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Management
Sucht geht uns alle an!
Über den richtigen Umgang mit abhängigen Kollegen
Eine Abhängigkeit besteht laut WHO, wenn mindestens drei der folgenden fünf Kriterien erfüllt sind:
- ein starker Zwang zum Konsum psychotroper Substanzen
- verminderte Kontrollfähigkeit in Bezug auf Beginn, Ende, Menge bei der Einnahme
- Substanztoleranz, also steigender Verbrauch
- fortschreitende Vernachlässigung anderer Interessen zugunsten des Substanzkonsums
- andauernder Substanzkonsum trotz des Nachweises eindeutig schädlicher Folgen
Der Drogen- und Suchtbericht 2018 der Bundesregierung erklärt: „Der Sucht liegt meist ein komplexes Geflecht aus individuellen Vorbelastungen, bestimmten Lebensumständen, Erfahrungen im Umgang mit anderen Menschen, Störungen im emotionalen Gleichgewicht, dem Einfluss wichtiger Bezugspersonen und der Verfügbarkeit von Suchtstoffen zugrunde.“
Der Internist und Hirnforscher Dr. med. Achim Peters betont, dass der Wunsch nach Betäubung aus zu viel Stress und dem Nichtaushaltenkönnen von Unsicherheit und Unruhe entsteht. Fatalerweise geschieht jedoch das Gegenteil: „Indem diese Substanzen die Informationsverarbeitung im Gehirn einschränken, behindern sie den Schlüsselprozess im Gehirn, nämlich die Reduzierung von Unsicherheit von Informationsverarbeitung.“ So nehmen wir uns die Chance, unsere Probleme zu lösen.
Bei der Jahrestagung 2018 der Drogenbeauftragten stellte Marlene Mortler fest: „Es ist fatal, suchtkranke Menschen zu verurteilen und sie auszugrenzen – für die Betroffenen selbst aber auch für uns als Gesellschaft! Jeder und Jede in diesem Land kann und muss helfen!“
Was heißt hier helfen? Beim Gedanken daran stehen wir emotional unter Druck, weil wir das Gefühl des Verrats haben, uns schämen, nicht klar empfinden können, ob wir „zuständig“ sind oder nicht. Das hängt auch damit zusammen, dass Abhängigkeit früher mit Schwäche, Nachlässigkeit und schlechtem Charakter verbunden wurde. Sucht verursacht ein ganz anderes Gefühl als andere chronische Krankheiten wie Diabetes, MS oder Osteoporose. Erst in jüngster Zeit wurde Sucht als Krankheit erkannt.
Am häufigsten ist die Alkoholabhängigkeit. Der Arzt und Alkoholforscher Prof. Dr. Helmut K. Seitz und die Journalistin Ingrid Thoms-Hoffmann beschreiben die Folgen, die sich am Arbeitsplatz bemerkbar machen: Verlangsamung der Motorik, des Denkvermögens und der Psyche, Wesensveränderungen, Unzuverlässigkeit, Krankschreibungen, weniger Sorgfalt bei der Arbeit, Gleichgültigkeit, Gereiztheit, zwischenmenschliche Spannungen, die Unfallhäufigkeit steigt, das Arbeitstempo sinkt. Besonders häufig sind depressive Verstimmungen. Später folgen Erkrankungen verschiedener Organe.
Was fällt auf?
Ihre Kollegin kommt öfter zu spät oder gar nicht und liefert jede Menge Ausreden. Sie verschwindet immer mal kurz nach hinten oder in den Keller, kramt auffällig hastig in ihrer Tasche, das Standgefäß mit reinem Alkohol ist schneller leer als normal, immer steht dort ihr Wasserglas in der Nähe. Kreislaufstörungen, ungewohnte Verhaltensänderungen, Alkoholgeruch, übermäßiger Verbrauch von Mundsprays, Pfefferminzplättchen, verzögerte Reaktionen, Schläfrigkeit – das sind nur einige der möglichen Anhaltspunkte.
Die sogenannte risikoarme Schwellendosis für Alkohol liegt laut der deutschen Hauptstelle für Suchtfragen bei Männern bei 24 und bei Frauen bei zwölf Gramm Alkohol pro Tag. 24 Gramm entsprechen ca. 0,5 bis 0,6 l Bier bzw. 0,25 bis 0,3 l Wein. Zusätzlich sollten zwei Tage ganz ohne Alkohol pro Woche eingelegt werden.
Wie kommt das Thema auf den Tisch?
Entweder die Chefin oder, falls sie die Suchterkrankung der Mitarbeiterin nicht ernst nimmt, eine Kollegin sollte sich mit der Erkrankten zu einem Gespräch verabreden. Und zwar vorzugsweise nach Ladenschluss oder außerhalb der Apotheke, sodass ein ruhiges Gespräch unter vier Augen möglich ist.
Am besten erkundigen Sie sich vorher nach Beratungsstellen in der Nähe und holen von dort Informationsmaterial. Der Gesprächseinstieg kann mit Ihren Beobachtungen erfolgen, vermeiden Sie auf jeden Fall Vorwürfe! „Mir ist seit einiger Zeit aufgefallen, dass du manchmal Gleichgewichtsstörungen hast, außerdem habe ich das Gefühl, dass du öfter nach Alkohol riechst. Nun mache ich mir Sorgen um deine Gesundheit. Ich habe auch Angst, dass du dich nicht mehr so gut konzentrieren kannst und Fehler machst.“ Schildern Sie Ihre Eindrücke und Beobachtungen, bleiben Sie dabei in der Ich-Form. Falls die Kollegin tablettensüchtig ist, nennen Sie natürlich andere Symptome.
Nun gibt es zwei Varianten: Die Erkrankte geht auf Sie ein oder sie streitet alles ab. Im letzteren Falle bleiben Sie bei Ihren Argumenten: „Doch, ich habe das ja gesehen ...“, und fügen hinzu: „... aber wenn Du nicht mit mir darüber sprechen möchtest, ist das vollkommen in Ordnung. Ich lege hier ein paar Broschüren hin, vielleicht willst Du mal reinschauen. Manchmal haben wir ja auch Kunden, die betroffen sind, und dann kannst Du denen weiterhelfen.“
Falls die Süchtige sich schon bewusst ist, dass es so nicht weitergehen kann, wird sie eher erleichtert sein, offen sprechen zu können. Sie wird dann vermutlich selbst einen Beratungstermin verabreden, zum Arzt gehen und eine Therapie starten. Jetzt ist es sozusagen „offiziell“, das bereitet den Weg zum Handeln. Die Kosten übernimmt übrigens die Krankenkasse, da Sucht als Krankheit anerkannt ist. Der Entzug kann ambulant oder stationär in über 100 Suchtkliniken in Deutschland erfolgen.
Versuchen Sie, während der Therapie Kontakt zu Ihrer Kollegin zu halten, wenn sie es möchte. So weiß sie, dass sie geschätzt wird und alle zu ihr halten.
Wertvolle Links
Drogen- und Suchtbericht Oktober 2018: https://www.drogenbeauftragte.de/fileadmin/dateien-dba/Drogenbeauftragte/Drogen_und_Suchtbericht/flipbook/DuS_2018/index.html
Prävention, Behandlung, Beratung, Infobroschüren etc.: https://www.drogenbeauftragte.de/themen/praevention-und-behandlung.html
Ansprechpartner (Beispiele):
www.Anonyme-alkoholiker.de
www.blaues-kreuz.de
www.sucht-und-drogen-hotline.de, Telefon: 01805-313031
Selbsthilfe für Angehörige: www.al-anon.de
Was tun, wenn die Chefin süchtig ist?
Hier stellt sich die Frage, wie weit die Chefin noch arbeitsfähig ist oder ob sie schon fahrlässig handelt. Und ob das Team so beeinträchtigt ist, dass es zu Angst, Konzentrationsstörungen oder Arbeitsstopp kommt, weil sich alle Gedanken machen, was nun zu tun ist, aber keine sich traut zu handeln etc.
Eventuell suchen Sie eine Suchtberatungsstelle auf, um sich dort Tipps zu holen, wie es weitergehen kann. Natürlich können Sie auch kündigen, wenn Sie es nicht mehr aushalten, aber damit ist der Apotheke nicht geholfen. Auch hier stellt sich wieder die Gewissensfrage: Bin ich verantwortlich oder nicht und wie weit genau?
Haben Sie ein gutes Verhältnis zur Chefin, können Sie natürlich genauso starten wie bei einem Teammitglied. Möglicherweise ist es sinnvoll, den Partner bzw. die Familie der Chefin auf das Problem aufmerksam zu machen. Falls alles nichts hilft, bleibt als Ansprechpartner bei starken Beeinträchtigungen die Apothekerkammer. Machen Sie sich auch hier klar: Echte Hilfe besteht darin, die Karten auf den Tisch zu legen, statt die Lage zu vertuschen, das Elend zu verlängern, zu vergrößern und die ordnungsgemäße Versorgung der Kunden zu gefährden.
Co-Abhängigkeit
Zu den ca. 8,2 Millionen Menschen, die in Deutschland von verschiedenen Substanzen oder Glücksspiel abhängig sind, kommen ca. zehn Millionen Angehörige dazu, die sich auf die eine oder andere Weise damit auseinandersetzen und reagieren müssen. Dabei ist natürlich auch das Wegschauen eine Reaktion. Und zu den Angehörigen kommen Freunde, Nachbarn und Kollegen dazu: Alle sind potenzielle Helfer oder Verschlimmerer.
Rufen die Angehörigen in der Apotheke an, um die Kollegin krankzumelden, oder verleugnen sie sie am Telefon, wenn Sie dort anrufen, um nach etwas zu fragen? Co-Abhängigkeit bedeutet, dass die nahen Menschen die Erkrankung herunterspielen und den Angehörigen vor anderen in Schutz nehmen. Dadurch treiben sie die Süchtigen in eine Langzeiterkrankung, es besteht keine Veranlassung für diese, aktiv zu werden und sich helfen zu lassen.
In gewisser Weise können natürlich auch wir als Kolleginnen co-abhängig sein: Wir vertuschen Fehler der Abhängigen, übernehmen ihre Aufgaben etc. und „beschützen“ sie damit vermeintlich, verhindern jedoch eine Heilung. Schließlich sind alle erschöpft vom vielen Aufpassen, der Mehrarbeit, den Diskussionen in der Gruppe; Hilflosigkeit und Aggression machen sich breit. Sie können durchaus als Nichtabhängige die Beratungen aufsuchen, wenn Sie nicht weiterwissen, und sich dort Tipps holen, wie Sie das Ganze anpacken können.
Ein Team ist nur stark, wenn alle gesund und leistungsfähig sind, packen Sie deshalb Schwierigkeiten zügig an und verschließen Sie nicht länger die Augen! |
* Da die überwiegende Anzahl der Apothekenmitarbeiter weiblich ist, schreibe ich in der weiblichen Form. Männliche Kollegen dürfen sich gerne mit angesprochen fühlen.
Literaturtipps:
Achim Peters Unsicherheit – Das Gefühl unserer Zeit. Und was uns gegen Stress und gezielte Verunsicherung hilft. Verlag C. Bertelsmann 2018, ISBN: 978-3-570-10343-2,
Helmut K. Seitz, Ingrid Thoms-Hoffmann Die berauschte Gesellschaft. Alkohol – geliebt, verharmlost, tödlich. Kösel Verlag 2018, ISBN: 978-3-466-37222-5
Zu beziehen über:
Deutscher Apotheker Verlag
Birkenwaldstraße 44, 70191 Stuttgart
Telefon 0711 2582-341, Telefax 0711 2582-290
E-Mail: service@deutscher-apotheker-verlag.de
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