Digitalisierung

„Alexa, meine Nase läuft“

Wie Intelligente Persönliche Assistenten die Welt der Konsumenten und Händler verändern

Von Florian Giermann | Haben Sie auch einen Echo Dot von Amazon zu Hause? Den wohl bekanntesten der sogenannten Intelligenten Persönlichen Assistenten (IPA), mit denen man ganz normal sprechen kann.

Ein solcher Sprachassistent kann nicht nur „auf Zuruf“ die Beleuchtung im Haus steuern, wenn Sie über ein sogenanntes „Smart Home“ verfügen, sondern er kann auch Ihre Lieblingsmusik abspielen oder Ihnen die Zeit berechnen, die Sie zur Arbeit benötigen werden. Damit er das tut, müssen Sie es ihm einfach nur in normaler Sprache sagen. Wenn Sie also zum Beispiel sagen „Spiele mein Lieblingslied!“ kennt er dieses, ohne dass Sie einen bestimmten Titel oder Interpreten nennen müssen. Und wenn Sie sagen „Wie lange brauch ich ins Büro?“ weiß der Sprachassistent auch, welchen Ort Sie meinen, ohne dass Sie ihm die genaue Adresse – wie beispielsweise dem Navigationssystem im Auto – nennen müssen. Für sich alleine ist das zunächst einmal unheimlich praktisch und bequem.

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Sprachassistenten sind angewandte Beispiele für Künstliche Intelligenz (KI). Diese hat in den letzten Jahren ­einen enormen Sprung gemacht, bedingt vor allem durch das maschinelle Lernen bzw. „deep learning“. Anders als die herkömmliche Maschinenintelligenz, die auf vorgegebenen Systemen, Regeln und Abläufen besteht, wird beim tiefen Lernen – ähnlich wie beim menschlichen Gehirn – anhand von Beispielen, und zwar einer sehr großen Anzahl von Beispielen, gearbeitet. Alle sprachgesteuerten Assistenten, wie der eingangs erwähnte Echo Dot von Amazon, Siri von Apple, Cortana von Microsoft oder der Google Assistant (ja, der mit den prägnanten „OK, Google“-Werbespots!) basieren zu einem großen Anteil auf KI. Denn auch Sprache hat ein Muster, das Maschinen erkennen und durch Wiederholung verfeinern können. Diese und noch viele weitere Beispiele setzen ein „Verstehen“ voraus, wie es bisher nur im komplexen neuronalen System von uns Menschen vorhanden war. Experten sagen vorraus, dass KI früher oder später in jedem Unternehmen eingesetzt wird – ähnlich wie Elektrizität und Internet wird sich lediglich die Nutzungsintensität von Unternehmen zu Unternehmen unterscheiden.

KI in Medizin und Pharmazie

So ist davon auszugehen, dass KI in der medizinischen Anamnese und Analyse für einen Quantensprung sorgen wird. Wie bereits erwähnt, ist KI in der Lage, Muster in einer unvorstellbaren großen Anzahl von Daten zu erkennen. Durch maschinelles Lernen werden schon heute genomische Daten und Krankenblätter analysiert, um vor allem in den Bereichen Krebs und seltene Krankheiten ein tieferes Verständnis über deren Entstehung und Ansatzpunkte zur Therapierung zu erlangen. Wer, außer KI, könnte die unzählbaren Forschungsberichte lesen, die in den letzten Jahrzehnten zu diesen Krankheiten veröffentlicht wurden? Menschliche Wissenschaftler sicher nicht – und selbst wenn: würden sie dann weniger offensichtliche Zusammenhänge auch tatsächlich erkennen?

Die richtige KI könnte auch, gefüttert mit Millionen von Rezeptdaten und der Aussage „wurde retaxiert“ bzw. „nicht beanstandet“, ein nützlicher Helfer in der Apotheke werden. Die Abrechenzentren sitzen auf einem unermesslichen Datenschatz, der genau hierfür verwendet werden könnte, ohne gegen den Datenschutz zu verstoßen. Personenbezogene Daten spielen hierbei nämlich gar keine Rolle – es geht nur darum, welche Muster in der Abgabe von Arzneimitteln auf Rezepten in der Vergangenheit zu einer Beanstandung durch die Krankenkasse geführt haben, um so in Zukunft – zum Beispiel über die Warenwirtschaft – vor der Abgabe zu warnen.

Sprachassistenten im Alltag

Bleiben wir aber noch kurz bei den Sprachassistenten: Dass einen diese Geräte „ausspionieren“, ist allgemein bekannt – Menschen, die sich so etwas anschaffen, nehmen das billigend in Kauf. Sie treffen eine bewusste Entscheidung, weil für sie der praktische Nutzen die Bedenken hinsichtlich des Datenschutzes aufwiegt. Was die Nutzung betrifft, so sind die digitalen Sprachassistenten nämlich längst im Mainstream angekommen. Im Jahr 2017 benutzten schon 37 Prozent der Deutschen diese Technologie, mit weiterhin steigendem Trend. Haupteinsatzgebiete sind das Schreiben von Nachrichten, Suchmaschinenfunktionen und das Abspielen von Musik – und, natürlich, auch das Nachbestellen von Konsumgütern: „Siri, bitte bestell Kaffee nach“, „Alexa, wir brauchen Weichspüler“ oder „OK, Google, lass Milch nach Hause liefern“. Der Sprachassistent hört mit und der Benutzer kann seine Bestellung in genau dem Moment platzieren, in welchem er sich der bevorstehenden Knappheit von Verbrauchsprodukten gewahr wird.

Hierin liegt ein nicht zu unterschätzender Hauptnutzen, denn immerhin kann man so im relevanten Moment eine Bestellung auslösen und muss keine Einkaufslisten (egal ob digital oder analog) pflegen oder riskieren, im Supermarkt die Hälfte zu vergessen. Zusatznutzen im Falle von Alexa: hier erfolgt die Lieferung dann natürlich von Amazon, wo man als sogenannter „Prime-Kunde“ bereits am nächsten Tag beliefert wird.

Spannend bei den Sprachassistenten ist dabei, dass sich die erwähnten Anbieter dieser Gadgets damit selbst kannibalisieren. Google beispielsweise lebte bis jetzt sehr gut davon, dass nach einer Suchabfrage in einer Ergebnisliste auf einen oder mehrere dieser Treffer geklickt wurde. Jeder Klick auf ein beworbenes Ziel in der Trefferliste bedeutet für Google Einnahmen. Bei „OK Google, lass Milch nach Hause liefern“ gibt es keine Trefferliste mehr. Die Lieferung erfolgt unmittelbar. Beim allerersten Anwendungsfall wird vielleicht noch der Wunschlieferant abgefragt – danach steht aber dieser fest. Denn es soll ja möglichst einfach und bequem sein.

Auch Amazon und Apple sind etablierte Online-Marktplätze, die von der Vermittlung von Aufträgen an eine Vielzahl von Lieferanten bis jetzt immer gut leben konnten. Aber beim Sprachassistenten wird sich kein Anwender zwanzig Einträge vorlesen lassen, um dann eine Auswahl zu treffen. Es wird schneller gehen. Die Trefferliste wird kleiner werden. Wer bisher nicht unter den ersten drei Einträgen gelistet war, wird gar nicht mehr gefunden werden. Und darin liegt das enorme Disruptionspotenzial der Intelligenten Persönlichen Assistenten. Betroffen davon sind nicht nur die Vermittler (Google, Apple, Amazon), sondern auch die Hersteller der Produkte: Die Milch welcher Marke wird bestellt? Welcher Kaffee oder welcher Weichspüler, um bei den Beispielen von oben zu bleiben? Und, um mal einen Blick auf den OTC-Markt zu werfen, stellt sich die Frage, wie die Entscheidungsfindung dann aussieht: Warum gerade dieses Erkältungspräparat? Das Bekannteste? Das, dessen Hersteller dem Vermittler die besten Konditionen gewährt?

Zum Weiterlesen

B. Knauber. Künstliche Intelligenz – Freund oder Feind der Apotheker? 
DAZ 2018, Nr. 9, S. 22

Was kann sich für die Apotheke verändern?

Heute findet jeder Mensch seine Stammapotheke schnell bei Google und kann die Bewertungen anschauen, die andere Kunden dort hinterlassen haben. Auf der Homepage der Apotheke, auf die man so weitergeleitet wird, sieht man dann meist die Inhaberin oder den Inhaber und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Man kann auch eine Mail an die Apotheke schicken oder sein Rezept über eine Apotheken-App abfotografieren und zur Vorbestellung übermitteln.

Aber eines geht heute (noch) nicht: Mit der Aussage „Alexa, meine Nase läuft“ eine Bestellung genau dort auslösen.

Dabei findet die Gewöhnung der Konsumenten an Sprachassistenten gerade jetzt statt. Es ist ein Segment, das stark wächst: Alexa und Co. waren Weihnachten 2017 unter mehr Weihnachtsbäumen zu finden als jemals zuvor. Momentan sind die Apotheken in diese neue Prozesskette mit ihrem Warenkreislauf noch nicht wirklich integriert. Dabei wäre der Zwang zum Handeln dringend.

Denn auch wenn ich persönlich als Kunde und Patient meiner Apotheke vor Ort treu bleiben werde (und übrigens auch keine Echo Dot besitze), ist es doch sinnvoll, den Blick stets auch auf die nachfolgende Generation zu richten. Sie wird nämlich sicherlich ­eine andere Erwartungshaltung an ihren Apotheker haben, als ich. Eine Erwartungshaltung, die auf den Eindrücken basiert, in der sie aufgewachsen ist.

Auf „Alexa, meine Nase läuft“ hat für diese Generation nämlich eine unverzügliche Lieferung zu erfolgen – und zwar egal von wem.

Es gibt noch viele weitere Möglich­keiten für Apotheker, sich von KI im Arbeitsalltag unterstützen zu lassen. Ich bin überzeugt davon, dass eine der nächsten Stufen die Interaktion der Computer mit dem Benutzer sein wird. Dies geschieht schon heute in vielen Einkaufszentren durch das Auslesen von Daten aus Smartphones. Die sogenannte Mac-Adresse, mit der sich mobile Geräte eineindeutig bestimmen lassen, wird erfasst, um die Verweildauer der Kunden vor Schaufenstern und die Bewegungsströme der Besucher im Einkaufszentrum messen zu können. Hierbei interessiert nicht der einzelne Mensch, sondern das Verhalten einer Vielzahl von (unbekannten) Menschen.

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Nicht nur das Konsumentenverhalten verändert sich, sondern auch die Möglichkeiten, wie Händler und Dienstleister darauf eingehen können.

Bald wird die Werbung in den Schaufenstern direkt mit dem Kunden kommunizieren. Es werden keine Plakate mehr dort hängen, sondern nur noch Monitore (was heute im Einzelhandel ja noch mehr Ausnahme als Regel ist). Wenn dann ein Smartphone-Besitzer vor dem Schaufenster einer Mode­boutique vorbeigeht, der zuvor nach schwarzen Anzügen gegoogelt hat, weiß der smarte Monitor im Geschäft, dass jetzt ein Smartphone (Mac-Adresse!) vor dem Schaufenster steht, das sich für schwarze Anzüge interessiert – und genau das wird dann gezeigt. Und Patienten vor dem Apothekenschaufenster, die sich bei Dr. Google über Nasensprays informiert haben, könnten dann Produkte zur Bekämpfung von Sinusitis angezeigt werden. Subtil, unterschwellig – und genau passend für die Zielgruppe im relevanten Moment. Nämlich dann, wenn der Kunde empfänglich für genau diese Botschaft ist.

Biometrische Daten statt Iris

Das Auswendiglernen von Passwörtern (mit Sonderzeichen, Groß- und Kleinbuchstaben und mindestens einer Ziffer – aber bitte pro Account ein eigenes Passwort) gehört dann übrigens ebenfalls der Vergangenheit an. Dann? Quatsch, jetzt schon. Seit einigen Generationen kann man sich auf dem iPhone (sowie den meisten Apps, die sich darauf befinden) mit dem eigenen Fingerabdruck anmelden. Und auf dem iPhone X geht das sogar mit Gesichtserkennung. Vergesslichen Menschen wie mir kommt das sehr entgegen! Den Risiken, die bestehen, wenn statt vermeintlich sicherer Passwörter biometrische Daten als Zugangsschlüssel verwendet werden, sollte man sich bewusst sein. Tatsächlich sind sowohl alphanumerische als auch biometrische Daten niemals hundertprozentig vor Missbrauch sicher. Wer erinnert sich nicht an Filme wie „James Bond: Sag niemals nie,“ in welchem der Zugang zu einem gesicherten Bereich nur mit dem Scan der Iris einer autorisierten Person möglich war – und die „Bösen“ im Film dieser Person dann das Auge herausgeschnitten ­haben. Das geht in der Wirklichkeit natürlich weniger gewalt­tätig durch Klau des Binärcodes der biometrischen Daten – aber ist er erstmal entwendet, kann man dieses biometrische Datum zeitlebens eben nicht mehr verwenden.

Vorläufer der eben skizzierten Entwicklung mit den Monitoren in den Einkaufszentren gibt es auch schon in deutschen Apotheken. Bis noch vor einigen Jahren war es schwer vorstellbar, dass in einer Sichtwahl etwas anderes steht, als Packungen von OTC-Produkten. In einigen Apotheken standen leere Packungen (und die Ware war im Kommissionierautomat); es gibt ein Apo­thekenkonzept, das mit Beratungskarten anstelle von echter Ware arbeitet; aber in der großen Mehrzahl der Apotheken stand echte, harte Ware.

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Inzwischen aber gibt es immer mehr Apotheken, die mit einer virtuellen Sichtwahl arbeiten. Monitore bilden die physische Sichtwahl ab und vereinen den Vorteil der Leerpackungen (Ware ist im Automat) mit denen der Beratungskarten (moderne virtuelle Sichtwahlen können Beratungsfilme einspielen) und imitieren dabei die Optik der klassischen Sichtwahl.

Ausblick

Es ist schwer vorstellbar, dass die Entwicklung hier stehen bleiben wird. Gerade im Bereich der Gesundheit kann man aus KI einen deutlich höheren Nutzen ziehen als an öffentlichen Plätzen wie Einkaufszentren.

So könnten (trotz DSGVO) Kundenkarten obsolet werden – dank Gesichtserkennung. Der Kunde wird anhand biometrischer Merkmale erkannt und direkt seinem Patientenprofil zugeordnet. In einer vertraulichen, diskreten Umgebung, deren Betreiber einer Berufsschweigepflicht unterliegt, ist so etwas durchaus vorstellbar. Außerdem scannen kleinste Kameras den Kunden und erkennen anhand der Neigung seiner Mundwinkel auch noch seine Stimmungslage.

Ob und was der Apotheker dann aus dieser Information macht, kann nur jedem Einzelnen überlassen werden. Aber die Chance zu haben, beispielsweise einem manisch depressiven Patienten vor dessen nächsten Schub zur Seite zu stehen, sollte man nicht leichtfertig als unrealistische Science Fiction abtun. Dieser Absatz enthält nämlich keinesfalls Zukunftsmusik, sondern eine Kurzbeschreibung meines letzten Besuchs in der IDA, der Innovations-Akademie deutscher Apotheken von Bayer Healthcare in Köln, wo genau solche Projekte mit Testkunden erforscht wurden.

Wie massiv sich dadurch die Beratungsqualität in der Apotheke verbessern könnte, wenn es dem Apothekenpersonal gelingt, die so erhaltenen Informationen diskret und zum Nutzen des Kunden ins Gespräch einfließen zu lassen, können wir uns heute vermutlich nur ansatzweise vorstellen. Aber die Digitalisierung hat uns doch zumindest eines gelehrt: je besser man seinen Kunden kennt, umso besser auf ihn zugeschnittene Angebote kann man ihm anbieten und ihn umso enger an sein Unternehmen binden.

Die Revolution der Künstlichen Intelligenz kommt also nicht auf einen Schlag – sie schleicht sich leise an. Und vielleicht wird es auch Ihnen gehen, wie es ein Pionier der KI-Forschung Demis Hassabis ausdrückt: „Ihnen werden immer mehr Alltagsgegenstände auffallen, die ein bisschen smarter werden und die Sie besser verstehen.“ |

Autor

Florian Giermann, Prokurist und Key Account Manager der Noventi GmbH. Blogger und Autor von „Das Edikt von Cupertino“, www.edikt-von-cupertino.de

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