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Aus den Ländern
Heute über die Medikation von morgen sprechen
2. Noweda Gesundheitskongress mit Beiträgen aus Pharmazie, Politik und Praxis
Rund 120 Teilnehmerinnen und Teilnehmer, nicht nur aus NRW, folgten der Einladung der Apothekergenossenschaft Noweda in ihre Hauptverwaltung nach Essen. Die Veranstaltung wurde moderiert von Prof. Dr. Andreas Kaapke – bekannt als „Apotheken-Ökonom“ aus der AZ – und bestand aus sechs Vorträgen sowie einer Podiumsdiskussion.
Gentests verhindern Nebenwirkungen
Den Auftakt bildete Prof. Dr. Dieter Steinhilber vom Pharmazeutischen Institut der Uni Frankfurt. Er stellte dar, inwiefern genetische Informationen als Krankheitsmarker dienen und gleichzeitig auch für die Auswahl und Dosierung von Pharmakotherapien herangezogen werden können. So listet der Verband Forschender Arzneimittelhersteller (vfa) auf seiner Homepage 66 Wirkstoffe auf, bei denen ein diagnostischer Vortest vorgeschrieben (57 Stück) oder empfohlen (9 Stück) ist. Steinhilber machte u. a. am Beispiel der Statine deutlich, dass Gentests zu besseren und schnelleren Therapieempfehlungen führen und die Patienten vor belastenden Nebenwirkungen schützen können. Die Hemmung der Cholesterolbiosynthese führt in der Leber zu einer Senkung von LDL-Cholesterol.
Dagegen ist sie in der Peripherie für das Auftreten von Myalgien und dem erhöhten Risiko der Rhabdomyolyse verantwortlich. Die hepatische Aufnahme der Statine wird über einen Organo-Anion-Transporter gewährleistet. Eine Genotypisierung könnte im Vorhinein aufklären, ob Patienten über eine ausreichende oder zu geringe Aktivität dieses Transporters verfügen. Bei bis zu einem Drittel aller Patienten ist die Funktion intermediär bis niedrig. Dies führt zu signifikanten Erhöhungen der Statin-Plasmakonzentrationen von mehr als 200 Prozent im Fall von Simvastatin mit den einhergehenden Nebenwirkungen. Würde man die verordnete Tagesdosis senken oder auf beispielsweise Fluvastatin ausweichen, könnte man den Leidensdruck bei den Patienten senken.
Schluss mit dem „Weiter so“
Den Stand der Pharmazie aus Sicht der Vor-Ort-Apotheke skizzierte Dr. Olaf Rose, Inhaber dreier Apotheken im Münsterland und regelmäßiger DAZ-Autor z. B. der POP-Serie. Er wies darauf hin, dass die Schere zwischen Packungshonorar und steigenden Kosten in den Betrieben immer größer werde. Gleichzeitig sei aber dem Gesetzgeber eine Dynamisierung seit vielen Jahren nicht vermittelbar. Woran das liegt, versuchte Rose damit zu erklären, dass es der Berufsstand bisher versäumt hätte, der Politik und Gesellschaft zu vermitteln, welchen Mehrwert die Apothekerinnen und Apotheker im ambulanten Bereich leisten könnten. Er machte deutlich: Außer „Die Linke“ und der Union hätte keine Partei – weder im Bund noch in den Ländern – ein Interesse an einem „Weiter so“ im Apothekenmarkt. Dazu käme die mangelnde Attraktivität für den pharmazeutischen Nachwuchs, in einer Offizin tätig zu werden. Versorgungsengpässe würde man heute schon erkennen und spüren, und mit jeder Apothekenschließung würden die Kosten und Arbeit im System weiter umverteilt. Rose plädiert für einen professionellen Wandel des Berufsbildes und Selbstverständnisses der Offizin-Apotheker. Dabei sieht er die Pharmakotherapie, die seiner Meinung nach der Überbau aller pharmazeutischen Disziplinen ist, als das zentrale Element des Wandels. Diese Entwicklung wäre bereits in vielen Staaten eingetreten oder schon erfolgreich vollzogen worden. Er wies auf eine Studie hin, deren Ergebnisse auch in der DAZ thematisiert wurden („Schlusslicht Deutschland“, DAZ 2018, Nr. 41, S. 76).
Vorträge zur praktischen Umsetzung von Versorgungsprojekten lieferten die Apotheker Philipp-Petja Kramer aus Geldern und Dr. Michael Brüch aus Augsburg. Kramer berichtete, wie Apotheken sich mit entsprechendem Engagement als Dienstleister im ambulanten Pflegesektor etablieren können. Dr. Brüch stellte sein innovatives Betreuungskonzept „Demenz-freundliche Apotheke“ vor.
Auf die innere Haltung kommt es an
Anschließend diskutierten Prof. Dr. Steinhilber und Dr. Rose sowie Prof. Dr. Gerald Huber, Professor für BWL und Informationsmanagement im Gesundheitswesen an der Hochschule Neu-Ulm, und Prof. Dr. Giovanni Maio, Professor für Bio- und Medizinethik an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Aus ethischer Sicht müsse man, so Maio, streng zwischen den Begriffen „personalisiert“ und „stratifiziert“ unterscheiden. Personalisiert sei jede Therapie, da sich Ärzte und Apotheker immer mit den individuellen Bedürfnisse und Voraussetzungen des Patienten auseinandersetzen müssten. Steinhilber merkte an, dass es wichtig sei, auch über personalisierte bzw. stratifizierte Pharmazie zu sprechen. Die Leistungen in den Apotheken müssten in der aktuellen Diskussion mehr Beachtung finden und immer weiter optimiert werden. Vor dem Hintergrund seiner internationalen Erfahrungen berichtete Rose, dass es nicht einfach sei, im Deutschen einen passenden Begriff zu finden. Im englischsprachigen Raum hätte sich Precision medicine (PM) etabliert. Die Übersetzung „Präzisionsmedizin“ sei aber irreführend. Moderator Kaapke rundete das Gespräch mit einer wichtigen Frage ab: „Ist nicht jede Apotheke patientenorientiert?“
Rose und Steinhilber mahnten, dass der Zug der stratifizierten Medizin nicht nur abgefahren, sondern immer schneller am Wegrollen sei. Die Apotheker müssten sich anstrengen, um ihn noch zu erreichen. Gentests zur Optimierung der Pharmakotherapie gäbe es schon seit fast zwei Jahrzehnten. „Eigentlich könnte man also schon weiter sein“, fasste Kaapke zusammen. Huber wies darauf hin, dass Patienten adhärenter wären, wenn Ärzte und Apotheker die Individualität der jeweiligen Therapie mehr zum Ausdruck bringen würden. Maio sagte, bei der Begrifflichkeit dürfe nicht die verwendete Methodik oder Technologie ausschlaggebend sein, sondern die innere Haltung des jeweiligen Heilberuflers.
In der zweiten Tageshälfte referierte Tim Steimle, Apotheker und Leiter des Fachbereichs Arzneimittel bei der Techniker Krankenkasse, über die digitale Transformation im Gesundheitswesen aus Sicht der Kostenträger. Bereits 17 Länder in Europa verfügen über ein elektronisches Rezept. Warum Deutschland auf Platz 18 liegt, erklärte Steimle damit, dass alle Projekte bislang scheiterten, weil sie nicht gemeinsam entwickelt wurden. Die Möglichkeiten der elektronischen Gesundheitskarte wären zu eingeschränkt gewesen, und die Interessen der Patienten hätten in all den Jahren nicht im Fokus gestanden.
In einem sehr unterhaltsamen Abschlussvortrag präsentierte Neurowissenschaftler Dr. Henning Beck die Unterschiede zwischen menschlichen Gehirnen und künstlicher Intelligenz. Seine Empfehlungen an die Zuhörer: „Nicht wie Maschinen denken“ und „Das Umfeld für neue Ideen nutzen“. Der Mensch könne im Gegensatz zu Computern ganz neue Ideen entwickeln und Innovation erschaffen. |
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