte, Öfen, Kannen, Mörser, pflanzliche und tierische Wirkstoffe – alles ist da. Auf Englisch und Deutsch wird viel erläutert. Audioguides liegen bereit, Führungen gibt es in mehreren Sprachen, sogar Workshops zu speziellen Fragen, darunter zum Herstellen von Kosmetika und Tees oder zum Pillendrehen und Destillieren. Für Kinder ist neben „ihrer“ Apotheke u. a. etwas zu Harry Potters Heilmittelkunde und zur Schokoladenkunde im Angebot.

Zwei ganz spezielle Löwen-Apotheken

Da mag diese Frage aufkommen: Wo in Deutschland findet sich die älteste noch bestehende Apotheke? Die Lösung wusste die DAZ Nr. 5 von 2015: Es ist die Trierer Löwen-Apotheke mit der Adresse Hauptmarkt 6 – immer noch am angestammten Platz in einer der ältesten deutschen Städte. Die Inschrift über dem Eingang verweist auf den historischen Superlativ des Hauses. Im Inneren jedoch ist nach einem Umbau alles topmodern (www.loewapo.de).

Am 23. Mai 1241, so schrieb Peter Ditzel in der DAZ, wurde auf deutschem Boden erstmals eine „apoteca“ erwähnt. An diesem Tag nämlich übertrug Fridericus, der Gutsverwalter des Trierer Bischofs, dem Frauenkonvent St. Thomas seine „Apotheke nebst angrenzendem und zugehörigem Haus“. Allerdings muss es sich dabei nicht um ein Geschäft im heutigen Sinn gehandelt haben. „Apoteca“ war damals ein Lagerraum für Vorräte, etwa Heilkräuter, Tees und Wein. Und ein „apotecarius“ arbeitete eher als Lagerverwalter, der sich jedoch gut mit Kräutern und Säften auskannte. Diese Trierer Quadratmeter, so beträchtlich sie auch sind, beherbergen leider kein Museum.

In einer anderen sehr alten Löwen-Apotheke gibt es so etwas – in Naumburg in Sachsen-Anhalt (Abb. 3 und 4). Der Apotheker Andreas Hünerbein hat dafür acht Räume auf drei Stockwerken frei gemacht, höchst stilecht und etwas verwinkelt (www.loewen-apotheke-naumburg.de). Das älteste Stück ist von 1820, eine Rezeptureinrichtung von 1897. Erinnert wird daran, dass diese Firma zu DDR-Zeiten die zentrale Herstellungsapotheke der Kreise Naumburg und Nebra war.

Fotos: Eckart Roloff
Abb. 3 und 4: Löwen-Apotheke in Naumburg. Eine Destillationsanlage und verschiedene Rezepturgeräte sowie eine Sammlung alter Fertigarzneimittel lassen die Pharmazie der Vergangenheit wieder lebendig werden.

Kostenfreies Rezept: 80 Stufen hinauf

In Sachsen-Anhalt steht seit 2010 auch diese Exklusivität: ein Pharmaziemuseum hoch oben in einem Kirchturm, in dem von St. Marien am Marktplatz des Städtchens Harz­gerode; es wird von der dortigen Berg-Apotheke betreut (www.berg-apotheke-harzgerode.de). Wer als Therapeutikum und Fitnesstest 80 Stufen haben will – hier gibt es das ohne Zuzahlung. Dass Kirchen und Heilkunde viel verbindet, ist klar: Schon immer hatten Nonnen und Mönche mit Arzneien zu tun.

In Thüringen zu Olitäten wandern

Gibt es außer dem Prädikat für die älteste Apotheke und das bekannteste Museum noch andere Bestmarken, etwa für die kurioseste Sammlung? Dafür könnten sich mehrere Arrangements bewerben, z. B. das Kräuter- und Olitätenmuseum „Beim Giftmischer“ in Schmiedefeld (www.beim-giftmischer.de). Es liegt im Landkreis Saalfeld-Rudolstadt und ist nicht mit Schmiedefeld am Rennsteig zu verwechseln. Olitäten, das waren früher wohlriechende Salben und Öle oder generell Naturheilmittel. Unter das Volk brachten sie die längst ausgestorbenen „Buckelapotheker“, die von Ort zur Ort zogen.

In Schmiedefeld verrührte ein Oswald Unger, der letzte Thüringer Olitätenhändler, allerlei Tinkturen, Essenzen und Elixiere. Darauf verweist sowohl dieses ungewöhnliche Museum wie auch der 177 Kilometer (!) lange Olitätenwanderweg mit Auskunft zu Arzneipflanzen und manchem Blick auf Kräutergärten, Kräuterfeste und Lehrpfade. Warum ist das hier solch ein Thema? Nun, die Thüringer Glasbläser hatten gut damit zu tun, die Glasgefäße herzustellen, die die Apotheker brauchten.

Vieles lebt von der Familientradition

Apotheken wie auch deren Museen leben oft von familiärer Tradition; das erleichtert das Sammeln und Vererben. Deutlich sichtbar macht das die Melmsche Apotheke in Oerlinghausen bei Bielefeld (www.melmsche-apotheke.de) mit einem Mörser von 1747, alten Geschäfts- und Fachbüchern, einem Briefwechsel mit Leibniz und anderem. Die 300-jäh­rige Geschichte der Familie Wachsmuth-Melm dokumentiert ein 2003 erschienenes Buch.

„Ein aktives Museum ohne Risiken und Nebenwirkungen“ bietet nach eigener Aussage das Schwanen-Apotheken-Museum in Bad Münstereifel mit Regalen von 1806 in sieben Räumen (Abb. 5 und 6). Dazu gehören eine Riech­straße mit über 100 Teedrogen, ein Schubfach „Für Neu­gierige“ und eine imposante Paracelsus-Büste. Der Katalog dazu ist höchst ergiebig.

Fotos: Eckart Roloff
Abb. 5 und 6: Schwanen-Apotheken-Museum in Bad Münstereifel. Der alte Ziehschrank war auf ein sehr viel geringeres Sortiment von Fertigarzneimitteln ausgelegt. Das zeigt sich auch an der Ordnung nach Indikationen statt nach dem Alphabet.

Hier konnte nur von einigen dieser Sammlungen die Rede sein. Insgesamt gibt es in Deutschland 40 Apotheken­museen. Das ahnen selbst Leute vom Fach oft kaum. Ein weiteres baut gegenwärtig der Apotheker Eric Martin in seiner Hubertus-Apotheke in Marktheidenfeld (Unterfranken) auf.

Wer mehr über jene Museen erfahren will, bekommt folgendes Rezept: Eckart Roloff, der Autor dieses Textes, hat gemeinsam mit Karin Henke-Wendt den zweibändigen Museumsführer „Besuchen Sie Ihren Arzt oder Apotheker“ geschrieben. Er stellt neben den Pharmazie- auch alle deutschen Medizinmuseen vor – rund 130 (s. Literaturtipp). |

Literaturtipp

Eckart Roloff, Karin Henke-Wendt
Besuchen Sie Ihren Arzt oder Apotheker – eine Tour durch Deutschlands Museen für Medizin und Pharmazie
S. Hirzel Verlag, Stuttgart 2015

Band 1: Norddeutschland, 266 S., zahlr. Abb. 29,90 Euro
(Bundesländer: Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein)
ISBN 978-3-7776-2510-2

Band 2: Süddeutschland, 258 S., zahlr. Abb. 29,90 Euro
(Bundesländer: Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Thüringen)
ISBN 978-3-7776-2511-9

Band 1 und 2 zusammen: 49,– Euro
ISBN 978-3-7776-2509-6

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