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Arzneimittel und Therapie
Lieber in Fitness investieren
Multivitaminpräparate schützen weder Herz noch Hirn
Die Arbeiten der US-Forschergruppe um den Kardiologen Dr. Joonseok Kim sind ernüchternd: Multivitaminpräparate bewahren einen offenbar nicht davor, verfrüht an einer Herz-Kreislauf-Erkrankung zu sterben. Dies ergab die Auswertung von 18 Einzelstudien, die zwischen 1970 und 2016 publiziert wurden, mit Daten von insgesamt 2.019.862 Studienteilnehmern. So betrug das relative Risiko (RR) für die kardiovaskuläre Sterblichkeit genau 1,00 (95%-Konfidenzintervall [KI] 0,97 – 1,04). Sprich: Es machte absolut keinen Unterschied, ob Supplemente eingenommen wurden oder nicht. Auch die einzelnen Endpunkte blieben durch die Einnahme der Nahrungsergänzungsmittel unbeeinflusst. Koronarbedingte Todesfälle (RR 1,02; 95%-KI 0,92 – 1,13), Todesfälle durch Schlaganfall (RR 0,95; 0,82 – 1,09) und Schlaganfälle selbst (RR 0,98; 0,91 – 1,05) traten bei Verzehr von Nahrungsergänzungsmitteln nicht seltener auf. Lediglich die Inzidenz für eine koronare Herzerkrankung konnte durch die Vitamin- und Mineralstoffpräparate leicht gesenkt werden (RR 0,88; 0,79 – 0,97). Betrachtete man jedoch nur die aussagekräftigen randomisierten kontrollierten Studien, war auch dieser Vorteil wieder zunichte (RR 0,97; 0,80 – 1,19).
Die hohe Personenzahl und die lange Beobachtungsdauer über mehr als 18.000.000 Personenjahre zählen zu den Stärken der Studie. Allerdings waren die Ausgangssituationen der Teilnehmer sowie die Zusammensetzung der Multivitaminpräparate heterogen. Diese beiden Faktoren erschweren – wie bei den meisten Präventions- und Ernährungsstudien – die Beurteilung von Ursache und Wirkung.
Fazit: Geldverschwendung
Für die neurologischen Fachgesellschaften ist die Schlussfolgerung eindeutig: „Mit Multivitamin-Tabletten werden jährlich Milliardenumsätze gemacht, die Metaanalyse zeigt jedoch klar, dass diese Pillen weder Schlaganfälle verhindern noch die Sterblichkeit an Herz-Kreislauf-Erkrankungen senken“, fasst der erste Vorsitzende der Deutschen Schlaganfall-Gesellschaft (DSG), Professor Dr. Armin Grau, zusammen. „Wenn man schon Geld ausgeben will, dann ist es viel lohnenswerter, in einen Sportverein oder ein Fitnessstudio zu investieren als in Vitamine und Mineralstoffe“, rät Professor Peter Berlit, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN).
Defizite gezielt ausgleichen
Nach Angaben des Bundesverbands der Verbraucherzentralen nimmt jeder vierte Bundesbürger Multivitaminpräparate ein. Im Jahr 2015 wurden damit 1,1 Milliarden Euro umgesetzt. Laut der aktuellen Studie offenbar ohne Nutzen für Herz und Hirn. Doch möglicherweise war die zugrunde liegende Fragestellung zu unspezifisch. Und hier kommt dem Apotheker eine entscheidende Aufgabe zu, die Erwartungshaltungen zu relativieren und bei echten Mangelsituationen spezifische Lösungen anzubieten. Denn um tatsächlich vorhandene Nährstoffdefizite auszugleichen, ist die „One-size-fits-all“-Lösung in Form eines Multivitaminpräparates selten geeignet. Der fehlende Mikronährstoff ist zu gering dosiert. Von den Einzelstoffen, die nicht benötigt werden, wird möglicherweise zu viel aufgenommen. Außerdem gilt es für Pharmazeuten abzuwägen, ob der Kunde tatsächlich ein Mikronährstoffdefizit hat oder ob dieses durch die Werbung getriggert ist. Denn auch mit mutmaßlichen Mikronährstoffdefiziten lassen sich Umsätze generieren. |
Quellen
Kim J et al. Association of Multivitamin and Mineral Supplementation and Risk of Cardiovascular Disease: A Systematic Review and Meta-Analysis. Circ Cardiovasc Qual Outcomes. 2018 Jul;11(7):e004224
Pressemitteilung der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) und der Deutschen Schlaganfall-Gesellschaft (DSG) vom 3. September 2018. Vitaminpillen nutzlos gegen Schlaganfall und Herzinfarkt. www.dgn.org; Abruf am 05. September 2018
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