Sportler in der Apotheke

Fantastisch elastisch

Kinesiotaping ist nicht nur bei Fußballspielern angesagt

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Ob Profi-Fußballspieler, Amateursportler oder Patienten mit Gelenkbeschwerden – Kinesiotapes sind aus der Versorgung von Sportlern und Patienten mit orthopädischen Erkrankungen nicht mehr weg­zudenken. Entwickelt wurden die elastischen bunten Klebebänder in den 1970er-Jahren vom japanischen Chiropraktiker Kenzo Kase.

Kinesiologische Tapes sollen die natürlichen Stoffwechselvorgänge des Körpers unterstützen und für ein möglichst langes Anhalten der Effekte einer physiotherapeutischen oder sportärztlichen Behandlung sorgen. Nach der Entwicklung verschiedener Anlagemethoden der Tapes eröffnete Kenzo Kase im Jahr 1980 eine erste Schule, an der das Tapen gelehrt wurde. Neun Jahre später, weit bevor der europäische Markt auf die bunten Klebebänder aufmerksam wurde, waren japanische Sportler wie etwa die Volleyballteams bereits alle mit den modernen Tapes versorgt worden.

Zum weltweiten Durchbruch der Kinesiotapes kam es 2008 anlässlich der olympischen Spiele in Beijing, bei denen der Weltöffentlichkeit die vielseitig einsetzbaren Bänder ins Auge sprangen[1]. Mittlerweile sind die Tapes bei der Versorgung von Sportlern etabliert und dienen als ergänzende Behandlung bei verschiedenen Krankheitsbildern.

Woraus besteht das Tape?

Gleich mehrere Firmen haben den Hype um das Kinesiotape genutzt und eigene Tapes entwickelt, die sich praktisch nur in der Materialverarbeitung unterscheiden. Die Tapes bestehen aus Baumwolle, die längsseitig mit Elastan durchwoben wird. Sie sind elastisch und lassen sich abhängig vom Hersteller auf 130 bis 180% ihrer ursprünglichen Länge dehnen, eine Eigenschaft, die sich je nach gewünschtem Effekt nutzen lässt.

Beim Kleber handelt es sich zumeist um einen Acrylkleber, der wellenförmig auf das Band aufgebracht wurde. Diese Wellenform ist essenziell, um in Kombination mit dem elastischen Zug des Tapes eine Wirkung auf die Faszien des Körpers auszuüben. Die Tapes werden in verschiedenen Farben angeboten, unterscheiden sich dabei aber nicht in ihrer chemischen Zusammensetzung oder im Material. Eine unterschiedliche Wirkweise der Farben wurde bislang nicht wissenschaftlich untersucht. Zwar gilt das Tape als hypo­allergen, doch in der Praxis werden gelegentlich – zum Beispiel bei Patienten mit einer Pflasterallergie – ausgeprägte Hautreaktionen beobachtet. Eine Abklärung der Hautverträglichkeit ist daher vor der Tape-Anlage obligat.

Wirkweise des Kinesiotapes

Man nutzt kinesiologische Tapes zur Reduktion von Schwellungen nach Traumata, zur Stabilisierung von Bändern des muskuloskelettalen Apparats, zur Beeinflussung des Muskel­tonus oder auch zur Haltungskorrektur bei Fehlhaltungen – zum Beispiel bei Menschen, die sehr viel Zeit am Schreibtisch verbringen.

Zwar sind die Kinesiotapes stets gleich, es gibt jedoch verschiedene Anlagetechniken, wodurch möglicherweise unterschiedliche Wirkungen erklärt werden können. Einen wissenschaftlichen Beleg für die generelle klinische Wirksamkeit der Kinesiotapes sind die Verfechter des Tapings aber bislang schuldig geblieben. Sie begründen die Wirkung der elastischen Bänder mit einer Stimulation der Faszien des Körpers. Durch den elastischen Zug des Tapes und die wellenförmige Anordnung des Klebers werde das Hautareal über dem Gewebe stimuliert und die Zirkulation verbessert, so die Hypothese.

Der therapeutische Effekt tritt nicht direkt nach der Anlage ein, sondern protrahiert mit einem Wirkungshöhepunkt nach etwa 72 Stunden. Somit ist aus Sicht der Hersteller das längerfristige Tragen eines Tapes notwendig, damit die Wirkung sich voll entfalten kann.

Anders als beim klassischen Tapen mit nicht elastischen Bändern wird beim Kinesiotape kein Gewebe immobilisiert. Das Verfahren hat nicht zum Ziel, Gewebe zu schützen, sondern soll den Körper beim natürlichen Heilungsverlauf bestmöglich unterstützen.

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Verschiedene Anlagetechniken

Die Basis der verschiedenen Anlagetechniken der Tapes ist fast immer ein sogenannter Anker, ein Tape, das ohne jeglichen Zug auf der Haut befestigt wird. Die Ecken des Tapes werden stets abgerundet, um das Risiko eines ungewollten Ablösens von der Haut zu minimieren. Im Folgenden werden die am häufigsten angewandten Anlagetechniken vorgestellt:

Muskelanlage detonisierend zur Reduktion von Schmerzen ausgelöst durch Verspannungen: Man schneidet das Tape etwas kürzer als den zu tapenden Muskel, alle Ecken werden abgerundet. Das Tape wird direkt auf dem Muskel, von dessen Ansatz zu seinem Ursprung geklebt. Der Muskel wird hierzu im Vorhinein auf Dehnung gebracht. Das Tape wird auf zirka 50% seiner maximalen Dehnfähigkeit gestretcht. Der Anker wird ohne Zug angebracht.

Bänderanlage mittels der „Space Technik“ zur Stabilisierung parietaler Bänder: Das Tape wird etwa auf Länge des Bandes zurechtgeschnitten, das versorgt werden soll, und die Ecken werden abgerundet. Die nicht-klebende Schutzfolie des Tapes wird mittig angerissen und man baut einen maximalen Zug von beiden Seiten auf. Dann platziert man die Mitte des Tapes auf der Mitte des gewünschten Bandes und streicht die beiden Enden des Tapes komplett ohne Zug im Verlauf des Ligaments aus.

Lymphanlage zur Reduktion von Schwellungen: Man schneidet das Tape entsprechend des zu behandelnden Ödems bis zum nächstliegenden, großen Lymphknotengebiet. Dann schneidet man das Tape längs mehrfach (vier- bis sechsmal) bis auf einen zirka 3 cm langen Bereich für den Anker ein. Alle Ecken werden abgerundet. Der Anker wird daraufhin auf dem Lymphknotengebiet (z. B. iliacal) angebracht und jeder einzelne „Arm“ des Tapes in Wellenform zum Ödem hin getaped.

Vor der Anlage des Tapes sollte unbedingt geklärt werden, ob eine Pflaster- oder Acrylallergie vorliegt. Das Tape darf außerdem nicht zu fest gezogen und angebracht werden, da sonst das Risiko von Hautirritationen besteht. Es wird so lange am Körper getragen, bis es von selbst abfällt oder ein Jucken oder sichtbare Rötungen auftreten.

Man darf mit dem Tape aber schwimmen und auch duschen. Nach Abnahme des Tapes sollte das betreffende Hautareal mit einer Creme gepflegt werden.

Ist die Wirksamkeit kinesiologischer Tapes belegt?

Es gibt inzwischen mehrere Studien, die versucht haben, die klinische Wirksamkeit der Kinesiotapes zu belegen. Die Ergebnisse sind jedoch umstritten. So kommen die Autoren eines Reviews der Ergebnisse von zwölf randomisierten kontrollierten Studien zu dem Schluss, dass weder eine Muskel- noch eine Space-Technik-Anlage signifikante Vorteile gegenüber einer Placebo-Anlage oder einer „einfachen“ Physiotherapie haben [2].

Auch die Lymph-Tapes scheinen dem ihnen zugesprochenen Effekt nicht gerecht zu werden [3]. In Studien zu ihrer Wirksamkeit konnte keine Reduktion der Schwellung nach einem Supinationstrauma festgestellt werden [3]. Andere Untersucher bezweifeln generell den Effekt der bunten Tapes, da in den vorliegenden Studien keine signifikanten Unterschiede zu Placebo hinsichtlich des Muskeltonus und beim Bewegungsausmaß der Oberschenkelmuskulatur festzustellen war [4].

Besser wird in einem aktuellen Review das unelastische, klassische Tape bewertet: Bei Läufern mit Knieschmerzen konnte mit dem schwieriger zu handhabenden Tape eine signifikante Veränderung des Laufbildes mit möglicherweise positiven Auswirkungen für die Athleten festgestellt werden [5]. Obwohl somit das Kinesiotape kein evidenzbasiertes Verfahren darstellt, schwören seit Jahren Sportler, Therapeuten und auch Ärzte auf die bunten elastischen Bänder. Das Auftragen der Tapes scheint zumindest zum Selbstvertrauen der Sportler bei körperlicher Aktivität wie auch der Patienten mit orthopädischen Beschwerden beizutragen und ist somit positiv zu bewerten [6].

Klassisches unelastisches Tape

Das unelastische Tape ist in der westlichen Welt schon deutlich länger etabliert als das Kinesiotape. Es wird hauptsächlich zur Restriktion von Bewegungen, zum Beispiel nach Traumata eingesetzt. Anders als beim Kinesio­tape wird in das Klebepflaster kein zusätzliches Elastan gewebt, sodass durch eine präzise Einstellung der Gelenke mit dem Tape nur noch die Bewegungen durchführbar sind, die auch gewünscht sind. So kann praktisch ein Schienen des betroffenen Körperabschnitts erzielen werden, was zum Beispiel nach einer Verletzung eine raschere Wiederaufnahme sportlicher Aktivität erlaubt.

Ein Nachteil der klassischen unelastischen Tapes besteht darin, dass die funktionellen Verbände nicht wasserdicht sind und daher nicht geeignet für längeres Tragen. Außerdem reizen sie die Haut meist mehr als das Kinesio­tape, weshalb häufig noch ein aus Schaumstoff bestehendes Unterzugtape verwendet werden muss. Dies macht den funktionellen Verband in seiner Anwendung deutlich anspruchsvoller und teurer als das Kinesiotape.

Fazit

Trotz wissenschaftlicher Gegenargumente ist das Kinesiotaping längst nicht mehr nur in der Welt der Top-Athleten etabliert. Die elastischen Bänder haben kaum Kontraindikationen und geben vielen Patienten ein Gefühl der verbesserten Stabilität und der Schmerzreduktion. Die verschiedenen, teils komplizierten Anlagetechniken scheinen nur in den Modellen des Kinesiotape-Erfinders Kenzo Kase einen Unterschied zu machen. Eine wirksame Anlage setzt allerdings anatomische Kenntnisse voraus und sollte daher von einem erfahrenen Arzt, Physiotherapeuten oder Trainer durchgeführt werden. |

Literatur

[1] Kinesio – History and Background. https://kinesiotaping.com/about/our-history/, aufgerufen am 25. Mai 2018

[2] Parreira Pdo C et al. Current evidence does not support the use of Kinesio Taping in ­clinical practice: a systematic review. J Physiother 2014;60(1):31–39

[3] Nunes GS et al. Kinesio Taping does not ­decrease swelling in acute, lateral ankle sprain of athletes: a randomised trial. J Physiother 2015;61(1):28–33

[4] Lemos TV et al. Kinesio Taping effects with different directions and tensions on strength and range of movement of the knee: a randomized controlled trial. Braz J Phys Ther 2018;doi:10.1016/j.bjpt.2018.04.001

[5] Pelletier A et al. The effect of patellar taping on lower extremity running kinematics in individuals with patellofemoral pain syndrome. Physiother Theory Pract 2018;30:1-9

[6] Ngo-Tung-Mak P et al. Placebo effect of facilitatory Kinesio tape on muscle activity and muscle strength. Physiother Theory Pract 2018;20:10-16

Autoren

Christian Neuwahl

ist staatlich geprüfter Physiotherapeut mit mehrjähriger Erfahrung im Personal Training und in der Betreuung von Athleten. Er arbeitet als Dozent zum Thema Bewegungserziehung für Physiotherapiestudenten an der Hochschule Fresenius und behandelt in einer Düsseldorfer Praxis unter anderem auch mittels der Kinesiotherapie.

Christine Vetter

hat Biologie und Chemie studiert und arbeitet seit 1982 als Medizinjournalistin.

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