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Aus den Ländern
Pharmakotherapie rund um die Niere
Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Klinische Pharmazie
Die AMTS kann oft schon mit einfachen Maßnahmen verbessert werden, betonte DGKPha-Präsident Prof. Dr. Thilo Bertsche, Leipzig, in seiner Begrüßung. Diese Maßnahmen müssten klar kommuniziert werden und beim Patienten ankommen. Kai-Peter Siemsen, Präsident der Apothekerkammer Hamburg, würdigte die Klinische Pharmazie in seinem Grußwort als eines der wichtigsten Themen in der Pharmazie. Es wäre schön, wenn sie noch mehr Raum einnehmen könnte, erklärte Siemsen. Tagungspräsidentin Dr. Dorothee Dartsch, Vizepräsidentin der Apothekerkammer Hamburg, zielte mit der Konzeption der Tagung darauf, die Beziehungen zwischen Herz, Niere und Metabolismus aufzuzeigen.
Therapie der Herzinsuffizienz
An dieser Idee setzte der Einführungsvortrag von Dr. Stephan Böhmen, Oldenburg, an. Er erinnerte an frühere Therapien der Herzinsuffizienz, die zu Übersterblichkeit führten, weil das schwache Herz mit positiv inotrop wirkenden Substanzen zusätzlich belastet wurde. Erfolg brachten erst Betablocker und Arzneimittel, die nicht unmittelbar am Herzen angreifen. Böhmen betonte, dass Betablocker und ACE-Hemmer oder Sartane zur Therapie der Herzinsuffizienz auftitriert werden müssten. Nur wenn dies ausgereizt sei, sollten als nächste Stufe Mineralocorticoid-Antagonisten eingesetzt werden. Die Kombination eines Sartans und eines Neprilysin-Inhibitors solle hingegen nur als dritte Stufe der Therapie dienen, wenn die vorherigen Mittel versagen, empfahl Böhmen. Denn die maßgebliche Studie dazu sei mit 27 Monaten zu kurz angelegt, um Langzeiteffekte zu erkennen.
Was ist Diabetes Typ 2?
Auch hinsichtlich des Diabetes mellitus Typ 2 mahnte Böhmen, das Therapiekonzept kritisch zu hinterfragen. Blutzuckersenkende Therapien hätten die Übersterblichkeit nicht gesenkt. Nur Metformin senke die Gesamtsterblichkeit, doch dies greift nicht am Pankreas an. Böhmen regte an, das viszerale und das hepatische Fettgewebe in den Mittelpunkt zu stellen. Der erhöhte Blutzucker sei eher die Folge und nicht die Ursache des Problems. Die Insulinresistenz sei dann ein Schutz der Zelle vor der Aufnahme von zu viel Zucker und sollte daher nicht durchbrochen werden. Diese Sicht werde durch eine im August im „New England Journal of Medicine“ publizierte Auswertung des schwedischen Diabetesregisters gestützt. Demnach besteht bei Diabetikern keine Übersterblichkeit mehr, wenn die Risikofaktoren HbA1c-Wert, LDL-Wert und Blutdruck im Normbereich liegen, keine Albuminurie besteht und der Patient nicht raucht. Daraufhin empfahl Böhmen Bewegung und mediterrane Ernährung.
Wie dosieren bei Niereninsuffizienz?
Prof. Dr. Sebastian Wicha, Hamburg, präsentierte Methoden zur Dosisanpassung bei Niereninsuffizienz. Die Schätzformeln zur Nierenfunktion beruhen auf Regressionsmodellen, wobei mit größeren Populationen und neueren mathematischen Verfahren bessere Ergebnisse erreicht werden. Die Cockcroft-Gault-Formel habe noch eine gewisse Berechtigung, weil viele ältere Fachinformationen darauf beruhen. Doch Wicha bevorzugt die neuere CKD-EPI-Formel. Während diese Formeln mit großem Aufwand verbessert werden, werde die dort eingehende Körperoberfläche noch immer mit einem sehr alten und eher problematischen Verfahren ermittelt. Da alle diese Methoden nur Schätzungen sind, mahnte Wicha, im Zweifel die glomeruläre Filtrationsrate direkt zu bestimmen. Dagegen wurde argumentiert, das Sammeln von 24-Stunden-Urin sei im Klinikalltag schwer zu organisieren. Noch schwieriger ist die Ermittlung der hepatischen Clearance. Die Leistungsfähigkeit wird dort als Schweregrad der Einschränkung ordinal skaliert. Dagegen fehlt ein kontinuierlicher Marker.
Surftipps zur Pharmakokinetik
Für substanzspezifische Hinweise zur Dosierung bei Niereninsuffizienz empfahl Prof. Dr. Sebastian Wicha das unabhängige Webtool www.dosing.de. Bei vielen klinischen Fragestellungen hilft das TDMx-Modell von PharmacometrX, an dem auch Wicha mitwirkt. Das Modell basiert auf der Populationspharmakokinetik, kann sowohl mit als auch ohne individuelle Blutspiegeldaten verwendet werden und es gibt Empfehlungen, zu welchem Zeitpunkt eine Blutspiegelkontrolle die größte Aussagekraft hat. Es ist unter www.tdmx.eu frei verfügbar.
Viele Probleme bei Nierenpatienten
Dr. Gunar Stemer, Wien, erläuterte, warum das Management arzneimittelbezogener Probleme gerade bei Nierenpatienten so wichtig ist. Wegen Begleiterkrankungen wie Hypertonie und Diabetes erhalten viele Patienten eine Polypharmazie, aber gerade in Verbindung mit der Nierenfunktionsstörung drohen Unverträglichkeiten oder Fehldosierungen, die wiederum die Nieren belasten. Besonders problematisch sei das erhöhte Risiko für ein akutes Nierenversagen. Die Progression der Nierenerkrankung hänge insbesondere vom Ausmaß der Albuminurie ab.
Bei Dialysepatienten erhöhen vor allem die Phosphatbinder die Zahl der einzunehmenden Tabletten und belasten damit die Adhärenz. Zusätzliche Fragen bei der Dialyse betreffen die Reihenfolge von Arzneimittelgabe und Dialyse sowie das Ausmaß der Elimination des Arzneistoffs. Befragungen von Transplantierten hätten gezeigt, dass der Zweck der Immunsuppression und der dabei eingesetzten Arzneimittel noch erstaunlich oft unbekannt seien. Offenbar bestehen noch immer Kommunikationsdefizite, folgerte Stemer.
Medikationsanalyse in der Praxis
Weitere Inhalte der Tagung waren parallel angebotene Workshops sowie Kurzvorträge zu Projekten rund um die Medikationsanalyse. Dabei wurde bestätigt, dass Studierende den Ablauf der Medikationsanalyse in einem Modellpraktikum mit Patienten-Schauspielern erlernen können. Die vorgestellten Arbeiten an realen Patienten unterstreichen den großen Bedarf für Medikationsanalysen zur Lösung arzneimittelbezogener Probleme.
Im abschließenden Gemeinschaftsvortrag von Arzt und Apotheker gaben Priv.-Doz. Dr. Tobias Meyer und „sein“ Apotheker Matthias Wriedt aus der Asklepios-Klinik Hamburg-Barmbek praktische Empfehlungen zur Therapie von Dialyse-Patienten. Dabei präsentierte Meyer Daten, nach denen SGLT2-Hemmer bei einigen Patienten mit terminaler Niereninsuffizienz oder an der Dialyse auch in harten Endpunkten positive Wirkungen zeigten. Besonders vorteilhaft seien dabei die Effekte auf mehreren Ebenen, beim Blutzucker, Blutdruck und bei der Flüssigkeitsretention. Dagegen hatte Böhmen eingangs alle blutzuckersenkenden Therapien einschließlich der SGLT2-Hemmer zurückhaltend beurteilt. Doch bei Böhmen ging es um Diabetiker, die noch keine Endorganschäden aufweisen.
Posterpreise bei der DGKPha-Tagung
Den Lesmüller-Preis erhielt Jasmin Seiberth, Leipzig, mit Katharina Moritz, N. Kücükay,Dr. Susanne Schiek und Prof. Dr. Thilo Bertsche für ein Poster über die Umsetzung von Leitlinienempfehlungen bei der Beratung zur Selbstmedikation in öffentlichen Apotheken.
Den DGKPha-Preis erhielt Daria Jilani, Hamburg, mit Dr. Michael Baehr, Dr. Claudia Langebrake und Annika van der Linde. In ihrem Poster zur Arzneimitteltherapie bei Stomapatienten ging es um die Bewertung von Arzneimittelkombinationen mit Einfluss auf den Darmtrakt.
Vorsicht bei der Selbstmedikation
In einem Workshop zur Selbstmedikation betonte Offizin-Apotheker Christian Schulz, Horn-Bad Meinberg, dass etwa zwei Drittel der rund zwei Millionen Niereninsuffizienten in Deutschland unerkannt sind. Solche Patienten sind daher in Apotheken häufig. Bei ihnen könnten auch unkritisch eingesetzte Nahrungsergänzungsmittel zu Problemen führen. Schulz mahnte, dass Calcium über eine Blutdruckerhöhung den Teufelskreis der Nierenerkrankten verstärken könne. Schulz propagierte, auf das kritische Bewusstsein von Apothekern zu setzen. Während Datenbanken bei Interaktionen stets Zweier-Kombinationen prüfen, sei gerade die Dreier-Kombination aus ACE-Hemmer oder Sartan plus Diuretikum plus NSAID besonders problematisch – und diese erkenne nur der Mensch. Dieser „triple whammy“ kann leicht in der Selbstmedikation durch rezeptfreie NSAID entstehen. Denn für Nierenkranke gebe es keine sichere NSAID-Dosis. Problematisch sei auch der Einsatz von Pseudoephedrin in Erkältungsmitteln bei Patienten, deren Sympathikus nicht zusätzlich aktiviert werden soll. Das Fazit von Schulz könnte für die ganze Arbeit zur AMTS stehen: Hundertprozentige Lösungen seien schwer zu erreichen. Vielmehr gehe es darum, den Problemen ihre Spitzen zu nehmen und damit die Lage der Patienten zu verbessern. |
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