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Gesundheitspolitik
Gute Argumente für die Apotheke vor Ort
Über die Bedeutung von Wettbewerb, Versandhandel und Gleichpreisigkeit für die Arzneimittelversorgung
Aus welchen Gründen kann der freie Wettbewerb im Apothekenmarkt keine gute Lösung herbeiführen?
Nach den Regeln der Marktwirtschaft schöpfen Anbieter die Zahlungsbereitschaft potenzieller Käufer möglichst aus. Je notwendiger die Leistung akut gebraucht wird, umso höher ist die Zahlungsbereitschaft (z. B. Schlüsseldienst). Demzufolge könnten Apotheker in Notfällen mit eiligem Medikations- oder dringendem Beratungsbedarf Monopolpreise durchsetzen. In der Versorgung von Standardfällen würde es hingegen in einem freien Wettbewerb dazu kommen, dass für Apotheken auskömmliche Preise, mit denen das hoch qualifizierte Personal und die Apothekenausstattung bereitgehalten und finanziert werden können, nicht durchsetzbar sind. Beide Situationen sind unerwünscht und sollten aus volkswirtschaftlicher Sicht durch steuernde Eingriffe in den freien Markt korrigiert werden. Auch eine gleichmäßige regionale Verteilung von Apotheken, ohne größere Lücken, würde in einem freien Markt nicht zustande kommen, da sich die Profitabilität lageabhängig stark unterscheidet. Regulierungen dienen also dazu, die wirtschaftliche Existenzfähigkeit von Apotheken als Mittel zur Sicherstellung der ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung der Bevölkerung insgesamt und bundesweit zu gewährleisten. Zugleich werden Verbraucher vor marktwirtschaftlichen Kräften bewahrt, die im Kontext der Gesundheitsversorgung gesellschaftlich unerwünscht und sozialpolitisch nicht vertretbar sind.
Welche besondere Rolle spielt der Versandhandel in diesem Kontext?
Der Versandhandel kann aus Verbrauchersicht in bestimmten Fällen, wie z. B. der Chronikerversorgung, eine bequeme, hinreichend schnelle und sichere Quelle für den Bezug von Arzneimitteln sein. Die betreffenden Umsätze der Versandhändler gehen den Vor-Ort-Apotheken verloren und können nachweislich speziell im ländlichen Raum die Existenz wichtiger Apothekenstandorte gefährden. Wenn solche Apotheken aus gesundheitspolitisch wichtigen Versorgungsgründen erhalten bleiben sollen, müssen sie durch höhere Preise oder andere finanzielle Zuwendungen gestützt werden. In der Summe steigen demnach für das Gesundheitssystem die Kosten der Arzneimittelversorgung. Billiger wird die Versorgung nur, wenn auf einen wirtschaftlichen Ausgleich der versandbedingten Umsatzrückgänge bei Vor-Ort-Apotheken verzichtet wird. Auf diese Art fallen allerdings schon bei geringen Marktanteilsverlusten sehr viele Apotheken unter die Rentabilitätsschwelle.
Warum kann die Existenz von Vor-Ort-Apotheken schon bei geringen Marktanteilsverlusten an den Versandhandel gefährdet sein?
Der Grund liegt in der speziellen betriebswirtschaftlichen Situation von Apotheken: Eine typische Apotheke, mit einem Jahresumsatz von 1 bis 2 Mio. Euro, benötigt den Großteil dieses ganzen Betrags, um ihre Betriebskosten (Wareneinkauf, Personalkosten, Miete etc.) zu decken. Nur aus einem relativ geringen Betrag, um den der Umsatz letztlich die Kosten übersteigt, kann der Apothekeninhaber seinen Unternehmerlohn ziehen. So erklärt sich, dass ein Umsatzrückgang um einen bestimmten Prozentsatz, gemäß durchgeführter Modellrechnungen, zu einem dreimal so hohen prozentualen Gewinnrückgang führen kann. Bei einem unternehmerischen Gewinn zwischen 60.000 und 100.000 Euro, wie er bei vielen Apotheken gegeben ist, kann ein Rückgang deshalb überraschend schnell das wirtschaftliche „Aus“ bedeuten. Der Zusammenhang zwischen Umsatz und Existenzfähigkeit von Vor-Ort-Apotheken sowie dem Marktanteil des Versandhandels ist mathematischer Natur und als Ausgangspunkt politischer Überlegungen als gesetzt anzusehen. Gleiches gilt für Ergebnisse aus Marktforschung und Verbraucher-Befragungen, die zeigen, dass signifikante Verschiebungen von Marktanteilen hin zu den Versandapotheken schon bei Preisvorteilen in Höhe von 1 bis 2 Euro zu erwarten sind.
Welche spezielle Bedeutung hat die Gleichpreisigkeit bei Arzneimitteln im Zusammenhang mit dem Versandhandel?
Freie Märkte mit wettbewerblichen Preisen können nur effizient funktionieren, wenn die Konsumenten gut informiert und in der Lage sind, souveräne und rationale Entscheidungen zu treffen. Patienten, die in der Regel pharmazeutische Laien sind, erkennen häufig einen Beratungsbedarf oder Interventionsanlass (z. B. Notwendigkeit eines Arztbesuchs) nicht oder schätzen dessen Bedeutung für die eigene Gesundheit falsch ein. Wenn der Beratungsbedarf aufgrund solcher Informationsasymmetrien unterschätzt wird, besteht dementsprechend für die Beratungsleistung auf Verbraucherseite keine angemessene Zahlungsbereitschaft. Preisvorteile, die z. B. eine Versandapotheke bietet, können dann zu einem maßgeblichen (aber unsachgemäßen) Entscheidungskriterium darüber werden, ob eine persönliche Medikamentenabgabe und Beratung oder der Versandweg in Anspruch genommen wird. Aus analogen Überlegungen heraus sind z. B. Arztbesuche nicht mit einer Praxisgebühr verbunden.
Der mit der Apothekenpflicht verfolgte Verbraucherschutzgedanke läuft zum Teil leer, wenn für den Verbraucher finanzielle Fehlanreize bzw. Hürden bestehen, eine Rezepteinlösung in der Apotheke mit persönlicher Beratung in Anspruch zu nehmen. Die Sicherstellung der ordnungsgemäßen Versorgung verlangt nicht nur, dass Apotheken vorhanden und pharmazeutische Beratung und Kontrolle angeboten werden, sondern unabhängig von finanziellen Hürden auch tatsächlich nachgefragt werden.
Ist die Forderung eines Rx-Versandverbots mit marktwirtschaftlichen Prinzipien in Einklang zu bringen?
Die Ökonomie lehrt, dass ein freier Wettbewerb nur dann aus gesellschaftlicher Sicht zu bestmöglichen Ergebnissen führt, wenn der betreffende Markt bestimmte Voraussetzungen erfüllt. Diese Voraussetzungen sind im Apothekenmarkt u. a. durch die genannten Informationsasymmetrien und die fehlende Konsumentensouveränität nicht gegeben, sodass hier von einem Marktversagen zu sprechen ist. Verbote für bestimmte Anbieter sind ökonomisch als Ultima Ratio anzusehen und nur in Fällen angezeigt, wo mildere Eingriffe nicht zum gewünschten Erfolg führen können. In der Tat zeigt allerdings die wettbewerbsökonomische Analyse in Verbindung mit durchgeführten Modellrechnungen und empirisch belegten Entwicklungen, dass negative Folgen für die flächendeckende Apothekenversorgung nur durch ein Versandverbot ausgeschlossen werden können. Es ist demnach eine Güterabwägung zu treffen, bei der auf der einen Seite die wirtschaftlichen Interessen der Versandhändler und die Bedürfnisse derer Kunden und auf der anderen Seite die Vor-Ort-Apotheken und das Gemeinwohlinteresse an dem Erhalt der Versorgungsstrukturen stehen. In Anbetracht der Tatsache, dass die Versandbelieferung in Spezialfällen, wo diese hohen Nutzen für die Patienten hat, auch unter einem grundsätzlichen Versandverbot gewährleistet werden könnte, erscheint ein solches Rx-Versandverbot als pragmatische und zugleich ökonomisch angemessene Lösung.
Gibt es politische Alternativen zu einem Rx-Versandverbot?
Alternativen, die das beschriebene Marktversagen mit gleicher Treffsicherheit und ebenso umfassend lösen, gibt es nicht. Wenn allerdings ein Versandverbot politisch keine Mehrheit findet, wohl aber der Gedanke, dass die Apothekenstruktur in Deutschland ein hohes Gut ist, dann bleibt als unverzichtbare Mindestanforderung nur die Gleichpreisigkeit, d. h. ein für alle Anbieter im In- und Ausland bindendes Verbot von Boni für den Versicherten bei der Abgabe von Rx-Präparaten. Vorschläge, die darauf hinauslaufen, dass die Krankenkassen zwar einen Einkaufsrabatt erhalten, diesen aber vollständig in einen Strukturfonds z. B. zur Unterstützung von Landapotheken einzahlen müssen, wären mit dieser Forderung vereinbar. Entscheidend für den Erhalt der Apotheken und für den Gesundheitsschutz des Einzelnen ist, dass dieser keinerlei finanziellen Anreiz hat, auf einen persönlichen Apothekenbesuch zu verzichten und aus rein finanziellen Gründen den Versandweg zu wählen.
Welche sonstigen Eckpfeiler sind entscheidend, um die Apothekenversorgung zukunftsfähig zu gestalten?
Mit der Gleichpreisigkeit ist das Ziel, die flächendeckende und relativ gleichmäßige Verteilung von Apotheken im Raum auch künftig zu sichern, noch nicht erreicht. Hierzu wäre ergänzend die Schaffung eines zentral organisierten Unterstützungsfonds für existenzgefährdete und für die flächendeckende Versorgung notwendige Apotheken anzuraten. Zudem wäre es, wie internationale Erfahrungen zeigen, gesundheitsökonomisch sinnvoll, pharmazeutische Dienstleistungsangebote – konkrete Beispiele dazu finden sich in den erwähnten Gutachten – auszubauen, die dann aus einem zusätzlich bereitzustellenden Budget (überwiegend aus GKV-Mitteln) zu finanzieren wären.
Gesundheitspolitischer Klarstellungsbedarf besteht dahingehend, dass die derzeit praktizierte Quersubventionierung der pharmazeutischen Leistungen bei der Abgabe von OTC-Präparaten aus den packungsbezogenen Rx-Zuschlägen nicht nur rechtlich begründbar, sondern auch für den Verbraucherschutz respektive die Arzneimittelsicherheit notwendig und daher explizit gewünscht ist. Im Rahmen der Selbstmedikation leisten die Apotheken eine für das Gesundheitssystem entlastende Wertschöpfung, die weit über das Volumen dieser Quersubventionierung hinausgeht und daher gesellschaftlich sinnvoll ist. |
Literaturtipp
U. May/C. Bauer/H.-U. Dettling
Versandverbot für verschreibungspflichtige Arzneimittel
Deutscher Apotheker Verlag, Stuttgart 2017, ISBN 978-3-7692-7038-9
U. May/C. Bauer/H.-U. Dettling
Honorierungssystem für Apotheken
Deutscher Apotheker Verlag, Stuttgart 2018, ISBN 978-3-7692-7315-1
Zu bestellen bei service@deutscher-apotheker-verlag.de oder www.deutscher-apotheker-verlag.de
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