DAZ aktuell

Was „wesentlich“ bei der Herstellung bedeutet

Gedanken zum Deutschen Apothekertag 2018 von Thomas Müller-Bohn

Zumindest bei einem der vielen Anträge zum Deutschen Apothekertag 2018 in München droht seine enorme Bedeutung angesichts der unscheinbaren Formulierung unterzu­gehen. Ich warte seit fast fünfzehn Jahren auf einen solchen Antrag zur „Stärkung des Rezeptur- und Defekturprivilegs“, wie ihn der Landesapothekerverband Baden-Württemberg nun eingebracht hat. Der Antragsteller fordert, in § 21 Abs. 2 Ziffer 1 AMG redaktionell klarzustellen, dass jede in § 4 Abs. 14 AMG aufgeführte Ver­arbeitungstätigkeit ein „wesentlicher Herstellungsschritt“ sei. Das klingt nach Paragraphenreiterei und ist doch dringend nötig – zur ­Rettung des apothekerlichen Selbstverständnisses und als langfristige Zukunftssicherung.

Dr. Thomas Müller-Bohn, Apotheker und Dipl.-Kaufm., Redakteur der DAZ

Der Antragsteller verweist in der Antragsbegründung mit deutlichen Worten auf „eine Reihe von verfehlten gerichtlichen Entscheidungen“, die die Anwendungsbereiche der Rezeptur und Defektur „in bedenklicher Weise einschränken“ und zu erheblicher Rechtsunsicherheit führen würden. Rechtliche Voraussetzung für Rezeptur und Defektur ist, dass wesentliche Herstellungsschritte in der Apotheke stattfinden. Doch was „wesentlich“ ist, haben Gerichte vielfach so eng aus­gelegt, dass das Rezeptur- und das ­Defekturprivileg in ihrem Kern aus­gehöhlt werden. Der Antragsteller ­betrachtet diese Rechtsprechung als Widerspruch zur Definition der Rezeptur- und Defekturarzneimittel und sieht die Apotheken daraufhin im Spannungsfeld von Zulassungsrecht, Strafvorschriften, Wettbewerbsrecht, Vorschriften zum Patentschutz und Retaxationen.

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Dieser Sicht des Antragstellers stimme ich zu und ergänze, dass die problematischen Urteile bereits ins Jahr 2002 zurückreichen. Schon damals war das Kernproblem erkennbar: Die Richter unterscheiden nicht zwischen Synthese des Arzneistoffs und Herstellung des Arzneimittels. Betrachtet man beides zusammen, mag die Auf­lösung eines Wirkstoffs in Kochsalzlösung nicht „wesentlich“ erscheinen. Inzwischen wurde sogar einer Zubereitung unter Reinraumbedingungen dieses Attribut aberkannt. Doch die Richter stellen die falsche Frage. Denn auch die meisten industriellen Arzneimittelhersteller beginnen ihre Arbeit mit dem Arzneistoff, und alle apothekenrechtlichen Vorschriften zur Prüfung und Laborausstattung unterstellen, dass Apotheken Arzneistoffe beziehen und daraus Arzneimittel herstellen. Wenn diese Herstellung nicht „wesentlich“ sein sollte, wäre die pharmazeutische Technologie keine Wissenschaft. Doch so absurd das ist, hat sich diese Sichtweise über fünfzehn Jahre in Urteilen verselbstständigt. Dies ist zu einem gefährlichen Angriff auf das Selbstverständnis der Apotheker geworden. Die Antragsteller rufen daher konsequenterweise nach dem Gesetzgeber, der klarstellen soll, was in Apotheken klar ist und vor Gerichten doch nicht gesehen wird.

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In den ersten Urteilen dieser Art sollte verhindert werden, dass die Defektur den Patentschutz aushöhlt. Doch das muss nach dem Patentrecht entschieden werden. Später ging es um ausländische Fertigarzneimittel, die in Rezepturen verarbeitet wurden. Vermutlich haben viele Apotheker ein Urteil begrüßt, das Ausgangsmaterialien aus dubiosen Quellen aus der Rezeptur verbannt. Doch ein solches Urteil könnte nur gut sein, wenn es aus den richtigen Gründen erfolgen würde. Die relevanten Rechtsfragen betreffen hier die Verkehrsfähigkeit der verarbeiteten Arzneimittel und gegebenenfalls die zu taxierenden Preise, aber nicht die Rechtmäßigkeit von Rezeptur und Defektur.

Dieses Privileg der Apotheken gilt es auf jeden Fall zu verteidigen. Denn wenn eines Tages eine neue Techno­logie individualisierter Arzneimittel im großen Maßstab eingesetzt werden sollte, könnte dies den Apotheken vollkommen neue Perspektiven eröffnen, die über alle heutigen Pläne weit hinausgehen. Darum wünsche ich diesem Antrag eine erfolgreiche Zukunft. |

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