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Wirtschaft
Zwischen Hype, Ernüchterung und Konsolidierung
Cannabisproduzenten an der Börse
Eigentlich hatte Bionorica-Chef Michael Popp mit den Cannabisprodukten aus seinem Haus große Pläne: Einen hohen Marktanteil strebte er an, die Marktführerschaft in Deutschland stand auf der Agenda, und im vergangenen Jahr trug der steigende Absatz von Dronabinol und Cannabidiol mit 27 Millionen Euro zum Umsatz bei. Noch auf der Bilanzpressekonferenz Anfang März 2019 wies Popp auf die Chancen dieser Produktklasse hin.
Zwei Monate später dann die Wende. Das Unternehmen gab bekannt, es habe sein Cannabisgeschäft für 225,9 Millionen Euro an das kanadische Unternehmen Canopy Growth verkauft. Bionorica argumentierte, dass ein „sehr umfangreiches und kostenintensives Forschungsprogramm“ zur Erschließung der verschiedenen Therapieoptionen von medizinischem Cannabis notwendig sei. Zudem würden viele neue und finanzkräftige Wettbewerber in den Markt drängen. „Für uns als Mittelständler ist das eine große Herausforderung“, so die Firma, die damit eingestehen musste, in diesem Segment nicht die nötige Masse mitzubringen.
Heiß umkämpfter Cannabismarkt
Der Cannabismarkt ist heiß umkämpft. Seitdem mehr und mehr Länder den Hanfanbau legalisieren beziehungsweise Cannabis zur medizinischen Anwendung freigeben, tauchen immer neue Firmen auf, die auf die lange Zeit als „Kifferkraut“ verschriene Pflanze setzen.
Vorreiter der Bewegung ist Kanada, wo bereits seit 2001 die medizinische Nutzung von Cannabis erlaubt ist. Im Oktober 2018 legalisierte das Land dann auch den sogenannten Freizeitkonsum von Marihuana. Damit dürfen Kanadier Marihuana kaufen, besitzen und konsumieren. Kein Wunder, dass die meisten Cannabisunternehmen heute in Kanada ihren Sitz haben.
Auch in den USA ist der Cannabiskonsum in mehreren Bundesstaaten straffrei, in mehr als 30 Staaten erhalten Schmerz- oder Krebspatienten das Gras auf Rezept. Während in Deutschland der private Cannabiskonsum nach wie vor verboten ist, kann seit dem Frühjahr 2017 medizinisches Cannabis Patienten etwa bei Rheuma oder chronischen Schmerzen vom Arzt verschrieben werden.
Milliardenschwere Umsatzerwartungen
Mit dem rasant steigenden Konsum schrauben Marktbeobachter auch ihre Umsatzerwartungen für die Branche immer weiter nach oben. Prognosen gehen davon aus, dass die weltweiten Ausgaben für legales Cannabis bis 2022 auf 32 Milliarden Dollar steigen werden. 2017 waren es noch neun bis zehn Milliarden Dollar. Manche Auguren prophezeien, dass allein in den USA die Umsätze mit legalem Cannabis bis 2021 auf bis zu 40 Milliarden Dollar jährlich steigen könnten. Kein Wunder, dass die Aktienkurse vieler Hanfunternehmen Kapriolen schlagen und Anlegerportale sowie Newsletter-Betreiber beim Gedanken an Investments in das Rauschmittel in Schnappatmung verfallen. Reißerisch berichten sie von Kurssteigerungen um mehrere hundert Prozent, um Anleger für das grüne Kraut zu begeistern.
Doch ein Kursgewinn bei Cannabisaktien ist keinesfalls so sicher wie der Rausch beim Konsum der Hanfpflanzen. Denn nach starken Zuwächsen in den vergangenen Jahren haben viele Papiere vor allem in den zurückliegenden Monaten kräftig Federn lassen müssen. Zwar lockt die Branche mit einem milliardenschweren Marktvolumen, andererseits sollten Investoren berücksichtigen, dass die Wachstumseuphorie die Bewertungen der Hanffirmen bereits in luftige Höhen getrieben hat. Darüber hinaus hat in der Branche ein Verdrängungswettbewerb eingesetzt. Große und starke Unternehmen übernehmen mittlerweile vielfach kleinere und jüngere Firmen. Außerdem entdecken etablierte Konzerne aus dem Nahrungs- und Genussmittelsektor die Cannabisindustrie zunehmend als Add-on für ihr eigenes Produktportfolio und kaufen sich teilweise mit Milliardensummen bei den Hanffirmen ein.
Noch ist nicht absehbar, welche Unternehmen am Ende zu den Siegern des Selektionsprozesses zählen werden. Die Neuordnung in der Branche führt aber dazu, dass sich gerade die Spreu vom Weizen trennt. Gezielte Investments können damit wieder eine Überlegung wert sein.
Branchenkenner raten dazu, auf die großen Namen der Hanfindustrie zu setzen, da diese bei der laufenden Konsolidierung eine aktive Rolle spielen und die größten Chancen haben, auch künftig zu bestehen. An erster Stelle steht dabei zweifellos Canopy Growth, eben jenes Schwergewicht, mit dem auch Bionorica ins Geschäft gekommen ist. Die Kanadier mit ihrer breiten Palette an medizinischem Cannabis sind der Platzhirsch in der Branche. Nachdem 2018 zudem der Getränkeriese Constellation Brands mit vier Milliarden Dollar bei Canopy eingestiegen ist, um Cannabidiol-Getränke zu entwickeln, verfügt das Unternehmen über jede Menge Cash.
Mark Zekulin, Co-Chef von Canopy Growth, sieht insbesondere im europäischen Cannabismarkt eine „hohe Dynamik“. Bisher in 13 Ländern auf fünf Kontinenten tätig, will das Unternehmen künftig einen größeren Fußabdruck im europäischen Markt hinterlassen und neue Produkte auf den Markt bringen. Schmerz ist dabei für Zekulin die größte Indikation beim medizinischen Einsatz von Cannabis.
Wirtschaftlich hat das Unternehmen allerdings noch Luft nach oben. Zuletzt stand einem Neun-Monats-Umsatz von 147 Millionen Dollar ein Verlust von 347 Millionen Dollar gegenüber. Solche Relationen funktionieren nur für eine bestimmte Zeit.
Mit einer Marktkapitalisierung von über zehn Milliarden kanadischen Dollar (CAD) spielt auch Aurora Cannabis in der ersten Liga der Branche mit. Im Gegensatz zur Konkurrenz fokussiert sich das Unternehmen nicht auf die Freizeitkonsumenten, sondern auf medizinisches Cannabis. Zuletzt machte dieses 54,6 Prozent der Verkäufe von Aurora aus, „Gras“ für Freizeitnutzer trug demnach 45,4 Prozent zu den Verkaufszahlen bei. Zum Vergleich: Canopy Growth verkaufte im vergangenen Quartal 80 Prozent seiner Produkte auf dem Freizeitmarkt. Die größten Wachstumsmöglichkeiten für medizinisches Cannabis sieht Chief Corporate Officer (CCO) Cam Battley auf dem europäischen Markt. „Europa ist ein Markt, auf dem es wenig Konkurrenz gibt“, sagte er kürzlich.
Ähnlich wie im Fall Canopy – Constellation Brands soll der Brauseriese Coca-Cola an einer Partnerschaft mit Aurora interessiert sein. Der Konzern erwägt, künftig Getränke mit Cannabidiol herzustellen.
Allerdings ist auch dieses Unternehmen noch weit von der Profitabilität entfernt. In den ersten neun Monaten des laufenden Geschäftsjahres 2018/2019 machte Aurora bei einem Umsatz von gut 158 Millionen CAD einen Verlust von 296 Millionen CAD.
Auf mittlerweile sechs Jahre Existenz bringt es das 2013 im kanadischen Nanaimo gegründete Unternehmen Tilray. Nachdem die Firma im Juni 2018 an die US-Börse Nasdaq gegangen war, schoss der Kurs von knapp 25 auf über 175 Dollar hoch – nur um seitdem wieder kontinuierlich an Wert zu verlieren. Zu den Geldgebern gehört der bekannte US-Investor Peter Thiel mit seinem Founders Fund. Mit fast drei Milliarden US-Dollar Marktkapitalisierung ist Tilray ebenfalls eines der Schwergewichte am nordamerikanischen Aktienmarkt. Bei den Produktionsmengen sind Konkurrenten wie Aurora dem Unternehmen jedoch weit voraus. Und auch von der Gewinnzone ist Tilray angesichts seiner aggressiven Expansionsstrategie noch weit entfernt.
Wer beim Börsengang des kanadischen Cannabisproduzenten Cronos Ende 2014 dabei war, zahlte weniger als 80 kanadische Cent für einen Anteilsschein. Nach einem Höhenflug bis auf über 31 CAD Anfang März 2019 stürzte das Papier in den folgenden Wochen bis auf gut 18 CAD ab. Für Erstzeichner immer noch eine satte Rendite. Für Späteinsteiger zeigt der Kursverlauf allerdings, welches Risiko in diesen Papieren steckt.
Die Fantasie der Anleger explodierte förmlich, als Ende vergangenen Jahres der Marlboro-Hersteller Altria in großem Stil bei Cronos einstieg. Der Tabak-Riese kündigte an, Aktien im Wert von rund 1,8 Milliarden Dollar kaufen und damit einen Anteil von 45 Prozent an dem Unternehmen erwerben zu wollen. Zudem sicherte sich Altria die Option, für gut eine Milliarde Dollar weitere etwa zehn Prozent aufzustocken und so mit 55 Prozent die Mehrheit an den Kanadiern zu übernehmen.
Ein vergleichsweise kleiner Marktteilnehmer unter den Großen ist das ebenfalls kanadische Unternehmen Aphria. Die Firma aus Leamington, Ontario, wurde 2014 gegründet und verfolgt laut Medienberichten die Strategie, sich als Discounter von der Konkurrenz abzugrenzen. Im Juli 2018 kündigte Aphria an, eine Reihe von südamerikanischen Cannabisunternehmen erwerben zu wollen.
Aktionäre brauchen bei dem Wert gute Nerven, der Kurs schlägt in wilden Sprüngen nach oben und unten aus. In jüngster Zeit waren es insbesondere Übernahmespekulationen, die die Aktie getrieben haben: So hatte der US-amerikanische Konkurrent Green Growth Brands Interesse an Aphria gezeigt, stieß damit aber auf wenig Gegenliebe beim Management der Cannabisfirma.
Hanf-affine Zocker werden möglicherweise einen Blick auf Werte wie FSD Pharma, MediPharm Labs, World Class Extractions Inc, TransCanna Holdings Inc oder Valens Groworks werfen. Sie sollten nicht erwarten, damit ein Investment für den ruhigen Schlaf zu erwerben.
Eine Alternative könnte der im Dezember 2018 aufgelegte Fonds WS-HC Hanf Industrie Aktien sein. Der Hamburger Initiator Daniel Stehr und seine Mitarbeiter wählen aus 350 Aktien etwa 35 für das Portfolio aus. Das Fondsvolumen ist allerdings noch sehr klein. Ein ähnliches Investment bietet der Horizons Marijuana Life S. ETF. Der Indexfonds streut das Anlagevermögen auf knapp 50 Hanf-Titel.
Bionorica: Fokus aufs Kerngeschäft
Und Bionorica? Überlässt der Neumarkter Phytospezialist das angeblich so lukrative Cannabisgeschäft nun ganz Canopy Growth? Das Unternehmen drückt sich kryptisch aus, wenn es mitteilt, durch eine „langfristig angelegte Forschungskooperation“ mit Canopy könne Bionorica seine „Vision weiter verfolgen, neue Therapieangebote für schwerstkranke Patienten zu entwickeln“. Firmenchef Popp stellt aber auch klar, dass sich sein Unternehmen auf das Kerngeschäft fokussieren werde – und das sind nun mal Phytopharmaka. |
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