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Reportage

Jahrhundertreformiert

Wie ein Apotheker eine kleine Revolution bei den Arzneimittelpreisen auslöste

Weg von der Vergütung pro Packung, hin zum Honorar für pharmazeutische Dienstleistung? Die Frage, wie viel und mittlerweile auch ob Apotheken überhaupt noch an Arzneimitteln verdienen sollen, war schon immer abhängig von der politischen Lage, den volkswirtschaftlichen Rahmenbedingungen und dem gesellschaftlichen Zeitgeist. Alle 15 Jahre scheint es ­einen Systemwechsel zu geben: Nach Einführung der Festbeträge 1989, der Etablierung des Kombimodells 2004, wird heute – im Jahr 2019 – konkret diskutiert, die packungsabhängige Vergütung durch Dienstleistungshonorare zu ersetzen. Dieser Vorstoß ist nicht neu, es gab ihn schon vor 30 Jahren. Wolfgang Hartmann-Besche ist Apotheker und wirkte damals unter Norbert Blüm und Horst Seehofer an den großen Gesundheitsreformen mit. Ich habe den 70-Jährigen in Köln besucht und mit ihm dabei nicht nur über Vergangenes gesprochen. | Von Armin Edalat

Er ist zwar einer von uns, doch während seines Berufs­lebens bekam er vom eigenen Stand immer wieder Gegenwind zu spüren. Ganz unerwünscht oder gar verstoßen war er aber auch nicht. Er veröffentlichte Beiträge in der ­standeseigenen „Pharmazeutischen Zeitung“, referierte beim Deutschen Apothekertag und besuchte regelmäßig die Sommerfeste der ABDA. Trotzdem gehört Wolfgang Hartmann-Besche für viele zur „anderen Seite“ und das nicht nur deshalb, weil er kurz vor seinem Ruhestand noch für eine Krankenkasse tätig wurde und Verträge mit einem niederländischen Versender aushandelte. Hartmann-Besche trug bereits einige Jahrzehnte zuvor als Mitarbeiter von Arbeitsminister Norbert Blüm und später von Gesundheitsminister Horst Seehofer zu einem Systemwechsel im Arzneimittelwesen bei – mit Folgen bis heute. Der „Vater der Festbeträge“ und Vordenker einer Art Kombimodell erlebte das damalige aufgeheizte, standespolitische Klima also hautnah mit.

Der Apothekerberuf im „Dreiergespann“

„Ok, wer bin ich?“ Wolfgang Hartmann-Besche sitzt mir ­gegenüber in seiner Kölner Stadtwohnung und fängt an zu erzählen. Er ist – altersbedingt – seit rund zehn Jahren nicht mehr so präsent in der pharmazeutischen Fachwelt, und ­daher bringe ich – ebenfalls altersbedingt – gar nicht viel mit ihm in Verbindung.

Seine berufliche Laufbahn als Apotheker könnte man knapp so beschreiben: Krankenkasse, ­Ministerium, Krankenkasse und dazwischen einige Jahre als Angestellter in öffentlichen Apotheken. Doch damit wird man ihm als Person und seinem Schaffen nicht gerecht. Vor allem hat er sich durch seine Arbeit für das Arzneimittelwesen in Deutschland nicht nur Freunde gemacht und selbst eine große Enttäuschung erleben müssen. Daher höre ich ihm interessiert zu: Nach dem Pharmaziestudium in Frankfurt und mehr als fünf Jahren Tätigkeit in der öffentlichen Apotheke kommt er 1981 zum AOK Bundesverband. „Das war eine Zeit, in der die ökonomischen Umwälzungen im Gesundheitssystem gerade anfingen“, so Hartmann-Besche. Die Krankenkassen begannen in jenen Jahren, vermehrt Heilberufler einzustellen, um medizinisch und pharmazeutisch kompetenter zu werden. Beim Bundesverband ist er für die Vertragsstrategie mit den Apothekern zuständig. Schon früh hat er zusammen mit seinen Kollegen die Idee, den Apothekerberuf aus dem „Dreiergespann“ mit den Ärzten und der Industrie herauszulösen und als „Verbraucher­anwalt“ einzusetzen. Damit hätte man ihn auf Seiten der Krankenkassen. Im Arznei­mittelmarkt findet nämlich zeitgleich eine entscheidende, historische Entwicklung statt: Weltweit gibt es immer mehr Hersteller, die Generika produzieren, weil in den 1980er-Jahren die ­Patente der großen Blockbuster des Nachkriegsdeutschlands auslaufen. Wirkstoffe wie Diclofenac, Gliben­clamid oder ­Nifedipin sind plötzlich zu einem Bruchteil des Preises zu haben, den jahrzehntelang die jeweiligen Originalpräparate kosteten. Die Kassen wittern Einsparungen in Milliarden­höhe, stehen jedoch vor dem Problem, dass niemand aus dem „Dreiergespann“, weder Ärzte, Apotheker noch die Industrie, einen Anreiz darin sehen, die Patienten vom ­teuren Original auf das billige Nachahmerpräparat umzustellen. „Da entstand die Idee der Aut-idem-Substitution, und es gab viele Gespräche mit der Standesführung.“

Ich hake nach, wie sich das aus Sicht der Krankenkassen hätte realisieren lassen. Damals galt die alte Arzneimittelpreisverordnung, nach der die Apotheken, zwar degressiv gestaffelt, aber prozentual am Umsatz mit Arzneimitteln verdienten. Der Austausch durch Generika hätte also die Betriebe wirtschaftlich schlechter dargestellt. Hartmann-Besche klärt auf: „In diesen Gesprächen wurde natürlich über ein Substitutionshonorar diskutiert. Das wurde nie öffentlich kommuniziert. Man hätte den Apothekern den drohenden Verlust erstattet und als Krankenkasse trotzdem gewonnen.“ Doch aus der anfänglichen Euphorie, mit den Generika und der Aut-idem-Substitution ein wirksames Kostendämpfungs-instrument in der Hand zu halten, wird für die Kranken­kassen Ernüchterung: Weder die Ärzte noch die Apotheker wollen die Patienten auf billige Präparate umstellen. Manche Untersuchungen zeigen nämlich, dass die Bioäquivalenz nicht bei allen Nachahmer­präparaten gegeben ist. Auch sieht man die ärztliche Therapie­hoheit in Gefahr.

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Fünf vor zwölf für die Apotheken in Deutschland? In der öffentlichen Wahrnehmung stand das Arzneimittel­wesen schon mehrmals vor grundlegenden Veränderungen.

Bioäquivalenz-Dröselei

Hartmann-Besche beteiligt sich an dieser standespolitischen und wissenschaftlichen Auseinandersetzung. In der DAZ vom 15. Mai 1986 wird ein Meinungsbeitrag von ihm abgedruckt. Unter dem Titel „Gegen die Bioäquivalenz-Dröselei“ holt er zu einem Rundumschlag gegen die Widerstände in seinem Berufsstand aus: „Nehmen wir einmal an, die Apotheker haben das langfristige Ziel, ihre Stellung im Arzneimittelmarkt und Gesundheitswesen aufzuwerten, weil sie nur mit dieser Aufwertung auch ihre ökonomische Basis langfristig sichern können. [...] Nicht oder kaum melden sich Strategen mit apothekerlichen Strategien zu Wort (Ziel: Aufwertung des Apothekers), es sei denn bei der Frage nach dem Substitutionsausgleich bzw. Honorar (Ziel: Aufwertung des Apothekenertrages).“ In Fachartikeln, Seminaren und Untersuchungen des Zentrallaboratoriums „ringen die Apotheker mit sich, ob sie nun oder ob sie nicht substituieren wollen“.

Hartmann-Besche prophezeit, dass sich der Generika-Markt bald umstülpen wird: 1985 ist jede vierte Verordnung generikafähig, in nur fünf Prozent der Fälle wird aber tatsächlich substituiert. „Heute werden drei Viertel durch Zweitanbieter umgesetzt.“ Auf den Punkt gebracht: „Generika waren für uns damals der Mega-Trend und sind heute Mainstream.“ Für Hartmann-Besche ist es rückblickend eines der größten Versäumnisse seines Berufsstandes, dass beim Thema Substitution nicht öffentlich gesagt wurde: „Wir tun es, weil wir es können“, sondern die Botschaft stets war, dass alles schrecklich kompliziert sei. „Damals gab es etwa 35 AOK-Apothekerinnen und -Apotheker, inzwischen gibt es über 100. Das ist der entscheidende Punkt: Im AOK-System haben wir nachgewiesen, dass Apotheker mit Ärzten auf Augen­höhe über pharmakologische und ökonomische Fragen diskutieren können. Wir haben also schon in den 1980er-Jahren das getan, wonach die Apotheker seit Jahrzehnten streben. Diese Idealvorstellung hatten meine Kollegen und ich seit dem Studium: Den Patientennutzen durch Information und Beratung gemeinsam optimieren.“

Seine Antwort auf die Frage, wie er das damalige Klima im Gesundheitswesen beschreiben würde, klingt fast schon martialisch: Man hätte sich einer geschlossenen Phalanx dieses „Dreiergespanns“ gegenübergesehen. Das Ziel waren Machtumkehr und ein Ende der „völlig überzogenen“ Preise. „Auf sie mit Gebrüll“ lautete das Motto der AOK-Apotheker.

Wechsel ins Ministerium

Hartmann-Besches Steckenpferd ist in all den Jahren die Gesundheitsökonomie: „Ich habe mich für diese Fragestellungen schon immer interessiert.“ In seiner Studienzeit war er Vorsitzender des studentischen Fachverbandes Pharmazie (heutiger Bundesverband der Pharmaziestudierenden in Deutschland, BPhD). Das Amt übernahm er von Gerd Glaeske, dem späteren Arzneimittelkritiker und Professor an der Universität Bremen. „Den kenne ich natürlich sehr gut. Gerd ist später in die wissenschaftliche Beurteilung des Marktes eingestiegen. Ich habe die ökonomischen Aspekte betrachtet.“ Weil er neben Pharmazie noch sechs Semester Soziologie, BWL und VWL studierte, fühlt er sich angesprochen, als Bundesarbeits­minister Norbert Blüm 1987 einen Apotheker sucht. Zunächst als Referent soll er sich in der Krankenkassenabteilung dem Thema Arzneimittel widmen. „Das war unglaublich spannend. In einem politischen Prozess mitzuarbeiten, ist das Großartigste, was es gibt.“

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Norbert Blüm 1985 am Kabinettstisch. Hartmann-Besche über seinen ehemaligen Chef: „Ich war genauso gepolt wie Blüm. Blüm war zauberhaft und ist es immer noch.“

Im Dezember desselben Jahres legen Minister Blüm und sein für die Krankenversicherung zuständiger Abteilungsleiter Ministerialdirektor Karl Jung in Bonn den Referentenentwurf für das Gesundheitsreform-Gesetz (GRG) vor.

Für manche gilt es als die „erste echte Strukturreform“ im deutschen Gesundheitssystem. Ärzte und andere Leistungs­erbringer bezeichnen es dagegen als „Anfang vom Ende“ des Solidarprinzips. In der öffentlichen Presse werden vor allem die rigorosen Leistungskürzungen kritisiert. So titelt der „Spiegel“ im März 1989: „Blüm lässt den kleinen Mann bluten“. Mehr als 14 Milliarden DM sollen in wenigen Jahren eingespart werden. Ein historisch bedeutender Schritt ist die Übertragung des gesamten bundesdeutschen Krankenversicherungsrechts in ein eigenes Sozialgesetzbuch, dem SGB V. Hartmann-Besche ist verantwortlich für Maßnahmen, die die Arzneimittelversorgung ­billiger machen sollen. Dazu gehören die Schaffung der Fest­beträge, die Aufstellung einer Übersicht über unwirtschaftliche Arzneimittelverordnungen (Negativliste) ­sowie die Verpflichtung der Apotheker, preisgünstig zu substituieren. „Das Aut-idem-Verbot wurde damit geknackt,“ macht Hartmann-Besche deutlich. Ein Paradigmen-Wechsel, galt die ärztliche Verordnung doch lange Zeit als unantastbar: Wurde ein Originalpräparat verordnet, so musste es von der Apotheke auch beliefert werden. Der Austausch zu einem Generikum war verboten. „Das haben die Juristen damals auf das Warenzeichen ® bezogen. Wenn da steht Voltaren, Euglucon oder Adalat, dann geht kein Diclofenac, Glibenclamid oder Nifedipin.“ Bei Arzneimitteln, die nicht zum Festbetrag angeboten werden, müssen die Patienten ab sofort nicht nur drei Mark zuzahlen, sondern auch 100 Prozent der Mehrkosten übernehmen.

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8. Juni 1990 – Pharmaziedirektor Hartmann-Besche soll das DDR-Ministerium unterstützen. Blüm muss absagen.

Blüm betont immer wieder, dass die neu eingeführten Festbetragsregelungen das „Herzstück“ seiner Reform seien. Abteilungsleiter Jung wird sogar mit den Worten zitiert, dies sei der Beginn der Vertreibung der pharmazeutischen Industrie aus dem Paradies. Klagen der Hersteller gegen die Festbetrags­regelungen scheitern. Die geringeren Arzneimittelumsätze bedeuten auch für die Apotheken mit ihrer degressiv gestaffelten, prozentualen Beteiligung sinkende Erträge. Anfang der 2000er-Jahre werden die Festbeträge vom Bundesverfassungsgericht und dem ­EuGH höchstrichterlich legitimiert. Hartmann-­Besche freut sich und kontaktiert seinen ehemaligen Abteilungsleiter Karl Jung, der mittlerweile pensioniert ist und dem Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen (heutiger Gemeinsamer Bundesausschuss, G-BA) vorsteht. Dieser antwortet prompt und bezeichnet Hartmann-Besche als „Vater der Festbeträge“. „Das ist die größte Ehre, die ich jemals bekommen habe.“

Doch Blüms Gesundheitsreform-Gesetz stößt auch bald an Grenzen: Nach einem Jahr verzeichnen die Kranken­kassen keine Einsparungen mehr. Die Festbeträge führen nämlich im Zusammenspiel mit der Aut-idem-Substitution zur übermäßigen Verordnung von billigen Arzneimitteln. Außerdem steigern die Hersteller die Preise bei festbetragsfreien Arzneimitteln. Erst die Einführung der ärztlichen Budgets 1993 durch Horst Seehofer wirkt dem Trend entgegen.

Hartmann-Besche kommt für 15 Monate im nordrhein-westfälischen Sozialministerium unter und ist für die Arzneimittelaufsicht zuständig. 1992, bei den Verhandlungen zwischen der christlich-liberalen Bundesregierung und der SPD über das GKV-System, die aus dem sogenannten „Lahnstein-Kompromiss“ resultierten, vertritt er in Arzneimittelfragen die SPD-geführten Länder. Neben der freien Kassenwahl und dem Risikostrukturausgleich wird auch die sogenannte Positiv-Liste beschlossen, die aufführen soll, welche Arzneimittel zulasten der GKV verordnet werden dürfen. Von Anfang an ist das Projekt umstritten. Vor allem die Ärzte und die pharmazeutische Industrie lehnen die Liste ab. Niemand will sich von der Politik vordiktieren lassen, was für welche Indikation verordnet und erstattet werden soll.

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Horst Seehofer mit Journalisten im Jahr 1997. Die Eliminierung der Positiv-Liste auf Druck der Industrie gilt in der öffentlichen Meinung als eine seiner größten Niederlagen.

1994 wechselt Hartmann-Besche wieder vom Landes- ins Bundesministerium. Weil seine Abteilung ins Gesundheitsressort „geshiftet“ wurde, heißt sein Dienstherr nun Horst Seehofer. An der Positiv-Liste arbeitet fast zwei Jahre lang eine Expertenkommission, unter Mitwirkung von Hartmann-Besche. Doch das Projekt findet ein für ihn bitteres Ende: Auf Druck der Industrie und auf Anweisung von Bundeskanzler Helmut Kohl muss Seehofer die Arbeit an der Liste beenden. Hartmann-Besche versucht, die Zusammenhänge darzustellen: „Gescheitert ist die Positiv-Liste an einem Deal zwischen Bundeskanzler Kohl und der FDP. Die Liberalen wurden bei der Bundestagswahl 1994 mit einem miserablen Ergebnis abgestraft und hätten den Einzug ins Parlament fast verpasst. Da sie aber bei den Wahlen vier Jahre zuvor noch die schwarz-gelbe Koalition retteten, durften sie nun jeglichen Wunsch äußern. Seehofer bekam die Prügel ab und musste die Positiv-Liste eliminieren.“

1995 überreicht Seehofers Staatssekretär Baldur Wagner dem damaligen Vorsitzenden des Bundesverbandes der Pharmazeutischen Industrie (BPI), Prof. Dr. med. Hans Rüdiger Vogel, ein ganz besonderes Geschenk zum 60. Geburtstag. Beim Empfang in Bad Godesberg gibt es für Vogel ein Exemplar der Positiv-Liste in zerschredderter Form mit einem bemerkenswerten Gruß:

„Wir hoffen, dass diese Darreichungsform der Liste auch von Ihnen akzeptiert werden kann.“ Drastischer formuliert es Hartmann-Besche in einem Interview mit dem Radiosender WDR 5 Jahre später: „De facto ist mein Chef, der Minister Seehofer, der Pharmaindustrie in den Arsch gekrochen.“

Als zuständiger Referatsleiter fühlt sich Hartmann-Besche von diesem politischen Akt persönlich beleidigt: „Das konnte ich mit meinem Gewissen nicht vereinbaren.“ Doch dabei bleibt es nicht. Seine Enttäuschung wird noch größer: Als aktiver Sozialdemokrat, der jahrelang unter Unions-Ministern gearbeitet hat, muss er feststellen, dass auch seine hochrangigen Parteigenossen nicht hinter der Positiv-Liste stehen. Im Bundesrat enthalten sich drei SPD-Ministerpräsidenten und verhindern so ein entsprechendes Vermittlungs­verfahren, das die Positiv-Liste doch noch hätte am Leben halten können. Gerhard Schröder aus Niedersachsen, Hans Eichel aus Hessen und Kurt Beck aus Rheinland-Pfalz handeln – so der Vorwurf – aus Interesse der heimischen Pharmaindustrie. Für Hartmann-Besche ist es nicht zu fassen, dass drei Ministerpräsidenten die SPD-Programmatik auf diese Weise negieren.

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Er beendet auf eigenen Wunsch seine Laufbahn im öffentlichen Dienst und gibt sein Parteibuch ab. Zwei Jahre findet er eine Anstellung in der öffentlichen Apotheke einer guten Freundin. Er genießt den Kontakt zu den Menschen. Rückblickend haben sich „wunderschöne Erlebnisse“ tief in seinem Herzen eingegraben. Es erfüllt ihn, wenn er Menschen helfen kann. Aber die ökonomischen Interessen überwiegen, und im Jahr 2000 erhält er ein Angebot von der BKK Bayern. Dort ist er im Bereich Versorgungsmanagement tätig und kümmert sich um die ersten Verträge mit Arzneimittelversendern, so auch mit DocMorris. Eine weitere Zäsur? Nein, findet er, stets sei er doch seiner Maxime treu geblieben: „Ich stand immer auf der Seite des Verbrauchers.“

Festbeträge im Fokus

Festbeträge legen fest, bis zu welchem Betrag die GKV ein Fertigarzneimittel einer Wirkstoffgruppe bezahlt. Es werden also Erstattungsgrenzen festgelegt und keine Verordnungseinschränkungen oder -ausschlüsse.

Senkt das pharmazeutische Unternehmen den Arzneimittelpreis nicht auf Festbetragsniveau ab, müssen die Versicherten den Differenzbetrag selbst zahlen. Die Ermittlung der Festbeträge findet unter Beachtung der mittleren Tages- oder Einzeldosen und anderer Vergleichsgrößen mithilfe eines komplexen, dreidimensionalen, mathematischen Modells statt.

Festbeträge werden in einem mehrstufigen Verfahren festgelegt. Die gesetzliche Grundlage ist § 35 des Fünften Buches des SGB. Zunächst bestimmt der Gemeinsame Bundes­ausschuss Wirkstoffgruppen, für die Festbeträge festgelegt werden können. Bei den Festbetragsgruppen gibt es verschiedene Stufen:

  • Arzneimittel mit denselben Wirkstoffen (Stufe 1)
  • Arzneimittel mit pharmakologisch-therapeutisch vergleichbaren Wirkstoffen, mit chemisch verwandten Stoffen (Stufe 2)
  • Arzneimittel mit therapeutisch vergleichbarer Wirkung (Stufe 3)

Auf Grundlage der Vergleichsgrößen setzt der GKV-Spitzenverband dann die Festbeträge fest.

In seinem Urteil vom 17. Dezember 2002 stellte das Bundesverfassungsgericht fest, dass das Verfahren zur Festsetzung von Festbeträgen mit dem Grundgesetz in Einklang steht. Auch der Europäische Gerichtshof urteilte am 16. März 2004, dass Erstattungsgrenzen für Arzneimittel nicht gegen europäisches Wettbewerbs- und Kartellrecht verstoßen.

Hartmann-Besche kennt viele Geschichten aus der Bonner Republik der 1980er- und 1990er-Jahre, vor allem erlebte er den Politik-Alltag hautnah mit. „Blüm brauchte immer einen Gegner, mit dem er täglich in den Ring steigt und boxt. Das war damals die Pharmaindustrie“, erinnert er sich zurück. Der Minister rief manchmal spontan in Hartmann-Besches Abteilung an und sagte, er müsse „trainieren“. Also kamen die Mitarbeiter am großen runden Tisch im Ministerbüro zusammen. Dann forderte Blüm Argumente, auf die er antwortete, und ließ sich von seinen Mitarbeitern bewerten. „Sie können sich vorstellen, dass spätestens nach fünf Minuten der Tisch am Brennen war.“

Auch an die Zeit mit Horst Seehofer erinnert er sich gerne zurück, auch wenn er nicht alle politischen Entscheidungen mittragen konnte. „Seehofer war ein feiner Kerl und groß­artiger Menschenführer – gleicher Jahrgang, gleicher Musikgeschmack.“ Nach langen Sitzungen und erfolgreichen Gesetzesinitiativen ging man auch mal zusammen abends auf ein Feierabendbier in eine Bonner Kneipe.

Kombimodell, Versandhandel, aber keine Ketten

Als es Anfang der 2000er-Jahre unter Ulla Schmidt auf die große Gesundheitsreform zuläuft, wird auch Hartmann-Besche immer wieder um Rat gefragt. Vor allem mit der Parlamentarischen Staatssekretärin Gudrun Schaich-Walch steht er im Kontakt. Die Umstellung des Honorarmodells von einer prozentualen, degressiv gestaffelten Vergütung auf einen umsatzunabhängigen Fixaufschlag ist für ihn längst überfällig. Schon 1987 hatte er mit Johann-Magnus von Stackelberg, dem späteren stellvertretenden Vorsitzenden des GKV-Spitzenverbandes, einen Vorläufer dieses sogenannten Kombimodells in der „Pharmazeutischen Zeitung“ zur Diskussion gestellt.

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Wolfgang Hartmann-Besche

Auch Hartmann-Besche befürwortet, den Arzneimittelversandhandel zu erlauben und zwar nicht unbedingt aus Gründen der damals prophezeiten Einsparungen, sondern im Sinne der Patienten, „die weit weg vom Schuss leben“. Gegen Fremdbesitz und Ketten argumentiert er entschieden: „Ich finde die Idee mit den Filialapotheken großartig. Die pharmazeutische und betriebswirtschaftliche Führung sollte in kleinen, regionalen Einheiten stattfinden und von einem Inhaber verantwortet werden.“ Die bedingungslose Preisfreigabe bei OTC-Arzneimitteln hingegen hält er für schwierig: „OTC ist ein rein förmliches Kriterium. Diese Arzneimittel gelten als so risikoarm, dass sie auch ohne ärztliche Verordnung eingesetzt werden können, wie beispielsweise 100 mg ASS.“ Für ihn sei dies kein Anlass, die Preiskalkulation den Apothekern zu überlassen.

Die packungsabhängige Vergütung allmählich durch Dienstleistungshonorare zu ersetzen, käme ihm einer Vollendung der Honorarreform gleich: „Preise kennzeichnen bekanntlich den Tauschwert auf Warenmärkten. Honorare dagegen stellen den Wert einer Dienstleistung dar.“ Die Apotheker müssten sich seiner Meinung nach entscheiden, wo sie ihren Schwerpunkt sehen: „Will man vergütet werden durch Arzneimittelpreise oder durch Dienstleistungshonorare?“ Preise geraten in globalisierten Warenmärkten regelmäßig unter Druck. Bei Dienstleistungen müsse man sich fragen, unter welchen Umständen diese stattfinden. „Für Ärzte und, wie ich finde, für Apotheker gilt das Uno-actu-Prinzip. Das heißt, die Leistung kann nur Auge in Auge erbracht werden.“ Für die Honorierung müsse man daher drei Fragen beantworten: Was soll bezahlt werden (Definition)? Wie soll die Leistung erbracht werden (Operationalisierung)? Wie wird die Leistungserbringung überprüfbar (Controlling)?

Ob die Politik willens ist, für solche Dienstleistungen zusätzliches Geld bereitzustellen, beurteilt Hartmann-Besche allerdings skeptisch.

Mir wird an diesem Nachmittag in Köln wieder einmal deutlich, dass die „Jahrhundertreformen“ viele Fragen unbeantwortet ließen. Hartmann-Besche resümiert: „Im Endeffekt geht es doch um das Gleichgewicht der Kräfte im Markt.“ In dem Punkt stimme ich ihm zu und ergänze: „Und dieses liegt bekanntlich im Auge des Betrachters.“ |

Autor

Dr. Armin Edalat, Apotheker, Chefredakteur der Deutschen Apotheker Zeitung.

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