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Recht
AU per WhatsApp
Muss der Arbeitgeber Fern-Krankschreibungen akzeptieren?
Arbeitsrechtlich reicht jede „ärztliche Bescheinigung“ aus, um den Entgeltfortzahlungsanspruch des Arbeitnehmers auszulösen. Gesetzliche Formvorschriften existieren nicht. Das Entgeltfortzahlungsgesetz und der Bundesrahmentarifvertrag für Apothekenmitarbeiter ordnen eine „Vorlage“ an. Das könnte für eine Schriftform sprechen. Dann wäre eine körperliche Urkunde (Papier!) erforderlich, die vom Arzt eigenhändig unterschrieben ist. Das Gesetz selbst verlangt aber keine Schriftform, sondern nur eine „Vorlage“ der AU-Bescheinigung – freilich im Original. Ein eingescanntes Dokument einer andernorts körperlich existierenden AU-Bescheinigung genügt also nicht. Das Gesetz bezieht sich erkennbar nur auf den „Arbeitgeber-Schein“, d. h. das eine Blatt der AU-Bescheinigung, das für den Arbeitgeber bestimmt ist. Wird dieses Stück Papier durch ein „Original“ im Sinne einer signierten Datei ersetzt, wäre dem Gesetz genüge getan. Denn die außer Frage stehende besondere Nachweisfunktion einer AU-Bescheinigung kann auch dadurch erreicht werden, dass der Arbeitnehmer ein mit einer anerkannten Signatur ausgefertigtes elektronisches Dokument übermittelt. Reicht eine digitale Bescheinigung also aus?
Nun, in der Gesundheitswirtschaft müssen grundsätzlich die Bereiche der Gesetzlichen und der Privaten Krankenversicherung (GKV/PKV) getrennt betrachtet werden. Der Vertragsarzt im Bereich der GKV ist bei der Bescheinigung des Gesundheitszustandes an die Arbeitsunfähigkeitsrichtlinie (AU-RL) des G-BA gebunden, die vor allem die Verwendung eines Vordrucks in Papierform anordnet. Hat sich der GKV-versicherte Arbeitnehmer also von einem Vertragsarzt untersuchen und krankschreiben lassen, reicht die rein digitale Version einer Bescheinigung oder die elektronische Übersendung des Vordrucks nicht aus, um der Nachweispflicht des Arbeitnehmers zu genügen. Der Arbeitgeber hat immer das Recht, sich das Original, also den Vordruck, vorlegen zu lassen.
Der Privatarzt, der eine AU-Bescheinigung für einen PKV-Versicherten oder GKV-versicherten Selbstzahler ausstellt, ist indes nicht an die Formvorschriften der Arbeitsunfähigkeits-RL gebunden, sodass sich die Frage stellt, ob diese ebenfalls in Papierform auszustellen ist oder ob eine digitale AU-Bescheinigung ausreichend ist. Im zweiten Fall müsste der Arbeitnehmer kein Schriftstück mehr vorlegen, sondern könnte das elektronische Dokument an seinen Arbeitgeber weiterleiten, um seiner Nachweispflicht zu genügen. Das „Original“ wäre dann das originär digitale Dokument.
Weder das ärztliche Berufsrecht noch die Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) schreiben für die Ausstellung von Gesundheitszeugnissen eine bestimmte Form vor. Das Berufsrecht ordnet allein an, dass Ärzte bei der Ausstellung ärztlicher Gutachten und Zeugnisse mit der notwendigen Sorgfalt zu verfahren haben und nach bestem Wissen ihre ärztliche Überzeugung „aussprechen“. Die GOÄ verlangt nur für den ausführlichen Befundbericht nach Nr. 75 die Schriftform. Für eine AU-Bescheinigung nach Nr. 70 GOÄ gilt dies indes nicht. Es ist dem Privatarzt also unbenommen, insoweit eigene Muster zu verwenden, die er dem Arbeitnehmer rein digital übersenden kann (etwa über eine App). Um den Anforderungen einer persönlichen Leistungserbringung gerecht zu werden, muss dieses Dokument jedoch den Arzt erkennen lassen und von ihm entsprechend sicher digital signiert sein.
Im Zweifelsfall gerichtliche Klärung
Hat der Apotheker Zweifel an dem ausgestellten Gesundheitszeugnis, kann er die Entgeltfortzahlung verweigern und die PTA zu einer gerichtlichen Geltendmachung zwingen. In einem solchen Verfahren trägt dann die PTA die volle Beweislast für ihre Arbeitsunfähigkeit. Die ärztliche Feststellung der Arbeitsunfähigkeit ist vom Gericht neben anderen Beweismitteln frei zu würdigen und in die Gesamtheit der im Einzelfall relevanten Aspekte einzuordnen. Entsprechende Zweifel können sich aus zwei Aspekten ergeben: aus der Bescheinigung und deren Inhalt selbst sowie aus den tatsächlichen Umständen der Erteilung der Bescheinigung.
Das Bundesarbeitsgericht hatte bereits im Jahr 1976 über einen Fall zu urteilen, in dem eine AU-Bescheinigung ohne eine persönliche Untersuchung des Arbeitnehmers, sondern allein aufgrund einer fernmündlichen Krankmeldung durch die Ehefrau des Patienten ausgestellt wurde. Das Gericht ging davon aus, dass ohne eine vorangegangene Untersuchung des Arbeitnehmers der Beweiswert einer AU-Bescheinigung beeinträchtigt wird, sodass sie in der Regel nicht als Nachweis der Arbeitsunfähigkeit dienen kann, denn die für den Befund erforderlichen Informationen müssen ordnungsgemäß erhoben werden. Dazu gehört nach allgemeiner Meinung, dass sich der Arzt „persönlich“ vom Zustand des Patienten überzeugt. Das Vertrauen in das ärztliche Zeugnis beruht nämlich darauf, dass eine ordnungsgemäße Informationsgewinnung stattgefunden hat.
„Persönlich“ bedeutet, dass es nicht durch Dritte erfolgen darf; gegen eine Verwendung von Medien spricht jedoch nichts. Daher kann eine Videokonferenz zwischen Arzt und Patient für die Fernbehandlung ausreichend sein. Im Einzelfall kann auch eine telefonische Konsultation genügen, wenn die Diagnose durch reines Befragen abgeklärt werden kann. Es erscheint unwahrscheinlich, dass Kammern und Berufsgerichte die Durchsicht eines beantworteten Fragebogens allein als Akt „persönlicher“ Überzeugung ansehen würden.
Einschalten der zuständigen Krankenkasse
Bei Zweifeln, ob eine Arbeitsunfähigkeit tatsächlich besteht, kann der Apotheker auch von der zuständigen Krankenkasse verlangen, dass diese ein Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung oder des Prüfdienstes der Privaten Krankenversicherung zur Überprüfung der Arbeitsfähigkeit einholt. Verweigert die PTA die Durchführung einer solchen Untersuchung oder entbindet sie den behandelnden Arzt nicht von dessen Schweigepflicht, kann das im Streitfall ebenfalls gegen das Bestehen der Arbeitsunfähigkeit sprechen. Bei Zweifeln kann die Krankenkasse sogar selbst ihren Medizinischen Dienst zur Begutachtung der Arbeitsunfähigkeit einschalten und – gestützt auf dessen Stellungnahme – die Zahlung des Krankengeldes verweigern.
Für den gesetzlich versicherten Arbeitnehmer besteht sicher eine größere Gefahr, dass sich der MDK bei Vorlage eines Selbstzahler-Attests einschaltet, als für den privat versicherten Arbeitnehmer, dessen Krankenkasse diese Art von AU-Bescheinigungen gewohnt ist. Wie GKV und PKV auf die Einreichung von Fern-AU reagieren, bleibt abzuwarten. Eine Fern-AU aufgrund eines Anamnesebogens, der beliebige Antworten zulässt, dürfte sicher jeden Sachbearbeiter hellhörig werden lassen – und den aufmerksamen Apotheker. |
Vorreiter AU-Schein.de
Vorreiter bei der Fern-Krankschreibung ist das Hamburger Startup Dr. Ansay AU-Schein GmbH. Angeboten wird eine Krankschreibung per WhatsApp über Smartphone oder Tablet unter AU-Schein.de. Zielgruppe sind alle gesetzlich und privat versicherten Arbeitnehmer, die eine deutsche Krankschreibung vorlegen müssen, nur Erkältungssymptome haben und zu keiner Risikogruppe gehören. Wer die Krankschreibung werktags von Montag bis Freitag bestellt, erhält laut Homepage den AU-Schein in der Version für den Arbeitgeber bis abends als Foto über WhatsApp und zwei Tage später per Post zusammen mit der Version für die Krankenkasse. Die Krankschreibung durch den jeweiligen diensthabenden Arzt erfolgt maximal für drei Tage, der Service darf zweimal im Jahr in Anspruch genommen werden. Die Krankschreibung kostet 9 Euro und wird per PayPal bezahlt. Laut Homepage versucht AU-Schein.de derzeit, Verträge mit Krankenversicherungen zu schließen, damit diese die Kosten übernehmen.
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