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Management
Patienten mit (vermutetem) Arzneimittelmissbrauch
Wie Sie es schaffen, ins Gespräch zu kommen
Intensivverwender haben häufig davon gehört, dass es beispielsweise mit Schmerzmitteln Probleme geben kann. Und sie werden jedes Mal daran erinnert, wenn sie ein solches Präparat kaufen. Denn in ihrer Wahrnehmung signalisieren die Fragen „Ist es für Sie?“ oder „Kennen Sie die Tabletten schon?“ – meist begleitet von einem ernsten Ton und einer eher besorgten Mimik – Folgendes: „Der Apotheker vermutet, dass ich das Schmerzmittel missbrauche, und will es mir am liebsten nicht verkaufen.“ (Und damit haben sie ja häufig recht.)
Für Kunden klingt „Missbrauch“ so, als würden sie sich mithilfe des gewünschten Arzneimittels aus böser Absicht berauschen und schließlich süchtig werden. Missbrauch klingt nach einem Vergehen, das unterbunden und im Zweifel bestraft werden muss. Zudem unterscheidet der Laie nicht zwischen Begriffen wie „Missbrauch“, „Sucht“ und „Drogenabhängigkeit“. Verständlich, dass er ein Gespräch hierüber unbedingt vermeiden will, bevor er mit irgendwelchen Drogenabhängigen auf eine Stufe gestellt wird.
Das Präfix „miss“ hat im Deutschen immer eine negative Bedeutung im Sinne von falsch oder unzulänglich. Denken Sie beispielsweise an Misstrauen, Missbildung, Missachtung. Und weil der Begriff „Missbrauch“ von kulturellen Normen bestimmt ist und zumeist eine stark negative Bewertung ausdrückt, wird er in der Fachliteratur als sehr unscharfe Bezeichnung diskutiert und für wissenschaftliche Zwecke als wenig brauchbar angesehen (s. „Merke I“).
Merke I
Die ICD-10 der WHO (International Classification of Deseases, 10. Ausgabe) verwendet daher die sachlich korrekte Bezeichnung „schädlicher Gebrauch von nichtabhängigkeitserzeugenden Substanzen”.
Hier wird der schädliche Gebrauch definiert als „wiederholter und nicht angebrachter Gebrauch einer Substanz, die, obwohl die Substanz kein Abhängigkeitspotenzial hat, zu schädlichen körperlichen oder psychologischen Effekten führt“.
Damit ist eine klare Abgrenzung zur Sucht gegeben, also der physischen und psychischen (stoffgebundenen) Abhängigkeit z. B. von Drogen, Psychopharmaka oder Alkohol.
Gründe für den schädlichen Gebrauch
Viele Kunden erleben, dass die Medikamenteneinnahme notwendig ist, um vorhandene Symptome zu beseitigen, wie Schlafstörungen oder chronische Schmerzen. Damit werden diese Präparate zu einer unverzichtbaren „Lebenshilfe“. Zudem bieten Medikamente einen Ausweg aus Alltagsbelastungen, wie Erfolgsdruck, Lärmbelästigung, Schichtarbeit oder Krisen in der Partnerschaft.
Merke II
Jedes Verhalten macht „Sinn“. Für jedes Verhalten gibt es „gute Gründe“, selbst wenn man sie nicht nachvollziehen kann.
(Aus „Systemische Grundlagen“ von Dr. Jürgen Beushausen)
Tatsächlich wissen Apothekenkunden häufig nichts über die schädlichen Wirkungen ihres Arzneimittels. Sie gehen davon aus, dass rezeptfreie Medikamente auch bei Dauergebrauch unschädlich sind.
Genau das suggeriert ja auch die Werbung. Gönnen Sie sich selbst doch einmal zwischen 17.43 und 20 Uhr eine halbe Stunde des Vorabendprogramms im öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Angesichts der zahlreichen Werbespots zu Medikamenten wundert es kaum, dass die Selbstmedikation zuweilen auch übertrieben wird.
Wie kommen Sie ins Gespräch?
In Paragraf 17 Absatz 8 der Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO) ist verankert, dass das pharmazeutische Personal einem erkennbaren Arzneimittelmissbrauch in geeigneter Weise entgegentreten muss. Bei begründetem Verdacht auf Missbrauch sei die Abgabe zu verweigern. Im entsprechenden Leitfaden der BAK wird die „geeignete Weise“ konkretisiert mit „Information der Beteiligten“.
Aus Gesprächen mit vielen Apothekerinnen und Apothekern weiß ich, dass dieser Paragraf selten umgesetzt wird. Sie haben resigniert, wenn sie immer wieder erleben müssen, dass Kunden die Fragen nach dem „Warum“ und „Wie viel“, vor allem aber Beratungsversuche gekonnt abblocken.
Merke III
Wenn Sie klären möchten, ob tatsächlich ein schädlicher Medikamentengebrauch vorliegt, ist es wichtig, sich stärker auf ein persönliches Gespräch mit dem Menschen zu konzentrieren, als das Augenmerk ausschließlich auf die fachliche Information und die medizinisch letztendlich schädlichen Folgen dieses Gebrauchs zu legen.
Erst wenn Sie die Gründe des Patienten für sein Verhalten (er)kennen, haben Sie überhaupt eine Chance, ein motivierendes Gespräch mit dem Ziel einer Verhaltensänderung zu führen. Wenn Sie dabei keine Schuldvorwürfe erheben oder penetrante Fragen stellen, sondern aufrichtiges Interesse zeigen und Hilfe anbieten, wird ein solch schwieriges Gespräch viel eher gelingen.
Hier meine Empfehlungen für den Gesprächseinstieg:
Nennt der Kunde seinen problematischen Arzneimittelwunsch, ist es wichtig, zunächst eine Gesprächsbeziehung aufzubauen. Das gelingt am ehesten, wenn Sie Übereinstimmung herstellen. Beginnen Sie daher das Gespräch mit Sätzen und Fragen, denen dieser Kunde problemlos zustimmen kann – mit einem Kopfnicken oder einem „Ja“:
Wiederholen Sie als erstes seinen Arzneimittelwunsch: „Fünfzig Aspirin-Tabletten“ oder „Zweimal zwanzig Thomapyrin“.
Halten Sie freundlichen Blickkontakt, damit Sie das Nicken oder die Bestätigung des Kunden wahrnehmen und noch einmal positiv darauf reagieren können mit: „Ja, gerne.“
Holen Sie das gewünschte Arzneimittel. Wenn Sie es nicht holen und zuerst Ihre Fragen stellen, wird der Kunde verunsichert und sich fragen, ob Sie es ihm überhaupt geben oder doch verweigern wollen. Aber solange der Kunde verunsichert ist, wird er innerlich abblocken und Ihnen nicht vertrauen. „Hier ist es“, können Sie sagen und der Kunde wird ein weiteres Mal nicken.
Pflichten Sie dem Kaufwunsch bei. Nennen Sie die positiven Wirkungen und den Nutzen dieses Arzneimittels, beispielsweise: „Das ist ein wirklich hilfreiches Mittel gegen Schmerzen.“
Wichtig ist, dass Sie freundlich Blickkontakt halten und gut auf die Reaktion des Kunden achten. Nur wenn der Kunde erkennbar zustimmt, sind Sie im Kontakt. Wenn er nicht reagiert, haben Sie noch keinen Kontakt erreicht.
Binden Sie die Erfahrung des Kunden mit ein. Fragen Sie ihn „Kommen Sie gut damit zurecht?“ oder „Hilft es Ihnen gut gegen Ihre Schmerzen?“ und beobachten Sie, ob und wie der Kunde darauf reagiert.
Literaturtipp
Als Band 5 der „Suchtmedizinischen Reihe“ hat die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen e. V. (DHS) das Thema „Medikamentenabhängigkeit“ bearbeitet. Die 192-seitige Broschüre kann unter www.dhs.de bestellt werden. Wenn Sie auf DAZ.online den Webcode B4WX5 eingeben, können Sie die Broschüre auch direkt kostenlos herunterladen.
Erst wenn Sie im Kontakt sind, können Sie seine Antwort zum Thema machen und ein Gespräch anbieten. Gehen Sie dabei nicht davon aus, dass Sie Kunden mit einem Dauerfehlgebrauch von heute auf morgen umkrempeln können. Deren Problem besteht vielleicht schon seit Jahren und Sie werden es nicht kurzfristig lösen.
Wenn Sie keinen Kontakt herstellen konnten und der Kunde beim ersten Gesprächsangebot unzugänglich bleibt, brechen Sie an dieser Stelle freundlich das Fragen ab.
Es erfordert ein hohes Maß an Geduld, um Einsicht zu wecken. Darum geben Sie nicht auf, mit diesen Patienten immer wieder ins Gespräch zu kommen und Ihre Hilfe anzubieten. |
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