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Zu wenig Ibuprofen
Warum es trotz mehrerer Produktionsstätten zu Lieferengpässen kommt
Seit mehr als 75 Jahren versorgt BASF die Pharmaindustrie weltweit mit generischen Wirkstoffen wie zum Beispiel Ibuprofen.
Die nun ausgefallene Produktionsstätte in den USA gilt als eine der bedeutendsten Anlagen zur weltweiten Deckung des Ibuprofen-Bedarfs. Sie wurde bereits 1992 in Betrieb genommen. Nun ruht die Produktion. Die Anlage kann voraussichtlich erst in Monaten wieder angefahren werden.
Wie es zu den Engpässen kommen konnte
Bereits 1969 wurde Ibuprofen in Großbritannien unter dem Markennamen Brufen in den Markt eingeführt. Und schon seit Jahren steigt der Bedarf an Ibuprofen weltweit, das neben Acetylsalicylsäure und Paracetamol zur Behandlung von leichten bis mittelschweren Schmerzen der unterschiedlichsten Art als Monopräparate oder in Kombinationsprodukten in breiter Anwendung ist und inzwischen eine Spitzenstellung eingenommen hat [1]. So war im Jahr 2016 Ibuprofen der am häufigsten bei Barmer-Ersatzkassen-Versicherten eingesetzte Arzneistoff. Geschätzt werden in Deutschland ca. 27 Millionen Packungen auf Rezept verordnet und 57 Millionen Packungen in der Selbstmedikation verkauft. Die Gründe dafür sind einerseits der steigende Bedarf an Arzneimitteln gegen Schmerzen, Fieber und entzündliche Erkrankungen (z. B. des rheumatischen Formenkreises) sowie in den letzten Jahren die Abkehr von Paracetamol und Acetylsalicylsäure, die nur noch ca. 35 bzw. 7 Prozent Marktanteile haben. Hinzu kommt, dass es neben den klassischen Arzneiformen wie Tabletten, Säften, Salben, Injektionen und Zäpfen mit dem Ibuprofen-Lysinat und dem Natriumsalz weitere Arzneimittel mit einer deutlich schnelleren Resorption und einem damit verbundenen schnelleren Wirkeintritt auf dem Markt gibt, die den Bedarf an Ibuprofen noch weiter steigern. Außerdem gibt es eine ganze Reihe von neueren Kombinationspräparaten, in denen Ibuprofen verarbeitet ist.
Produktion hinkt Nachfrage hinterher
So wurde auch die Produktion gesteigert, allerdings kam schon im letzten Jahr die Produktion mit ca. 30.000 Tonnen der weltweiten Nachfrage nicht nach. Es fehlten etwa 6.000 Tonnen. Diese riesigen Mengen sind auch die Ursache dafür, dass sich Ibuprofen und seine Abbauprodukte weltweit in der Umwelt anreichern. Die damit verbundenen ökologischen Konsequenzen sind nur zum Teil bekannt. Wie auch immer, diese Produktionslücke muss und soll wegen des hohen medizinischen Bedarfs geschlossen werden.
Sechs Produzenten
Bisher gibt es weltweit sechs Produzenten, die jeweils 10 bis 20 Prozent des gesamten Weltmarktbedarfes herstellen. Zwei finden sich in China, Hubei-Granules-Biocause und Shangdong-Xinhua. Aufgrund immer größerer Umweltauflagen und auch -kontrollen in China können die Kapazitäten nicht ohne Weiteres ad hoc gesteigert werden; im Gegenteil: Viele kleinere Wirkstoff-Produzenten haben ihre Produktionsanlagen durch die gestiegenen Umweltauflagen geschlossen.
Problem Monopolisierung
Nur Großanlagen können in der weltweiten Konkurrenz gute Qualitäten zu geringen Preisen bieten, wobei der Preisdruck eine wesentliche Ursache für solche Engpässe darstellt, da nur wenige Großanlagen durch niedrige Preise den Weltmarkt bedienen – eine negative Folge der weltweiten Monopolisierung des globalen Wirkstoffmarktes. Somit wird es auch zukünftig immer wieder zu solchen Engpässen kommen, da günstige Preise mit einer erhöhten Abhängigkeit von wenigen Anlagen und Anbietern erkauft werden. Die Produktionskapazitäten für 2018 scheinen in China erschöpft zu sein. Zwei Hersteller stellen in Indien Ibuprofen her, IOLPC und Solara, und zwei weitere Großanlagen stehen in den USA. Eine gehört der SI-Gruppe und eine der BASF in Bishop, Texas. Letztere hatte schon im letzten Jahr das Problem, dass der Hurrican „Harvey“ für Stromausfälle und damit auch Produktionsausfälle gesorgt hatte. Die Herstellung sollte in diesem Jahr gesteigert werden. Nun ist das Gegenteil der Fall. Die Anlage wurde wegen technischer Probleme heruntergefahren. Im Augenblick wird vermutet, dass die Fehleranalyse mit nachfolgender Wartung wahrscheinlich drei Monate dauern wird. Ob dann die Produktion wieder anlaufen kann, ist mehr als ungewiss. Nicht unerwähnt bleiben soll die Tatsache, dass die BASF in Ludwigshafen derzeit eine weitere World-Scale-Anlage baut, die aber erst 2021 die Produktion aufnehmen wird. Das ist sicher der Schritt in die richtige Richtung, allerdings hilft dies im Augenblick nicht.
Wie Ibuprofen produziert wird
Ausgangsstoff für das Startmaterial Isobutylbenzol der Ibuprofen-Synthese ist Rohöl, das in Anlagen der BASF in Ludwigshafen, Antwerpen und Nanjing in China thermisch gecrackt wird und das unter anderem entstehende Toluol und Propengas in einer katalysierten Alkylierungsreaktion zum Isobutylbenzol umgesetzt wird. Ausgehend vom Isobutylbenzol gibt es inzwischen zahlreiche Synthesevarianten, die als Endprodukt zu Ibuprofen führen. Am wirtschaftlich bedeutendsten sind die beiden Synthesewege von Boots [Übersichten in 2, 3], die zum Racemat führen (siehe Abb.). Der kürzere Boots-Hoechst-Celanese-Prozess beginnt mit der Alkylierung von Benzol mit Isobuten unter Katalyse mit einem NaK-Eutektikum. Es folgt eine Friedel-Crafts-Acylierung des Isobutylbenzols mittels Acetanhydrid bei 80 °C zu 4-Isobutylacetophenon. Während der ursprüngliche Boots-Prozess nun in mehreren Stufen über ein Nitril, ein Hydroxylamin und ein Amid zum Ibuprofen verläuft, folgt der neuere Prozess einer simplen Ketonreduktion mittels Raney-Nickel/Wasserstoff und einer Palladium-katalysierten Carbonylierungsreaktion (PdCl2/P(C6H5)3/CaCl2/HCl und Methyl-ethylketon). Diese Reaktion wurde in Bezug auf die Katalysatoren weiter optimiert. Die Synthesevariante stellt ein Paradebeispiel für die sogenannte „Green-Chemistry“-Synthese dar, da im Vergleich zur ursprünglichen Synthesevariante die Abfallmengen drastisch reduziert und damit die Atomökonomie enorm gesteigert werden konnte. Außerdem gibt es inzwischen Katalysator-freie Umsetzungen des Acetophenons über den Alkohol und ein Benzylchorid, dass unter Zusatz eines Organozink-Reagenzes und CO2 in sehr guten Ausbeuten carboxyliert wird. Ebenso wurde kürzlich ein dreistufiger Prozess für den Durchflussreaktor beschrieben, bestehend aus einer Friedel-Crafts-Acylierung des Isobutylbenzols, einer oxidativen 1,2-Umlagerung und anschließenden Hydrolyse des Esters [4]. Mit einer Überalles-Ausbeute von 83%, einer Reaktionszeit von 3 Minuten und einem kleinen ökologischen Fußabtritt ist sie sehr attraktiv; aber ob dies derselbe Syntheseweg ist wie bei den neuen „World-scale“-Anlagen, bleibt offen. Es gibt zudem eine Reihe von alternativen Prozessen, auch solche, die gleich von chiralen Intermediaten oder durch eine enantioselektive Katalyse direkt zum enantiomerenreinen S-Ibuprofen führen.
Da die Ibuprofen-Produktion derzeit nicht ad hoc gesteigert werden kann, bleibt den Apothekern einstweilen nichts anderes übrig, als die fehlenden Verpackungsvarianten insbesondere von 600-mg-Tabletten durch Auseinzeln von Blistern aus großen Packungen zu ersetzen oder ähnlich kreative Lösungen zu finden. Solange dies noch eine Option ist, scheint die Lage also derzeit nicht ganz so ernst zu sein, wie manche glauben machen.
Literatur
[1] C.P. García Blanesa, P. Rodríguez-Cantón Pascuala, C. Morales-Carpia, F.J. Morales-Olivasc, Has the use of antipyretics been modified after the introduction of different concentrations of ibuprofen into the market? An Pediatr (Barc); 2014;81:383-388.
[2] E. Friderichs, T. Christoph, H. Buschmann, Analgesics and Antipyretics, in: Ullmann‘s Encyclopedia of Industrial Chemistry, Wiley-VCH, 2000
[3] K- J. Nichol, D.W. Allen, The Medicinal Chemistry of Ibuprofen, in: Ibuprofen: Discovery, Development and Therapeutics, Ed. K.D. Rainsford, Wiley, 2015.
[4] D.R. Snead, T.F. Jamison, A Three-Minute Synthesis and Purification of Ibuprofen: Pushing a Continuous-Flow Processing. Angew. Chemie 2015;54:983-98
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