Grafik: Jan Engel – stock.adobe.com

Management

Friendly Fire

Wie hilfreich ist Kritik?

Wenn ein Kind laufen lernt, zieht es sich hoch, steht auf wackeligen Beinen, versucht einen Schritt zu gehen, um direkt wieder auf der Windel zu landen. Das Spiel wiederholt sich – mehrfach. Und wie reagieren die Eltern? Sehr wahrscheinlich werden sie nicht sagen: „Schätzchen, da musst du besser aufpassen!“ oder „Ich glaube, laufen ist nicht so dein Ding, lass es lieber sein!“ Aber genau das passiert – im übertragenen Sinne – tagtäglich in vielen Unternehmen. Von A. Keck

Ist irgendetwas nicht so gelaufen wie erwartet, wird Kritik geübt und es hagelt Verbesserungsvorschläge. Warum üben wir überhaupt Kritik als Führungskraft? Weil wir unsere Mitarbeiter zu guten Leistungen motivieren wollen, sie sollen sich entwickeln, aus Fehlern lernen, nicht immer wieder in die gleiche Falle tappen. Wir meinen es ja nur gut. Aber machen wir es auch gut? Vielleicht muss sich die vielseits geschätzte Kritik auch mal einen skeptischen Blick gefallen lassen, vor allem was ihren Beitrag zur Personal­entwicklung angeht.

Kritik und der kleine Irrglaube

Es gibt Vorgänge im Unternehmen, für die es einen festen Ablauf gibt, an den sich jeder zu halten hat. Abweichungen davon führen meist zu Fehlern oder zu aufwendigem Nacharbeiten. Überall, wo es ein klar definiertes Vorgehen gibt – Herstellungsanweisungen, Dokumentation oder Ähnliches –, muss darauf hingewiesen werden, wenn die Vorgaben nicht einge­halten werden. Prozessbezogene Rückmeldungen dienen einer Standardisierung und stehen bei dieser Betrachtung außen vor.

Die meisten Abläufe in der Apo­theke lassen sich jedoch nicht in ein ganz starres und vorplanbares Schema pressen, wie z. B. der optimale Umgang mit besonderen Kunden. Trotzdem passiert es, dass die Führungskraft durch ihr Feedback an einen Mitarbeiter „Arbeitsanweisungen erlässt“, wie er mit diesen Kunden umgehen soll. Pauschale Normierungen aufgrund eigener guter Erfahrungen müssen aber nicht für jeden Mitarbeiter der goldene Weg sein. Wenn es um Kritik geht, scheinen sich einige falsche Grundannahmen hartnäckig zu halten.

  • Die Annahme: Feedback ist objektiv

„Feedback“ wird schnell mit „Wahrheit“ verwechselt. Wenn eine Führungskraft Feedback gibt, nehmen wir an, dass sie in der Lage ist, die Situation bewerten zu können, und dass die vorgeschlagenen Lösungsansätze optimal zur Situation und dem Mitarbeiter passen. Feedback gilt in vielen Fällen als objektiv, kann es aber im Grunde genommen gar nicht sein.

Als Feedbackgeber betrachten wir nicht nur den Feedbacknehmer und die isolierte Situation, um die es in dem Moment geht. Unsere Einschätzung ist gefärbt durch unsere Vorlieben und Vorurteile, unser Verständnis und Gefühl sowie unsere ganz eigene Art zu bewerten. Diese Verzerrung hat in relevantem Maße Einfluss und lässt sich auch durch gezieltes Training nicht minimieren. Wäre eine Beurteilung objektiv und unabhängig, gäbe es bei Leistungs­bewertungen oder Notenvergaben sicher keine Meinungsverschiedenheiten. Deutlich wird das auch bei den sehr unterschiedlichen Rückmeldungen, die jeden Tag von Kunden in der Apotheke ge­äußert werden. Ein klassischer Fall von: „Man kann es nicht jedem recht machen!“

  • Die Annahme: Auseinandersetzung mit Schwächen schafft außergewöhnliche Leistungen

Mittlere Führungskräfte müssen 360°-Feedbacks über sich ergehen lassen, weil sie sich angeblich ihrer eigenen Schwächen nicht bewusst sind und nur Außen­stehende ihnen diese vor Augen führen können. Damit soll die persönliche Entwicklung der Führungskraft vorangebracht werden.

Erfolg ist allerdings nicht das Gegenteil von Scheitern und nicht zwingend durch die Einhaltung gängiger Vorgehensweisen zu erreichen. Vielleicht wäre die englische Gruppe Queen nicht so erfolgreich geworden, wenn sie sich an die Norm gehalten und „Bohemian Rhapsody“ auf die im Radio übliche Songlänge von drei Minuten gekürzt hätte?

Es geht darum, seine Stärken zu stärken und nicht an den Schwachstellen mit viel Mühe marginal besser zu werden.

  • Die Annahme: Kritik hilft beim Lernen

Beim Kritisieren geht es uns in der Hauptsache darum, dass die Menschen um uns herum besser werden. Genauer betrachtet geht es darum, dass sich jeder selbst übertreffen kann und erfolgreich ist. Aber wenn es um jeden Einzelnen auf seinem eigenen Weg und in seiner Individualität geht, hilft dann wirklich Kritik? Fehler lassen sich unzählige machen, aber die Lösungen dazu, die gut zu einem passen, sind deutlich weniger.

Kritik ist vorrangig Stress, der Sympathikus wird aktiviert und unser Körper ist auf Kampf oder Flucht eingestellt. Der Fokus wird auf das gelegt, was zum Überleben notwendig ist. Beim Stress verlassen wir uns auf das, was immer gut funktioniert hat. Kreative Ideen und Lernen gehören nicht dazu. Denn die Neurogenese bei Erwachsenen wird durch den Parasympathikus stimuliert. Die Forschung ist diesbezüglich eindeutig: Menschen mitzuteilen, was wir Nega­tives über sie denken, macht sie nicht erfolgreicher und lässt sie nicht über sich hinauswachsen. (Ist ja auch eher demotivierend.) Menschen zu erklären, was sie genau tun sollen, steht dem Lernen sogar im Weg. Wenn eine PTA sich ganz neu daran versucht, Schaufenster zu dekorieren, und nach dem ersten etwas verunglückten Anlauf genaue Anweisungen bekommt, was sie ändern muss, wird das Fenster sicher besser aussehen. Auf dem Weg zu ihrem eigenen „Stil“ ist sie jedoch kein Stück weitergekommen. Sie wird in der Folge vielleicht Dekorationen machen, die „OK“ sind, aber keine echten Hingucker produzieren.

Noch besser lernen wir, wenn sich jemand für unsere Fortschritte interessiert und die Aufmerksamkeit unseren Stärken gilt. Stehen die Schwächen im Mittelpunkt, hemmt das eher das Lernen.

Nicht Mittelmaß, sondern Spitzenleistungen

Mitarbeiter zu korrigieren, wird sie deshalb nicht zu außergewöhnlichen Leistungen motivieren, sondern produziert höchstens Mittelmaß. Aber was ist die Alternative zu Kritik?

  • Feedback geben

Wenn Sie Feedback geben möchten, heben Sie gute Leistungen hervor. Richten Sie den Aufmerksamkeitsfokus darauf, was geglückt ist. Klassisches Lob wie „Tolle Arbeit“ tut sicher gut, hebt aber nicht das Besondere hervor. Achten Sie auf eine Wortwahl, die die persönliche Entwicklung des Gegenübers unterstützt: „Aus meiner Sicht hat Folgendes wirklich gut geklappt …“ Es geht darum, aus der Situation heraus die ganz individuelle, herausragende Leistung darzustellen – alles, wo der Feedbacknehmer auf natürliche Weise und mit Leichtigkeit erfolgreich war, damit er es wiederholen und verfeinern kann. Das hilft dabei, auf ganz eigene Art exzellent zu werden. Wenn Sie als Führungskraft Ihr Team unterstützen wollen, sollte das Hinweisen auf Gelungenes für Sie eine hohe Priorität bekommen. Sagen Sie, was Sie wahrnehmen und wie es auf Sie wirkt.

  • Feedback (hin)nehmen

Wenn Sie Feedback bekommen, sollten Sie dieses nicht als „Wahrheit“ hinnehmen. Erinnern Sie sich daran, dass eine Rückmeldung nicht nur eine Aussage über Sie und Ihre Leistung ist, sondern immer auch eine Aussage über den Feedbackgeber enthält. Wenn Ihnen Bewertungen wie „Das haben Sie klasse gemacht mit dem Kunden!“ zugerufen werden, fragen Sie nach: „Was genau fanden Sie besonders gelungen?“. Auch wenn Ihnen das etwas sonderbar erscheinen mag, so ist nach einem negativen Feedback durchaus die Frage erlaubt: „Und, ist Ihnen auch etwas Positives auf­gefallen?“ Vielleicht sind wir manchmal für die Dinge blind, die wir wie selbstverständlich ­besonders gut machen. Schön, wenn es jemanden gibt, der sie uns ins Bewusstsein ruft.

Personalentwicklung mit Augenmaß

Falls Sie sportlich sind, könnte es bei Ihnen klappen, aber ich schätze meine Chancen, jemals bei den Apotheker-Skimeisterschaften zu gewinnen, als eher gering ein – Feedback und Training hin oder her. Wenn es um Verbesserungen im beruflichen Kontext geht, ist es angenehm, als Mitarbeiter an seinen eigenen Meilensteinen gemessen zu werden und nicht an einem utopischen Idealbild. Es muss nicht jeder alles können. Wenn jeder im Sinne seiner Stärken arbeiten kann, ist das vielleicht schon ein großer Gewinn für das Unternehmen. |

Anja Keck ist Fachapothekerin für Allgemeinpharmazie, Filialleiterin,
Master-Coach (DGfC) und Systemische Beraterin, www.anjakeck.de

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.