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Beratung

Die Hände zum Himmel

Schulterschmerzen und ihre Behandlung

Schmerzen im Schulter­bereich sind nicht ungewöhnlich. Sie gehören neben Gelenk- und Rückenschmerzen zu den am häufigsten auftretenden Schmerzen. Ihre Ursachen sind vielseitig – und nicht immer harmlos. Aus diesem Grund sollte in der Apotheke eine gezielte Beratung stattfinden. | Von Martina Schiffter-Weinle

Die Schulter ist ein komplexes Konstrukt, das aus mehreren Gelenken, nämlich dem Schulterhauptgelenk und Nebengelenken, aus dem Schultergürtel, zusammengesetzt aus dem Schulterblatt und dem Schlüsselbein, sowie aus anliegenden Muskeln, Sehnen, Bändern, der Gelenkkapsel und Schleimbeuteln besteht. Die Schulter verbindet die beiden Arme mit dem Rumpf. Das Schulterhauptgelenk wird vom Oberarmkopf und der Gelenkpfanne – einem knöchernen Teil des Schulterblattes – gebildet (siehe Infografik). Es ist ein Kugelgelenk und besitzt das größte Bewegungsausmaß aller menschlichen Gelenke. Seine lockere Führung macht es jedoch auch sehr anfällig für Ausrenkungen bzw. Auskugelungen (Luxationen). Stabilisiert wird es hauptsächlich durch Muskeln und Sehnen. Sie ermöglichen das Abspreizen und Anziehen der Arme, die Rotation nach außen sowie die Drehung nach innen. Um eine schmerzfreie und ungestörte Beweglichkeit des Schultergelenks zu gewährleisten, sind die Innenseite der Gelenkpfanne und der Oberarmkopf von Gelenkknorpel überzogen, der als Stoßdämpfer für die auf das Schultergelenk einwirkenden Kräfte wirkt und die Reibung der Schultergelenkteile vermindert. Die notwendigen Nährstoffe bezieht der Gelenkknorpel von der Gelenkflüssigkeit, die von der Gelenkkapsel produziert wird. Im Bereich des Schultergelenks finden sich zudem Schleimbeutel, die ebenfalls als Puffer und Gleitschicht zwischen den einzelnen Geweben fungieren und Reibung verhindern.

Die Anatomie der Schulter ist sehr komplex. Ihre Beweglichkeit verdankt sie dem Schulterhauptgelenk (bestehend aus Oberarmkopf und Gelenkpfanne) sowie dem Schultereckgelenk. Muskeln, Sehnen und Bänder stabilisieren das Hauptgelenk.

Ursachen sind nicht immer offensichtlich

Etwa jeder zehnte Deutsche leidet an Schmerzen im Schulterbereich, einige vor allem in der Nacht, wenn beim Liegen Druck auf die Schulter ausgeübt wird, andere dann, wenn sie versuchen, den Arm über die Horizontale anzuheben. Bei starken Schmerzen kann der Patient in seiner Bewegung eingeschränkt sein. Akute Schulterschmerzen treten plötzlich und unvermittelt, z. B. nach einem Unfall, einem Sturz oder einer Überlastung auf. Chronische Schmerzen entwickeln sich hingegen allmählich und ziehen sich über Monate hinweg. Die Einordnung ist nicht immer eindeutig und im Zweifel sollte lieber ein Arzt aufgesucht werden. „Schulterschmerzen können auf sehr unterschiedliche Ursachen zurückzuführen sein“, weiß Schulterspezialist Dr. med. Hubertus Hirt, Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie aus Freiburg. „Nicht immer gehen sie auf Probleme des Schultergelenks selbst zurück, es können auch andere Schmerzursachen vorliegen. Dabei handelt es sich zum Teil um ernste Krankheitsbilder, die einer ärztlichen Abklärung bedürfen. So kann sich beispielsweise ein Herzinfarkt durch in das linke Schulter­gelenk ausstrahlende Schmerzen ankündigen. Auch eine Lungenembolie oder eine Gallenkolik können sich durch Schmerzen im Bereich des Schulterblatts bemerkbar machen. Sollten also Anzeichen wie Enge in der Brust, Atemnot oder krampfartige Schmerzen im rechten Oberbauch zusammen mit den Schulterbeschwerden auftreten, ist der umgehende Gang zum Arzt oder in die Notaufnahme zu empfehlen.“

In vielen Fällen werden Schulterschmerzen nicht durch eine Erkrankung des Schultergelenks, sondern durch Probleme in schulternahen Bereichen ausgelöst. Welche das sind, erläutert Dr. Hirt: „Am Bewegungsapparat selbst gibt es Krankheitsbilder, die zwar von anderen Strukturen ausgehen, aber dennoch Schmerzwahrnehmungen im Bereich der Schulter verursachen. Dazu gehören muskuläre Verspannungen im Schultergürtel, Blockaden der Hals- und Brustwirbelsäule sowie Bandscheibenvorfälle der Halswirbel­säule. Am problematischsten sind sicherlich akute Bandscheibenvorfälle, die typischerweise mit einer ziehenden oder brennenden bis elektrisierenden Schmerzausstrahlung über die Schulter, in den Arm und teilweise bis in die Hand einhergehen. Beschwerden aus diesem Bereich können in aller Regel bei geringerer Intensität vom Patienten mit nicht verschreibungspflichtigen Schmerzmitteln in Eigenregie behandelt werden. Treten starke Schmerzzustände oder gar Taubheitsgefühle des Arms auf, sollte umgehend ein Arzt aufgesucht werden.“ Aufgrund der besonderen Anatomie des Schultergelenks kann es in diesem Bereich leicht zu Verletzungen sowie zu verschleißbedingten oder entzündlichen Erkrankungen kommen. „Die Ursachen für Beschwerden am Schultergelenk können orientierend in mechanische und entzündliche Schmerzauslöser eingeteilt werden,“ erklärt Dr. Hirt. „Zu den entzündlichen Ursachen zählen rheuma­tische Entzündungen oder auch die sogenannte Frozen Shoulder (entzündliche Schultersteife). Zu den mechanischen Ursachen gehören Überlastungsbeschwerden, Engpass-Syndrome (Impingement) oder Abrisse der Rotatorenmanschette (Supraspinatussehne). Einige Krankheitsbilder gehen auf eine Kombination beider Schmerzursachen zurück, z. B. die Schultergelenks-Arthrose (Gelenkverschleiß) oder die sogenannte Kalkschulter.“

Frozen Shoulder: Schultersteife durch zu späten Behandlungsbeginn?

Dr. med. Hubertus Hirt

Expertenmeinung von Dr. med. Hubertus Hirt: „Entgegen der landläufigen Meinung kann das Eintreten einer Schultersteife, die ein eigenständiges Krankheitsbild darstellt, nicht durch die Einnahme bestimmter Medikamente oder sonstige Behandlungen (Physiotherapie, Stoßwelle, Bestrahlung) in seinem Verlauf beeinflusst oder gar abgewendet werden. Somit ginge auch in diesem Fall keine wertvolle Zeit verloren, wenn in den ersten Tagen des Auftretens von Schulterschmerzen eine Selbstbehandlung mit entzündungshemmenden Medikamenten, wie Ibuprofen oder Diclofenac vorgenommen wird. Wie auch in den anderen Fällen sollte ein Arztbesuch erfolgen, wenn die Beschwerden trotz Schonung und Schmerzmitteleinnahme über mehrere Tage hinweg keine Besserungstendenz zeigen.“

Leichte Schmerzen selbst behandeln

Bei der Beratung in der Apotheke ist es wichtig, die genauen Symptome, ebenso wie Begleitsymptome zu erfragen, um gegebenenfalls die Anzeichen lebensgefährlicher Situationen zu erkennen oder, z. B. bei chronischen Beschwerden, eine fachärztliche Behandlung zu empfehlen. Dennoch muss laut Dr. Hirt nicht in allen Fällen gleich ein Arzt aufgesucht werden: „Als Faustregel kann gelten, dass Schulterbeschwerden aufgrund mechanischer Ursachen nur in seltenen Fällen einer frühzeitigen ärztlichen Abklärung bedürfen. Leichtere Schmerzzustände können mit lokal kühlenden Maßnahmen oder nicht-steroidalen Antirheumatika (NSAR) wie zum Beispiel Ibuprofen oder Diclofenac behandelt werden. Erst wenn die Beschwerden sich darunter nicht innerhalb weniger Tage bessern, sollte der Hausarzt aufgesucht werden. Dieser kann dann entscheiden, ob weiterführende Abklärungen erforderlich sind, z. B. Sonographie, Röntgen, MRT oder ein Besuch beim Facharzt für Orthopädie. Stark entzündliche Schmerzzustände hingegen, z. B. eine akute Kalkschulter oder ein Rheumaschub, sollten frühzeitig von einem fachkundigen Arzt behandelt werden, um durch stärkere rezeptpflichtige Schmerzmittel, Cortison-Gaben oder Infiltrationen zu einer schnellen Linderung der Akutbeschwerden beizutragen.“

Wann zum Arzt?

  • sehr starke, stechende Schulterschmerzen
  • chronische Schmerzen
  • starke Schmerzen nach einem Sturz oder Unfall
  • Steifheit und Unbeweglichkeit von Schulter und Arm
  • in den Nacken oder Arm ausstrahlende Schulterschmerzen
  • Gefühlsstörungen wie Taubheit oder Kribbeln
  • plötzliche linksseitige Schulterschmerzen, manchmal in Verbindung mit krampfartigen Schmerzen im Oberbauch, Enge in der Brust und Atemnot

NSAR lokal oder systemisch

Die Therapie leichter Schulterbeschwerden kann mit nicht-steroidalen Antirheumatika erfolgen, die analgetisch und antiinflammatorisch wirken. Sie können lokal angewendet oder oral verabreicht werden (siehe Tabelle 1). Oral werden am häufigsten Ibuprofen und Diclofenac eingesetzt. Die Anwendungsdauer in der Selbstmedikation sollte maximal vier Tage betragen. Topische Formulierungen haben den Vorteil, dass der Wirkstoff nur in geringer Menge in den Blutkreislauf aufgenommen wird und somit das Risiko für systemische Nebenwirkungen gering ist. Sie dürfen jedoch nur auf intakter Haut angewendet und nicht in die Augen oder auf die Schleimhäute gebracht werden. Topische Diclofenac-Zubereitungen können bei kurzzeitiger Anwendung eine Schmerzlinderung bei akuten Nackenschmerzen bewirken. In Deutschland ist beispielsweise Voltaren® Schmerzgel für muskuläre Schmerzen im Rückenbereich und Diclo-ratiopharm® Schmerzgel für „degenerative Erkrankungen der Extremitäten­gelenke und im Bereich der Wirbelsäule“ zu­gelassen. Bei chronischen Schmerzen können Wärme­anwendungen Linderung verschaffen.

Tab. 1: Nicht-steroidale Antirheumatika (NSAR) zur Selbstmedikation bei Schulterschmerzen
Wirkstoff
Darreichung
Anwendung
Besondere Hinweise
Ibuprofen
oral
dreimal täglich 400 mg in einem Abstand von sechs Stunden einnehmen; maximal 1200 mg pro Tag
bei Kindern ist die Dosierung abhängig vom Alter beziehungsweise Körpergewicht
lokal
dreimal täglich auf die Haut auftragen und leicht einreiben
nicht für Kinder unter 14 Jahren zugelassen;
nur auf intakte Haut auftragen
Diclofenac
oral
dreimal täglich 25 mg alle vier bis sechs Stunden einnehmen; maximal 75 mg pro Tag
nicht für Kinder unter 14 Jahren zugelassen
lokal
drei- bis viermal täglich eine kirsch- bis walnussgroße Menge dünn in die Haut einreiben
nicht für Kinder unter 14 Jahren zugelassen;
nur auf intakte Haut auftragen

Operation häufig nicht nötig

Einige Schulterprobleme, z. B. Knochenbrüche oder schwerwiegende unfallbedingte Verletzungen, erfordern eine Operation. In vielen Fällen erfolgt die Behandlung von Schulterschmerzen jedoch konservativ, z. B. mithilfe von Physiotherapie oder physikalischer Therapie wie Ultraschall, Reizstrom, Lasertherapie oder einer Stoßwellenbehandlung. Patienten sollten auch zu Hause regelmäßig spezielle Übungen ausführen, um die Schultermuskulatur zu stärken und das Schultergelenk beweglich zu halten.

Bei einer OP-Empfehlung rät Dr. Hirt, sich eine zweite Expertenmeinung einzuholen: „Auf einigen Internetportalen können konkrete Fragen rund um das Schultergelenk an spezialisierte Fachärzte gerichtet werden. Patienten erhalten hier ohne Zeitverzug kompetente Einschätzungen zu MRT-Aufnahmen und eine Diagnosestellung in Form eines kostenpflichtigen Zweitmeinungsgutachtens.“ |

Autorin

Martina Schiffter-Weinle, Studium der Pharmazie an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, 2006 Approbation als Apothekerin. Von 2006 bis 2012 Tätigkeit als Apothekerin in Oxford, Großbritannien. Seit der Rückkehr nach Deutschland Redakteurin bei PTAheute, PTAheute.de. Seit Juli 2018 schreibt sie für die Deutsche Apotheker Zeitung.

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